Klar, es gibt riesige Unterschiede zwischen einer Demo und einer Demo. Oft sagen wir uns, dass bei der Demo sowieso nix passiert und haben auch recht damit. Dennoch sollten einige Grundregeln auch auf “Spaziergang”-Demo beherzigt werden, weil auch solche schon Objekt polizeilicher Aktionen geworden sind.
Auf dem Weg zur Demo
Gehe nach Möglichkeit nie alleine auf eine Demo oder zu einer anderen Aktion. Es ist nicht nur lustiger, mit Menschen unterwegs zu sein, die du kennst und denen du vertraust, sondern auch sicherer. Profimäßig ist es, zusammen hinzugehen und zusammen den Ort des Geschehens wieder zu verlassen. Sinnvoll ist es auch, in der Gruppe vorher das Verhalten in bestimmten Situationen abzusprechen. Dabei sollte Raum für Ängste und Unsicherheiten einzelner sein. Während der Demo sollte die Gruppe möglichst zusammen bleiben.
Achte auf angemessene Kleidung inklusive Schuhe, in denen du bequem und, falls nötig, schnell laufen kannst. Stecke einen Stift und ein Stück Papier ein, um wichtige Details zu notieren. Nimm dir etwas Kleingeld mit, die Polizei ist zwar nach einer Festnahme verpflichtet, dir auch dann zwei Telefonate zu gewähren, wenn du kein Geld dabei hast, aber sicher ist sicher. Nimm Medikamente, die du regelmäßig einnehmen musst, in ausreichender Menge mit. Besser Brille als Kontaktlinsen. Außerdem ist es immer gut, was zu Trinken und zu Essen (Schoki!) dabei zu haben.
Lass persönliche Aufzeichnungen, besonders Kalender und Tage- /Adressbücher, zu Hause. Überlege gut, was du unbedingt brauchst. Alles andere kann im Falle einer Festnahme der Polizei nützen. Drogen jeglicher Art sollten vorher weder konsumiert, noch auf die Demo mitgenommen werden; schließlich musst Du einen klaren Kopf bewahren und jederzeit in der Lage sein können, Entscheidungen zu treffen. Einen Fotoapparat brauchst Du nicht, deine Fotos helfen im Falle einer Festnahme nur der Gegenseite!
Die Sache mit dem Handy ist immer schwierig: solltest du deine Bezugsgruppe verlieren, hilft dir das Handy, damit ihr euch wieder findet. Gleichzeitig gibt es den Bullen, durch die gespeicherten Kontakte, viele Informationen preis. Und die Polizei kann durch Funkzellenauswertung genau herausfinden, welche Handys bei einer Aktion mit dabei waren. Falls ihr trotzdem ein Handy mitnehmen wollt, schafft euch ein Demo-Handy an, auf dem ihr nur die notwendigsten Nummern (oder am besten gar keine) gespeichert habt.
Der Ermittlungsausschuss
Meist gibt es einen EA (Ermittlungsausschuß), dessen Telefonnummer durchgesagt oder per Handzettel verbreitet wird. Der EA kümmert sich vor allem um Festgenommene und besorgt für sie Anwält*innen. Wenn jemand festgenommen wurde, sollte sie*er sich beim EA melden. Wenn du Zeug*in einer Festnahme wirst, versuch den Namen der*des Festgenommenen zu erfahren. Melde die Festnahme dem EA, damit ihr*ihm geholfen werden kann. Menschen, die nach einer Festnahme wieder freigelassen werden, sollten sich sofort beim EA zurückmelden und ein Gedächtnisprotokoll anfertigen.
So ein Gedächtnisprotokoll kann sehr nützlich sein, wenn nach einigen Monaten noch ein Verfahren eröffnet wird. (Auch die Polizei hält alles in ihren Unterlagen fest!) Auch Zeug*innen von Übergriffen sollten ein Gedächtnisprotokoll anfertigen. Beinhalten sollte ein Gedächtnisprotokoll auf jeden Fall: Ort, Zeit und Art (Festnahme, Prügelorgie, Wegtragen) des Übergriffs, Name der*des Betroffenen, Zeug*innen sowie Anzahl, Diensteinheit und Aussehen der Polizist*innen (Oberlippenbart reicht nicht!). Dieses Gedächtnisprotokoll ist nur für den EA bestimmt, so es einen gibt, andernfalls ersteinmal sicher aufbewahren.
Bei Übergriffen
Nicht in Panik geraten! Tief Luft holen, stehen bleiben und auch andere dazu auffordern. Spätestens jetzt heißt es, schnell Ketten zu bilden und wenn’s gar nicht anders geht, sich langsam und geschlossen zurückzuziehen. Oftmals können Übergriffe allein durch das geordnete Kettenbilden und Stehenbleiben abgewendet sowie das Spalten der Demo, Festnahmen und das Liegenbleiben von Verletzten verhindert werden.
Bei Verletzungen
Kümmere Dich um Verletzte und hilf mit, deren Abtransport gegenüber Greiftrupps abzusichern. Wende Dich an die Demo-Sanis, soweit vorhanden, oder organisiere mit Freund*innen selbst den Abtransport oder die Versorgung der Verletzten. Wenn Ihr ein Krankenhaus aufsuchen müsst, dann möglichst eins, das nicht mit der Veranstaltung in Verbindung gebracht wird. Wichtig ist, auch dort keine Angaben zum Geschehen zu machen — oft schon haben Krankenhäuser mit der Polizei zusammengearbeitet und Daten weitergegeben. Deine Personalien musst du, allein schon wegen der Krankenversicherung, korrekt angeben — aber darüberhinaus nix (gebt z.B. “Unfall im Haus” o.ä. an).
Bei Festnahmen
Mache auf dich aufmerksam, rufe deinen Namen, ggf. den Ort, aus dem du kommst, damit deine Festnahme dem EA mitgeteilt werden kann. Wenn du merkst, dass kein Entkommen mehr möglich ist, versuche möglichst bald die Ruhe wiederzugewinnen und vor allem: ab diesem Moment sagst du keinen Ton mehr! Nach der Freilassung sofort beim EA melden. Wieder zu Hause angekommen, schreib dir so genau wie nur möglich die Umstände deiner Festnahme auf und alles, an das du dich sonst in diesem Zusammenhang erinnern kannst (Gedächtnisprotokoll), insbesondere mögliche Zeug*innen des Vorfalls. Nimm Kontakt auf zum EA oder der Roten Hilfe auf.
Beim Abtransport
Auf der Fahrt zu Gefangenensammelplätzen oder Revieren sprich ggf. mit den anderen Festgenommenen über eure Rechte, aber mit keinem Wort über das, was ihr oder du gemacht habt/hast. Das wäre nun wirklich nicht das erste Mal, dass da ein Spitzel unter euch ist, auch wenn du ein gutes Gefühl zu allen hast. Achte auf andere und zeige dich verantwortlich, wenn sie mit der Situation noch schlechter klarkommen als du, das beruhigt auch dich. Redet darüber, dass es Sinn macht, ab sofort konsequent die Schnauze zu halten. Tausche mit Mitgefangenen Namen und Adressen aus, damit der*die zuerst Freigelassene den EA informieren kann.
Auf der Wache
Gegenüber der Polizei bist du nur verpflichtet, Angaben zu Deiner Person zu machen, das sind ausschließlich:
- Name, Vorname, ggf. Geburtsname
- (Melde-)Adresse
- allgemeine Berufsbezeichnung (z.B. Student*in, Angestellte*r o.ä.)
- Geburtsdatum und Ort
- Familienstand (z.B. ledig), Staatsangehörigkeit
(auch diese Angaben kannst Du natürlich verweigern, nur lieferst Du ihnen damit einen billigen Vorwand, dich zu fotografieren, dir Fingerabdrücke abzunehmen und dich bis zu 12 Stunden festzuhalten — was sie aber, wenn sie wollen, ohnehin machen können. Ansonsten ist die Verweigerung der Personalien nur eine Ordnungswidrigkeit und kostet dich ein paar Hunderter Bußgeld). Und das war’s dann aber auch maximal! Keinen Ton mehr! Nichts über Eltern, Schule, Firma, Wetter .…einfach: gar nix!
Nach der Festnahme hast du das Recht, zwei Telefongespräche zu führen. Nerv die Polizist*innen so lange, bis sie dich telefonieren lassen, droh mit einer Anzeige. Bei Verletzungen einen Arzt verlangen und von diesem ein Attest fordern. Nach der Freilassung einen weiteren Arzt aufsuchen und ein zweites Attest anfertigen lassen. Bei beschädigten Sachen schriftliche Bestätigung verlangen. Bei erkennungsdienstlicher Behandlung (Fotos, Fingerabdrücke) Widerspruch einlegen und protokollieren lassen. Selbst aber nichts unterschreiben!
Im Verhör
Lass dich nicht einwickeln. Lass dich weder von Brutalos einschüchtern, noch von verständnisvollen Onkel-Typen weichlabern. Glaube nicht, die Beamt*innen austricksen zu können. Jede Situation ist günstiger, um sich was Schlaues zu überlegen, als die, wenn du auf der Wache sitzt, und alles — wirklich alles — ist auch später nach Absprache mit Genoss*innen und Anwält*in noch möglich. Auch wenn die Polizist*innen erzählen, dass es besser für dich wäre, jetzt sofort Aussagen zu machen: das ist gelogen! Auch keine “harmlosen” Plaudereien außerhalb des Verhörs, z.B. beim Warten auf dem Flur o.ä., keine politischen Diskussionen: Jedes Wort nach deiner Festnahme ist eine Aussage! Auch wenn du meinst, dir werden Sachen vorgeworfen, mit denen du garnix zu tun hast, möglicherweise auch Sachen, die du nie tun würdest — halte bitte trotzdem die Klappe. Was dich entlastet, kann jemand anderen belasten, hat von zwei Verdächtigen einer ein Alibi, bleibt einer übrig. Auch Informationen darüber, was du nicht getan hat, helfen dem Staatsschutz, ein Gesamtbild gegen dich und andere zu konstruieren. Es ist jedoch nicht nur ein Gebot der Solidarität gegenüber anderen und der Vernunft im Hinblick auf ein mögliches eigenes künftiges Strafverfahren, sondern darüber hinaus auch schlichtweg am einfachsten, am (relativ) bequemsten für dich, in dieser Situation, total und umfassend garnix zu sagen und von vornherein den Vernehmer*innen klar zu machen, dass du umfassend die Aussage verweigerst.
Nach den Fragen zur Person kommen oft erstmal ganz “unverfängliche” Fragen: “Wie lange wohnen Sie denn schon in”; “Sind Sie mit dem Auto hergekommen?”; “Im wievielten Semester sind Sie? ” … Und wenn sie merken, dass du darauf eingehst und antwortest, werden sie ihre Chance wittern und gnadenlos weiterbohren, wenn du auf andere Fragen nicht mehr antworten willst. Völlig anders ist die Situation in dem Augenblick, in dem du unmissverständlich klar machst, und zwar so eindeutig und monoton wie möglich, dass du die Aussage verweigerst. Auf jede, aber auch jede Frage: “Ich verweigere die Aussage!”. “Regnet es drausen?” — “Ich verweigere die Aussage!”; “Wollen Sie eine Zigarette/einen Kaffee?” — “Ich verweigere die Aussage! “; “Wollen Sie vielleicht mit jemanden anders sprechen?” — “Ich verweigere die Aussage! “… Dein Gegenüber wird so schnell kapieren, dass es dir ernst ist und du genau weißt, was du zu tun hast, und aufgeben. Das heißt für dich auf jeden Fall erstmal raus aus der Verhörmühle und im besten Fall, dass du nach Hause gehen kannst.
Freilassen müssen sie Dich
bei Festnahmen zur Identitätsfeststellung:
nachdem du deine Personalien abgegeben hast und wenn du einen Ausweis dabei hast eigentlich sofort; um zu überprüfen, ob deine Angaben auch stimmen, können Sie dich jedoch bis zu 12 Stunden festhalten.
bei Festnahmen als Tatverdächtige*r:
spätestens um 24:00 Uhr des auf die Festnahme folgenden Tages (also maximal 48 Stunden), es sei denn, sie führen dich einem Richter vor und dieser verhängt eine Untersuchungshaft (nur bei schweren Straftaten und Flucht- oder Verdunklungsgefahr — bis zu 6 Monaten, aber auch länger) oder ordnet ein “Schnellverfahren” an (dann maximal eine Woche).
bei Vorbeugehaft (“Unterbindungsgewahrsam”):
wenn nach Auffassung der Polizei die Gefahr besteht, du könntest Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begehen: bis zum Ende der Aktion, zu der du wolltest (Demo, Widerstandstage, …), maximal je nach Bundesland zwischen 24 Stunden (z.B. in Berlin) und 2 Wochen (z.B. Sachsen, Bayern). Da die Polizeigesetze, in denen das festgelegt ist, ständig verschärft werden, solltest du dich vor einer Aktion in einem anderen Bundesland immer kundig machen, um keine Überraschungen zu erleben.
Schnellverfahren
Seit 1994 bzw. 1997 gibt es das sogenannte “beschleunigte Verfahren” und die “Hauptverhandlungshaft ” — ausdrücklich eingeführt, um “reisenden Gewalttätern”, also Demonstrant*innen, für “kleinere Delikte” (Höchststrafe ein Jahr) einen kurzen Prozess zu machen. Du wirst festgenommen und gleich dabehalten (maximal eine Woche), bis dir einige Tage später der Prozess gemacht wird, mit eingeschränkten Verteidigungsrechten und ohne die Möglichkeit, dich angemessen vorzubereiten.
Schon daraus wird ganz klar: Am Schnellverfahren beteiligen wir uns niemals aktiv! Keine Aussagen, keine Kooperation. Das kann mensch nur “durchstehen” und über sich ergehen lassen, wie einen Regenschauer, da gibt es auch keine Verteidigung! Da von extremen Ausnahmen abgesehen, im Schnellverfahren nur Bewährungs- oder Geldstrafen verhängt werden können, kommst du sofort nach dieser Karikatur einer Gerichtsverhandlung wieder auf freien Fuß. Dann kannst du durchatmen, überlegen, besprechen und wenn du innerhalb einer Woche Rechtsmittel einlegst, dich in aller Ruhe auf den “richtigen Prozess” vorbereiten.
In Hauptverhandlungshaft solltest du versuchen, eine*n Anwält*in zu erreichen, schon damit diese das Schnellverfahren abzuwenden und dich rauszuholen versuchen kann.
Auch macht es natürlich Sinn, in einem Schnellverfahren eine*n Anwält*in dabei zu haben, auch wenn eine sinnvolle Verteidigung gar nicht möglich ist. Auf gar keinen Fall aber solltest du, wenn kein*e Anwält*in dabei ist, irgendwelche Prozessanträge o.ä. selber stellen, auch wenn du vom Gericht belehrt wirst, dass du das kannst! Vor allem keine “Entlastungszeug*innen” benenen oder ähnliches: es hilft dir nichts und du reitest sie rein. Es haben schon Zeug*innen, die von unverteidigten Angeklagten benannt wurden, erstens selber dasselbe Verfahren bekommen und zweitens noch eins wegen “Meineid” in dem Verfahren, in dem sie Zeug*innen waren! Also: Keine Anträge stellen, keine Zeug*innen benennen!
Weitere Infos:
https://demohandy.de/
Broschüre Aussageverweigerung
Heft Was tun wenn‘s brennt