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Setzt Brandenburg auf Zwang statt Kommunikation?

Set­zt Bran­den­burg auf Zwang statt Kom­mu­nika­tion? — Coro­na-Abson­derung­shaft im Ausreisegewahrsam 

In ein­er Pressemit­teilung vom 6.5.2020 erk­lärt der Land­kreis Pots­dam-Mit­tel­mark, dass sie erst­mals einen Geflüchteten im Aus­reisege­wahrsam am Flughafen Schöne­feld unter Zwangsquar­an­täne gestellt haben, das nun als Abson­derung­sein­rich­tung zur Unter­bringung von so genan­nten Quar­an­täne-Ver­weiger­ern nach dem Infek­tion­ss­chutzge­setz dient. Der Presse ist zu ent­nehmen, dass es sich bei dem Betrof­fe­nen um einen 31-jähri­gen Geflüchteten aus der Gemein­schaft­sun­terkun­ft in Tel­tow han­delt, der vom 5. bis 13. Mai in der Abson­derung­shaft verbleiben muss. Während Kranke sowie Krankheitsverdächtige aus­nahm­s­los in einem abgeschlosse­nen Kranken­haus in Zwangsquar­an­täne genom­men wer­den dür­fen, kön­nen Auss­chei­der und Ansteck­ungsverdächtige “auch in ein­er anderen geeigneten abgeschlosse­nen Ein­rich­tung abgeson­dert wer­den” (vgl. § 30 Abs. 2 S. 2 IfSG).

Lot­ta Schwedler vom Flüchtlingsrat Bran­den­burg äußert sich zu der Maßnahme:

Geflüchtete Men­schen sind in Gemein­schaft­sun­terkün­ften, in denen sie sich Zim­mer, Küche und Bad mit anderen teilen müssen, einem erhöht­en Infek­tion­srisiko aus­ge­set­zt. Eine Zwangsquar­an­täne von ganzen Stock­w­erken oder gesamten Unterkün­ften, wie beispiel­sweise in Hen­nings­dorf geschehen, wird hier bil­li­gend in Kauf genom­men — inklu­sive der neg­a­tiv­en sozialen und emo­tionalen Fol­gen, die das für die Men­schen hat. Als Flüchtlingsrat beobacht­en wir eine sehr große Verun­sicherung bei allen Geflüchteten, deren Unterkun­ft unter Quar­an­täne gestellt wird. Eine Infor­ma­tionsver­mit­tlung, die Unsicher­heit und Angst nehmen kön­nte, find­et viel zu wenig statt. Häu­fig liegen zunächst keine schriftlichen Beschei­de vom Gesund­heit­samt vor, es man­gelt an mehrsprachiger Über­set­zung der Quar­an­täne-Infor­ma­tio­nen, für ihre Sor­gen find­en Geflüchtete keine Ansprechpartner_innen, eine Kom­mu­nika­tion auf Augen­höhe gibt es selten.

Nach Bericht­en von Geflüchteten aus der Unterkun­ft in Tel­tow fühlten auch sie sich unzure­ichend informiert. Eine Mis­sach­tung der Quar­an­täneanord­nung hängt häu­fig auch mit dieser ver­fehlten Infor­ma­tions- und Aufk­lärungspoli­tik zusam­men. Eine Zwang­sun­ter­bringung in der Aus­reis­esam­mel­stelle in Schöne­feld erscheint deswe­gen unver­hält­nis­mäßig. Ob das Aus­reisege­wahrsam der richtige Ort für eine poten­tiell infizierte Per­son sein kann, ist stark zu bezweifeln. Hier muss ein Min­dest­maß an medi­zinis­chen Mate­ri­alien und geschul­tem Per­son­al vorhan­den sein, da noch zeitlich verzögert Symp­tome ein­er Coro­na-Infek­tion auftreten kön­nen. Außer­dem fehlen Vol­lzugsregelun­gen für die so genan­nte Abson­derung­shaft. Das ermöglicht, den Betrof­fe­nen weit­ere Frei­heits­beschränkun­gen aufzuer­legen, was der Willkür Tür und Tor öffnet. So kön­nten beispiel­sweise ein Zugang zu Rechts­ber­atung, der Emp­fang von Besuch oder die Kom­mu­nika­tion nach außen willkür­lich unter­bun­den werden.

Darüber hin­aus ist das Prob­lem in weit­en Teilen haus­gemacht: Wür­den die Land­kreise Geflüchtete dezen­tral in kleineren Wohnein­heit­en unter­brin­gen, müssten sie auch nicht ganze Großun­terkün­fte unter Quar­an­täne stellen.”

Mar­tin Kühn, ehre­namtlich­er Unter­stützer von Geflüchteten aus der Unterkun­ft in Tel­tow, berichtet von der Lage vor Ort:

Es ist befremdlich, in welch­er Form und Wort­wahl der Lan­drat in Bezug auf einen Einzelfall an die Presse geht. Gle­ichzeit­ig wird der Land­kreis sein­er Verpflich­tung der Aufk­lärung gegenüber den Geflüchteten nicht gerecht. Geflüchtete, die in dem Heim in Tel­tow leben, haben die Infor­ma­tion über die Quar­an­täne in ihrer Unterkun­ft nicht, wie zu erwarten, vom Land­kreis, son­dern aus der Presse oder dem Internet.

Der einzige effek­tive Schutz vor Ansteck­ung wäre die Unter­bringung in Woh­nun­gen oder Einzelz­im­mern. Den­noch ver­weigert die Aus­län­der­be­hörde in Werder den Auszug eines jun­gen Geflüchteten aus der Unterkun­ft in Tel­tow in eine pri­vate Unterkun­ft, in der er die für alle gel­tenden Abstand­sregeln ein­hal­ten könnte.”

Mar­tin Kühn weiter:

Es gibt schein­bar keine Kom­mu­nika­tion zwis­chen dem Land­kreis und den betrof­fe­nen Kom­munen — selb­st der Bürg­er­meis­ter von Tel­tow war nicht informiert. Der eigene Ski­urlaub des Lan­drates zu Beginn der Coro­n­akrise mit anschließen­der Quar­an­täne wirft die Frage auf, wie hier die Pri­or­itäten im Rah­men des Krisen­man­age­ments geset­zt werden.”

Zum Hin­ter­grund und zur Sit­u­a­tion in anderen Bundesländern:

https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/gesundheit-hamburg-quarantaene-verweigerer-koennten-in-ausreisegewahrsam-kommen-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101–200417-99–741990

https://taz.de/Corona-und-Gefluechtete/!5681898/

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