Der größte Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik beim Weltwirtschaftsgipfel hat gleichzeitig gezeigt: Es ist möglich, Gegenwehr in dieser Republik zu organisieren. Und: Jugendliche sind alles andere als politikverdrossen. Im Ostseebad Heiligendamm im Juni gab es einiges zu tun. Es galt, das rituelle Gipfeltreffen der »mächtigsten Frauen und Männer der Welt« als das zu enttarnen, was es ist: Eine Scheinveranstaltung der Regierenden, die unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagt. Und zwar einzig, um drängende brisante Themen herrlich unverbindlich zu bereden –und am Ende keine Beschlüsse zu fassen. 17000 Polizisten waren im Einsatz, die Bundeswehr rückte an. Alles, um die G‑8-Gespräche auf der Terrasse des Kempinski-Grandhotels zu sichern, die sich manchmal nur um das Magendrücken des US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush drehten. Trotzdem war es 12000 Globalisierungskritikern gelungen, Zufahrtswege zum hermetisch mit Zaun und Stacheldraht abgeriegelten Tagungsort zu blockieren.
Im Camp Reddelich
All das führt der Dokumentarfilmer Martin Keßler in einer 30minütigen Werkschau seines noch unvollendeten neuen Films »Das war der Gipfel!« vor Augen. Wie so oft in seinen Dokumentationen läßt er die Machthabenden »links liegen«. Devise: Wer sonst überall redet, soll hier einmal nicht dominieren. Statt dessen war er im Camp Reddelich und lief mit den Demonstranten über die Felder. Keßlers Film gibt Globalisierungskritikern die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge darzulegen.
Der eremitierte Berliner Sozialwissenschaftler Peter Grottian moderiert die Veranstaltung beim zweiten Sozialforum in Cottbus unter dem Titel »G8 – Ein Höhepunkt der Mobilisierung gegen den Neoliberalismus«. Am Samstag, 20. Oktober, von 17 bis 20 Uhr in der Stadthalle wird Keßlers Dokumentation noch einmal vor Augen führen, wie selbstbewußt und voller Gemeinschaftssinn das Aufbegehren gegen den G‑8-Gipfel war. Man wird sich an der Aufschwungstimmung der sozialen Bewegung freuen können. In engagierten Filmszenen zeigt Autor Martin Keßler, daß man hier um die Zusammenhänge weiß: Den Demonstranten ist bekannt, daß Kleinbauern aus ihren Ländern flüchten müssen, weil die neoliberalen Globalisierer mit ihrer Preispolitik deren Lebensbedingungen zerstören. Wenn sie dann in Spanien ankommen, müssen sie dort zum Billiglohn Tomaten ernten. Wie Enteignung funktioniert, ist mittlerweile auch in Deutschland nachzuvollziehen: seit Hartz IV.
Die immer wieder versuchte Kriminalisierung der Protestierer zeigt Keßler ironisch. Zu sehen ist, wie eine junge Engländerin schelmisch in die Kamera lächelt und schwört: Sie persönlich habe weder vor, Anschläge zu verüben noch eine Bombe in den Windeln ihres Kindes versteckt.
Aus dem Nähkästchen
Vielleicht wird Keßler dann in Cottbus aus dem Nähkästchen plaudern: Erzählen, daß die Engländerin vor zwei Jahren beim Protest im schottischen Gleneagles einen deutschen Gewerkschafter kennen- und lieben gelernt hat. Und daß sie ihr acht Wochen altes Kind nach Heiligendamm mitbrachten. Um dagegen zu demonstrieren, daß Kinder in anderen Teilen der Welt hungern müssen, weil Finanzjongleure und Konzernbosse sich bereichern wollen. Zu hören ist, daß eine Bewohnerin aus Heiligendamm im Vorfeld des Gipfels so verängstigt wurde, daß sie vom »Terror-Terrorismus« spricht. Und man wird erfahren, warum der Schweizer Professor Jean Ziegler den Raubtierkapitalismus verurteilt. Warum seine Thesen darin münden: »Wenn Kinder in der dritten Welt verhungern, ist das Mord.«
Filmemacher Martin Keßler thematisiert in Cottbus die großen Zusammenhänge: Was die Privatisierung der Bildung und Hartz IV mit G 8 zu tun haben, sowie äußere Militarisierung mit der Aufrüstung im Inneren. Daß es den Herrschenden darum geht, die Gewerkschaften weiter zu schwächen und noch höhere Gewinne einzustreichen. Nicht nur auf nationalstaatlicher Ebene, sondern €pa- und weltweit.