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Die können »alles machen«


»Pot­zlow ist über­all«, lautete das Mot­to der rund 200 Demon­stran­ten, die sich am Sam­stag gegen Mit­tag auf dem Mark­t­platz des bran­den­bur­gis­chen Dor­fes Pot­zlow ver­sam­melten. Mehrere antifaschis­tis­che Grup­pen hat­ten zu der Kundge­bung in dem Ort aufgerufen, in dem am 12. Juli Mar­i­nus Schöberl von drei Recht­sradikalen stun­den­lang gequält und dann bru­tal ermordet wor­den war. Erst am 16. Novem­ber war die Leiche des 17jährigen, den die mut­maßlichen Täter in ein­er ehe­ma­li­gen Jauchegrube ver­schar­rt hat­ten, ent­deckt wor­den (siehe junge Welt vom 25. 11.).

Anschließend zog der Protestzug in das benach­barte Strehlow vor das Jugendzen­trum. Das war in die Kri­tik ger­at­en, weil dort »akzep­tierende Jugen­dar­beit« mit recht­sradikalen Jugendlichen betrieben werde. Zumin­d­est ein­er der mut­maßlichen Mörder Schöberls hat­te dort regelmäßig verkehrt. Eine Sprecherin der Antifa Uck­er­mark kri­tisierte das »Mehrheit­skli­ma von Intol­er­anz, Frem­den­feindlichkeit und Recht­sex­trem­is­mus« in der Region. Man ver­weigere eine Diskus­sion und ignoriere die recht­sex­tremen Ursachen des Mordes an Schöberl. Die Tat würde in Pot­zlow und Umge­bung lediglich als »schreck­lich­er Einzelfall« dargestellt, »anti­semi­tis­che Überzeu­gun­gen der Täter« wür­den aus­ge­blendet, erk­lärte die Aktivistin. Seit Jahren glichen sich die »naiv­en und gefährlichen« Ver­suche, »die Jungs von der Straße zu holen und mit ihnen zu reden«, wie es heiße, sagte die Sprecherin. Und weit­er: Jugend­poli­tik bedeute in der Uck­er­mark »kein Geld, keine Poli­tik, keine anti­ras­sis­tis­che Bil­dung, keine Förderung emanzi­pa­torisch­er Pro­jek­te«, statt dessen »Akzep­tanz und Tol­er­anz gegenüber Nazis«. 

Einige Bewohn­er Pot­zlows äußerten gegenüber Pres­sev­ertretern ihren Unmut über den Protest­marsch. Man mache aus einem »Furz einen Ele­fan­ten«. Es gebe »keine recht­sex­treme Jugend­szene« in der Region. Zwar sei man »geschockt« über den Mord. Doch wären die Täter »gar keine richti­gen Nazis«, son­dern nur »Mitläufer«. Und das, obwohl im gesamten Ort eine vom Bürg­er­meis­ter, dem Pfar­rer und der Lei­t­erin des Jugendzen­trums unter­schriebene Erk­lärung aushängt, in der es heißt: »Wir trauern um Mar­i­nus Schöberl, der bes­tialisch von Recht­sex­tremen ermordet wurde«. 

Bere­its am Vor­mit­tag hat­te das Jugendzen­trum gemein­sam mit dem Min­is­teri­um für Bil­dung, Jugend und Sport, dem Mobilen Beratung­steam Bran­den­burg (MBT) und Pot­zlows Bürg­er­meis­ter Peter Feike zu ein­er Pressekon­ferenz geladen, um sich gegen die »Diskred­i­tierung« der Jugen­dar­beit durch »schlecht recher­chierende Jour­nal­is­ten« und antifaschis­tis­che Grup­pen zu wehren. Während Andreas Hillinger, Abteilungsleit­er im Bil­dungsmin­is­teri­um, sich nicht »wagen« wollte, »den Mord in Zusam­men­hang mit Recht­sex­trem­is­mus« zu sehen und »sich­er« war, daß »keine recht­sex­trem­istis­che Organ­i­sa­tion« den Tätern »als Motiv« gedi­ent habe, räumte MBT-Leit­er Wol­fram Hülse­mann ein, daß Schöberls Mörder »von einem Milieu indiziert« sein kön­nten, in dem es »Legit­i­ma­tion­s­muster für nicht­demokratis­che Strö­mungen« gebe. Gle­ichzeit­ig machte Hülse­mann deut­lich, daß »jed­er, der von der Jugen­dar­beit eine Ret­tung der Sit­u­a­tion« erwarte, »fehl« gehe. Man müsse Sozial­i­sa­tions­fak­toren wie Fam­i­lie und Schule »im Blick« haben. Weit­er sagte er, daß Jugendlichen »nur mit Akzep­tanz« begeg­net wer­den könne. Dies heiße aber nicht, daß »alles hin­genom­men« werde. Im Jugendzen­trum habe es jeden­falls »keine ver­fas­sungs­feindlichen Kennze­ichen« und »keine recht­sex­treme Musik« gegeben, hob Hülse­mann hervor. 

Bürg­er­meis­ter Feike erk­lärte, daß es »Wut« unter den Bürg­ern Pot­zlows gebe. Sie kön­nten mit dem »Medi­en­rum­mel schw­er umge­hen« und wür­den nicht ver­ste­hen, warum sie jet­zt in der Öffentlichkeit »in die rechte Ecke gedrängt« wer­den. Die Antifa-Demon­stra­tion würde im Ort als »Bedro­hung« emp­fun­den. Gegenüber junge Welt sagte Feike, daß man sich »bish­er nicht bewußt« gewe­sen sei, welche »poli­tis­chen Strö­mungen« in der Region existieren. Kün­ftig müsse man sich mit dem Prob­lem Recht­sex­trem­is­mus »mehr auseinan­der­set­zen«. Gle­ichzeit­ig forderte er von den Gemein­den »mehr Zivil­courage« ein. Bish­er, so der Bürg­er­meis­ter, hätte man »den Recht­sradikalen den Ein­druck ver­mit­telt«, sie kön­nten »alles machen«. Das liege aber auch daran, daß die Men­schen Angst hät­ten, Straftäter anzuzeigen. »Es gibt keinen richti­gen Schutz. Da wird dann ein­er einges­per­rt, und wenn der wieder rauskommt, muß man mit Repres­salien rech­nen«, so Feike. Als Grund für recht­sex­trem­istis­ches Gedankengut nan­nte er die mis­er­able wirtschaftliche Lage. In eini­gen Ortschaften läge die Arbeit­slosigkeit bei 80 Prozent. Von den Jün­geren seien die meis­ten wegge­zo­gen, dor­thin, wo sie Arbeit oder Aus­bil­dungsplätze gefun­den hät­ten. »Diejeni­gen, die hier bleiben, haben keine Aus­bil­dung und keine Arbeit. Das ist dann die beson­ders schwierige Klien­tel«, meinte Feike. Zudem »erschrecke« ihn, daß die Lan­desregierung »den Rot­s­tift immer zuerst bei der Jugen­dar­beit« ansetze. 

Am Nach­mit­tag fuhren die Demon­stran­ten mit Bussen in die Kreis­stadt Pren­zlau. Dort zogen sie mit weit­eren Grup­pen in einem neuer­lichen Protestzug durch die Innen­stadt. Wie ein Polizeis­prech­er mit­teilte, sei es durch die Teil­nehmer der Kundge­bun­gen in Pot­zlow, Strehlow und Pren­zlau zu »keinen Störun­gen oder Rechtsver­stößen« gekom­men. In Pot­zlow sprach die Polizei dage­gen zwei bekan­nten Recht­sradikalen Platzver­weise aus. In Pren­zlau wurde ein Mann festgenom­men, der dem Demon­stra­tionszug mit »Sieg Heil«-Ruf und Hitler-Gruß begeg­nete. Nach Angaben der Antifa sind Ange­hörige der Flüchtlingsini­tia­tive auf der Zug­fahrt von Berlin zur Kundge­bung nach Pren­zlau von Recht­sradikalen angepö­belt und mit Bier über­gossen worden. 

Gegen “recht­en Kon­sens” demonstriert

Umstrit­tene Aktio­nen in Pot­zlow, Strehlow und Pren­zlau von Antifa-Organ­isatoren als Erfolg bewertet

(Nord­kuri­er, Heiko Schulze) Die Demon­stra­tio­nen, zu denen die “Antifa Uck­er­mark” und die “Antifaschis­tis­che Aktion Berlin” am Woch­enende in Pot­zlow, Strehlow und Pren­zlau aufgerufen hat­ten, war nach Ein­schätzung der Ver­anstal­ter ein Erfolg. Mehrere hun­dert Jugendliche der linken Szene aus Berlin, Bran­den­burg und der Uck­er­mark nah­men den grausamen Tod des 16-jähri­gen Mar­i­nus S. in Pot­zlow zum Anlass für diese Aktio­nen unter dem Mot­to: “Pot­zlow ist über­all! Dem recht­en Kon­sens entgegentreten!”.
Der 16-jährige Mar­i­nus S. aus Ger­swalde war in Pot­zlow von drei Jugendlichen im Juli bru­tal ermordet wor­den. Die Tat selb­st wurde erst vor zwei Wochen bekan­nt. Alle drei Beschuldigten sitzen in Unter­suchung­shaft, wobei Ober­staat­san­walt Gerd Schnittch­er mit ein­er schnellen Anklageer­he­bung wegen Mordes rechnet. 

“Ver­bre­it­ete Ignoranz”

Hol­ger Zschoge, Antifa Uck­er­mark, stellte den recht­sex­tremen Hin­ter­grund der Tat und die Jugend­poli­tik in der Uck­er­mark als Kri­tikpunk­te her­aus: “Jugend­klubs wer­den zunehmend zu Tre­ff­punk­ten der recht­en Szene. Die Jugen­dar­beit selb­st wird von ver­ant­wortlichen Poli­tik­ern im Land­kreis offen­bar nur als Not­nagel gese­hen, wo sich am ehesten G
elder ein­fach wegstre­ichen lassen.”
Es sei in seinen Augen beze­ich­nend für die all­ge­mein ver­bre­it­ete Igno­ranz, so Zschoge, dass es kaum ver­ant­wortliche Poli­tik­er in der Uck­er­mark gäbe, die sich öffentlich zu dem Mord an Mar­i­nus S. und den recht­sradikalen Hin­ter­grün­den äußern. So vertei­digte Zschoge die umstrit­tene Demon­stra­tion gegen den Vor­wurf, dass diese “zur falschen Zeit und am falschen Ort” stattfinde. 

Pot­zlow­er und Strehlow­er Bürg­er ver­fol­gten den bun­ten Zug mit riesi­gen Laut­sprech­ern, aus dem Musik, Reden und Parolen tön­ten, eher mit gemis­cht­en Gefühlen. Von Sprüchen der mit Bussen aus Berlin angereis­ten Demon­stran­ten, wie “die Ent­bar­barisierung auf dem Lande ist weniger gelun­gen” oder “wir sind gekom­men, um im Dorf der Täter zu sprechen” fühlten sich viele in die “rechte Ecke” gedrängt. “Das ganze Dorf lei­det unter dem öffentlichen Rum­mel, viele trauen sich nicht mehr aus dem Haus, fühlen sich eingeengt”, schildert Klaus-Peter Jülich, der sich für eine harte Bestra­fung der Täter ausspricht, gle­ichzeit­ig aber gegen eine Verurteilung ein­er ganzen Region wehrt. “Um darüber nachzu­denken, warum der schreck­liche Mord geschehen kon­nte, brauchen wir nicht so ein The­ater von frem­den Demon­stran­ten”, stellt der Jugendliche Michael Dekarz her­aus. “Lasst uns doch in Ruhe, damit wir selb­st endlich zur Ruhe kom­men kön­nen”, forderte Ulf Baran. 

Im Jugendzen­trum Strehlow, das Demon­stran­ten als jenen Ort beze­ich­neten, indem “auch die recht­en Mörder ihre Freizeit ver­bracht­en, wenn sie nicht ger­ade Leute umbracht­en”, zeigten sich die Mitar­beit­er des Haus­es, des Mobilen B=
eratung­steams und Min­is­teri­ums für Bil­dung, Jugend und Sport “tief gekränkt” von der­erlei Vor­wür­fen, so Andreas Hilliger, Abteilungsleit­er im Min­is­teri­um. “Es geht eini­gen offen­sichtlich weniger um Mar­i­nus, als darum, uns in eine Ecke zu stellen. Dabei sind wir für jeden offen, der mit uns trauern will”, so Petra Freiberg, Lei­t­erin des Jugend­haus­es. Dabei ver­sicherte sie, dass zwei der Täter über­haupt nicht in das Strehlow­er Jugend­haus kamen. Fak­ten, die jed­er hätte erfra­gen kön­nen, bevor man leicht­fer­tig Urteile fällt: “Alle Teile der Gesellschaft, Jugen­dar­beit­er, Poli­tik­er und Medi­en, ste­hen in der Ver­ant­wor­tung zu ergrün­den, was dazu führte, dass junge Men­schen so eine Bru­tal­ität an den Tag legten. Wie gehen wir über­haupt mit unseren Kindern in der Gesellschaft um? Wenn wir die Auseinan­der­set­zung über diese Fra­gen flach hal­ten, war jede Träne für Mar­i­nus umson­st.” Wolf­gang Hülse­mann, Leit­er des Mobilen Beratung­steams des Lan­des Bran­den­burg, stellte sich demon­stra­tiv hin­ter die im Strehlow­er Jugend­haus geleis­teten Arbeit. Es sei gelun­gen, dass die jugendlichen Besuch­er Nor­men und Markierun­gen von Gren­zen selb­st durch­set­zen und nicht nur unter Druck annehmen: “Dazu zählt unter anderem, keine ver­fas­sungs­feindlichen Kennze­ichen zu tra­gen oder rechte Musik zu hören.” Dabei solle aber nie­mand der Illu­sion ver­fall­en, dass “freie, öffentliche Jugen­dar­beit die Ret­tung der all­ge­meinen Sit­u­a­tion bedeutet. Sie kann nur ein Teil der Entwick­lung­shil­fe für jun­gen Leute sein”, warnt Hülsemann. 

Ohne beson­dere Störung

Im Vor­feld der Demon­stra­tio­nen hat­te sich unter anderem die PDS Uck­er­mark deut­lich von der Ver­anstal­tung, die von dem Berlin­er PDS- Bun­desvor­standsmit­glied Carsten Hüb­n­er angemeldet wor­den war, dis­tanziert. Hüb­n­er selb­st erschien am Sonnabend nicht vor Ort. Aus Sicht der Polizei ver­liefen die drei Demon­stra­tio­nen, bei denen ins­ge­samt zir­ka 200 Beamte, unter­stützt vom Bun­des­gren­zschutz, im Ein­satz waren, ohne beson­dere Störung, so Polizeis­prech­er Burkhard Heise. Die hohe Anzahl an Polizis­ten recht­fer­tige er unter anderem mit zahlre­ichen Aufrufen link­er Bewe­gun­gen, vor allem im Internet. 

Vor Beginn der Kundge­bung in Pot­zlow wurde zwei Per­so­n­en der recht­en Szene (18 und 24 Jahre alt), Platzver­weis aus­ge­prochen. Im Bere­ich des Pren­zlauer Bahn­hofes nah­men Beamte einen 29-jähri­gen unter Alko­hole­in­fluss ste­hen­den Berlin­er nach “Sieg-Heil”-Rufen vor­läu­fig fest. “Durch die Teil­nehmer der Kundge­bung und Demon­stra­tion gab es keine Störun­gen oder Rechtsver­stöße”, ver­sicherte Heise abschließend.

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