„Brandenburg muss brennen, damit wir grillen können“ ist wohl einer der witzigsten Buchtitel, der derzeit in gut sortierten Buchländen zu finden ist. Der Roman ist geschrieben von Florian Ludwig, der als Linker im Brandenburger Städtchen Rathenow aufgewachsen ist. Wortgewandt schreibt er über die Zeit Ende der Achtziger und den Beginn der Neunziger Jahre. Eine Zeit, die eigentlich alles andere als witzig war. Inforiot wollte mehr darüber wissen und sprach mit Florian über sein neues Buch.
Inforiot: „Nachts sind alle Glatzen blau“ ist einer dieser Sätze in deinem Buch: er trägt Humor in sich, aber auch die bittere Realität der Neunziger Jahre. Du schreibst über die Zeit nach dem Ende der DDR, als Jugendlicher mit vielen Möglichkeiten und einem Haufen Scheiße an der Backe. Wie war es denn damals mit den Nazis in deiner Stadt?
Florian: Vielleicht würde ich eher fragen, wie es für uns damals war. Einige der damaligen Protagonisten brachten ja subkulturelle Formen aus DDR-Zeiten mit rüber in die sogenannte Wendezeit, ob nun als Punks, Grufties oder Autonome.
Im Zeitraum zwischen der Grenzöffnung 1989 und der offiziellen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 explodierte die Naziskinbombe, jeder Dödel konnte sich auf den Wochenmärkten zwischen Stralsund und Suhl eine grüne Bomberjacke und Springerstiefel kaufen. So auch in Rathenow. Kevin, Maurice, Ronny und Mario (klischeebeladene Beispielnamen) hatten den Gleichschritt ja schon aus DDR-Zeiten drauf.
Das Problem war, dass sich in Rathenow eine rechte, extrem enthemmte Gewaltszene entwickelte. Für uns als linksalternative Subkultur stellte sich die Frage, bis zu welchem Niveau gehen wir da mit. Die Ostbullen, als regulierender Faktor, spielten keine Rolle mehr. Aus Selbstschutz wurden zum Beispiel Häuser besetzt, da einige Leute selbst in ihren Wohnungen nicht mehr sicher waren. Das Positive an diesen Besetzungen war, dass die Leute sich untereinander besser kennenlernten, gemeinsam neue Aktionsformen ausprobieren konnten. Aus diesen Strukturen entwickelten sich Projekte, die in einigen Städten in Brandenburg noch heute existieren.
Schade, dass damals soviel Energie und Kreativität für antifaschistische Arbeit aufgebracht werden musste. Aber es war eben notwendig, ja ohne zu dramatisieren, existenziell notwendig.
Inforiot: Im Buch geht es um Berndte, um Oimel und andere junge Punks, auf der Suche nach Freiräumen, die sie im Fußball, im Alkohol, auf Partys oder besetzten Häusern finden. Sie wollen provozieren und wollen sich ausprobieren. Welche Bedeutung hatte und hat in deinen Augen linke Subkultur in einer Kleinstadt?
Florian: Zum einen hat sie die selbe Funktion wie in Großstädten auch. Sie steht für Protest gegen die Sauereien in dieser Gesellschaft und kann Orientierung und Basis sein für junge Leute, die Fragen haben, auf der Suche nach Orientierung, Freundschaft und auch Spaß sind.
Das Problem in Kleinstädten beziehungsweise im ländlichen Raum ist, dass alle alle kennen, sowohl Freund als auch Feind. Da quatscht der Bürgermeister die Politaktivistin in der Kaufhalle mit Vornamen an, der Dorfbulle erkennt deine letzte gesprühte Parole am Geruch und die Nachbarn tratschen schon über deine Entgleisungen beim letzten Punkkonzert, obwohl du noch nicht mal zu Hause angekommen bist.
Inforiot: Wie ist es heute in Rathenow? Das Bürgerbündnis Havelland, mit seinen rassistischen Versammlungen, hast du dir ja schon angeschaut. Der Gegenprotest ist eher verhalten. Gibt es denn noch Punks in der Stadt?
Florian: Na gut, der Protest gegen diese Dödeltruppe ist ja nicht von Punks abhängig. Soweit ich das verfolge, gab und gibt es diesen Protest, manchmal leise, manchmal laut, oft auch intelligent.
Punk in Rathenow, ja den gibt es! Selbst aus meiner Generation sind da noch Leute in Bands aktiv. Andere organisieren Veranstaltungen zu Punk in der DDR oder lassen sich auch mal von mir was vorlesen.
Inforiot: „Gehen oder bleiben?“ – die Frage, stellen sich wohl die meisten mit 18 Jahren. Du lebst schon seit vielen Jahren in Berlin. Hast du jemals drüber nachgedacht wieder nach Brandenburg zu ziehen?
Florian: Holt die Lüneburger Heide nach Brandenburg und ick komm zurück!
Vor ein paar Jahren hatte ich mal so was wie Landsehnsucht. Aber nach mehr als 20 Jahren bin ich hier verwurzelt, habe erlebt, wie die Stadt sich verändert. So mancher Urberliner spendierte mir inzwischen eine Bockwurst und es gibt immer noch Ecken in der Stadt, da „brandenburgt“ es ganz schön…
Inforiot: Und zu guter Letzt: Inforiot wird nun auch volljährig. Sollen wir gehen oder bleiben?
Florian: Bleiben, auf jeden Fall!
Brandenburg ohne Inforiot, das wäre wie Polizeiruf 110 ohne Wachtmeister Horst Krause, wie ein gut sortierter Infoladen ohne die SUPERillu, wie Potsdam ohne Frauenkirche und Zwinger – oder so…
Vor 18 Jahren wurde Inforiot als ein linkes Portal für Politik und Subkultur in Brandenburg ins Leben gerufen. Viele, die mit uns aufgewachsen sind, waren Punks oder sind es heute noch. Am 17. November feiern wir daher ein wenig Retro mit einem Punkkonzert. Und Florian wird aus „Brandenburg muss brennen, damit wir grillen können“ lesen.
17. November | ab 20 Uhr | Freiland Potsdam
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