(MAZ) POTSDAM Brandenburgs Justizministerin Barbara Richstein (CDU) will die
Erstellung des genetischen Fingerabdrucks für die Verbrechensbekämpfung
beschleunigen und zu dem Zweck alle bisherigen rechtlichen Schranken
beseitigen. Insbesondere sollen DNA-Proben künftig ohne Genehmigung durch
einen unabhängigen Richter untersucht werden dürfen, kündigte die Ministerin
gestern in Potsdam an. Rechtsexperten aus unterschiedlichen politischen
Lagern lehnten diesen Vorstoß auf das schärfste ab.
Brandenburgs ehemaliger Justizminister Kurt Schelter (CDU) forderte
gegenüber der MAZ kategorisch: “Der Richtervorbehalt muss bestehen bleiben.”
Der unter seiner Amtsführung in Brandenburg eingeschlagene Weg bei der
DNA-Erfassung sei “der richtige” gewesen — zumal die bisherige Praxis in
Brandenburg im Einklang mit höchstrichterlichen Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts steht.
Der rechtspolitische Sprecher der PDS-Fraktion, Stefan Sarrach, äußerte die
“Sorge, dass Richstein und Innenminister Schönbohm die letzten Hürden des
liberalen Rechtsstaats schleifen wollen”. Der Landesvorsitzende der FDP und
ehemalige Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Heinz Lanfermann,
kritisierte: “Ich halte die Pläne für falsch. Die CDU will sich offenbar im
Hinblick auf den Landtagswahlkampf als law-and-order-Partei profilieren.”
Unterstützung erhielt Richstein hingegen aus ihrer eigenen Fraktion und vom
Koalitionspartner SPD sowie vom Landesverband des Bundes deutscher
Kriminalbeamter (BdK). BdK-Landeschef Wolfgang Bauch sprach von einer
“mutigen und zeitgemäßen Entscheidung” der Ministerin. Nach Richsteins
Wünschen — die sich mit denen des Innenministeriums decken — soll es künftig
keinen Unterschied mehr zwischen einem normalen und einem genetischen
Fingerabdruck geben. Nach einer angestrebten Gesetzesänderung auf
Bundesebene soll die Polizei autorisiert werden, grundsätzlich bei jedem
Verdächtigen DNA-Untersuchungen anzuordnen. Bisher darf nur ein unabhängiger
Richter DNA-Tests anordnen.
Um Missbräuche zu erschweren, müssen dabei hohe rechtliche Standards befolgt
werden, wie das Bundesverfassungsgericht betont hat. Auch diese
Voraussetzungen müssen nach Richsteins Vorstellungen künfig offenbar nicht
mehr so strikt eingehalten werden. Laut Bundesverfassungsgerichts vom 20.
Dezember 2001 darf ein DNA-Test nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung
angeordnet werden, sofern gleichzeitig eine Wiederholungsgefahr
wahrscheinlich ist. “Diese Prognoseentscheidung setzt von Verfassungs wegen
voraus, dass ihr eine zureichende Sachaufklärung, insbesondere durch
Beiziehung der verfügbaren Straf- und Vollstreckungsakten, des
Bewährungshefts und zeitnaher Auskünfte aus dem Bundeszentralregister,
vorausgegangen ist”, so das höchste Gericht.
Wie Polizeibeamte diese Kriterien erfüllen sollen, konnte Richstein gestern
nicht erläutern. Sie verwies allerdings darauf, dass die DNA-Untersuchung
eine der effektivsten Methoden der Verbrechensbekämpfung des Jahrhundert sei
und zum Opferschutz beitragen könne. Die Ministerin erklärte zudem, dass sie
in einem DNA-Test keinen gravierenden Eingriff in das Recht der
informationellen Selbstbestimmung erkenne. Das Bundesverfassungsgericht
stellte demgegenüber fest: “Die Feststellung, Speicherung und (künftige)
Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters greifen in das durch” Artikel 2
des Grundgesetzes “verbürgte Recht auf informationelle Selbstbestimmung
ein.”
FDP-Landeschef Lanfermann erklärte dazu, dass die Aufgabe dieses Rechts
“unserem Menschenbild als freies, sich selbst bestimmendes Wesen
widerspreche”. Das Recht, über persönliche Daten zu bestimmen, sei
essentiell wie die Rechte auf körperliche Unversehrtheit und Eigentum. Auch
wenn die Polizei Erbgut-Daten nur zur Verbrechensbekämpfung einsetze, sei
Missbrauch nicht auszuschließen. Man müsse sehen, was am Ende dieser
Entwicklung stehen könne, so der Jurist: zum Beispiel, dass Versicherungen,
Krankenkassen und Arbeitgeber Zugriff auf intime Daten nehmen könnten.
Justizministerin will Gen-Tests erleichtern
Polizisten sollen DNA-Proben von Verdächtigen ebenso einfach nehmen können wie Fingerabdrücke
(Tagesspiegel, Thorsten Metzner) Potsdam. Nach dem Willen von Brandenburgs Justizministerin Barbara Richstein
(CDU) soll jeder Polizist künftig Speichelproben von Verdächtigen nehmen
dürfen. Der so genannte “genetische Fingerabdruck” müsse dem herkömmlichen
Fingerabdruck gleichgestellt werden, forderte Richstein am Dienstag in
Potsdam.
Richstein begründete die Notwendigkeit einer entsprechenden Änderung der
Bundesgesetze damit, dass sich die Gen-Analyse als “eine der effektivsten
Methoden zur Verbrechensbekämpfung” erwiesen habe. Der Vorstoß ist
gleichwohl umstritten, da dann Polizisten künftig gegen den Willen
Betroffener und ohne Zustimmung eines Richters Proben des Erbmaterials (DNA)
nehmen und mit Polizeidatenbanken abgleichen dürften. Das lehnt zum Beispiel
der Brandenburger Richterbund strikt ab. “Das wäre ein massiver Eingriff in
die Persönlichkeitsrechte”, warnte Wolf Kahl, der Vorsitzende des
Richterbundes. Der SPD-Innenpolitiker Werner-Siegwart Schippel dagegen
unterstützte die Forderung nach Gleichstellung des genetischen
Fingerabdrucks — und regte eine Bundesratsinitiative Brandenburgs an.
Bislang ist die Gen-Analyse nur mit richterlicher Erlaubnis und
ausschließlich zur Aufklärung von Kapital- und Sexualverbrechen zulässig.
Auch die Beschränkung auf diese Straftaten sei zu restriktiv; der Katalog
müsse erweitert werden, sagte Richstein. Sie unterstütze eine
Bundesratsinitiative Bayerns und Hessens, wonach auch der “genetische
Fingerabdruck” von Kriminellen registriert werden soll, die wegen
gewerbsmäßiger und Bandenkriminalität sowie Drogendelikten verurteilt
wurden.
Bislang liegen in der Gendatenbank des Bundeskriminalamtes Proben des
Erbmaterials von 5904 wegen Kapital- und Sexualverbrechen vorbestraften
Brandenburgern. Bei ihnen wurden nach richterlicher Zustimmung DNA-Proben
genommen, weil Wiederholungsgefahr nicht ausgeschlossen werden konnte.
Richstein kündigte außerdem an, dass das praktische Prozedere des
genetischen Fingerabdrucks in Brandenburg beschleunigt werden soll. Wenn
Betroffene mit der Probe einverstanden sind, soll der Gang zum Richter
entfallen können.
Erfassung von DNA-Daten wird erweitert
SPD unterstützt Ministerin
POTSDAM. Brandenburgs Justizministerin Barbara Richstein (CDU) fordert, die
Möglichkeit zur Erfassung des genetischen Fingerabdrucks erheblich zu
erweitern. Rechtlich müsse die DNA-Analyse mit dem herkömmlichen
Fingerabdruck gleichgesetzt werden, sagte sie am Dienstag. Diesem Vorstoß
schloss sich auch die SPD-Fraktion an. Ihr innenpolitischer Sprecher
Werner-Siegward Schippel forderte gar eine entsprechende
Bundesratsinitiative Brandenburgs.
Vorerst will Richstein zumindest die vom Land auszulegenden
Verwaltungsvorschriften zum Umgang mit dem genetischen Fingerabdruck
lockerer handhaben. Bei der seit März 2000 begonnenen, in Brandenburg noch
andauernden Datenerfassung der DNA von verurteilten Sexual- und anderen
Gewaltstraftätern muss künftig nicht mehr zwingend die Genehmigung eines
Richters eingeholt werden. Brandenburg werde ab sofort die so genannte
Freiwilligkeitslösung praktizieren, sagte Richstein. Danach reiche die
Zustimmung des Betroffenen aus. Ähnlich verfahren bereits Baden-Württemberg,
Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen und Sachsen.
Bislang sind in der DNA-Datei des Bundeskriminalamtes (BKA) 5 904
Brandenburger Straftäter sowie 1 372 Spuren (etwa von an einem
Tatort
aufgefundenen Zigarettenkippen) gespeichert. Die von Richstein angeordnete
Verfahrenserleichterung betrifft vorerst nur gut 600 Personen, bei denen die
Datenerfassung noch andauert. Nach einer ab April geltenden Gesetzesänderung
soll der Straftatenkatalog aber erweitert werden, der zur Speicherung in der
DNA-Datei führt.
Durch Einsatz des genetischen Fingerabdruckes waren der Brandenburger
Polizei erst im Dezember spektakuläre Ermittlungserfolge geglückt: Per
Datenabgleich wurden zwei bereits 15 und 17 Jahre zurückliegende Sexualmorde
aufgeklärt. Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) setzte sich aus diesem Anlass
für die Gleichsetzung mit dem normalen Fingerabdruck ein.