Nun ist wieder etwas Schreckliches passiert. Eine Mutter hatte im letzten Jahr ihr Baby in eine Toilette hinein geboren, wodurch dieses zu Tode kam. Anlässlich der Obduktion seien Spuren von Drogen im Kindeskörper gefunden worden. Das folgende soll nicht die Tat herunterspielen. Es geht um Kindestötung und das ist ernst. Es kann nicht toleriert werden, dass Mütter ihre Kinder, weil sie diese nicht haben wollen, einfach sterben lassen. Aber trotzdem die Frage: Wer ist nun die Täterin?
Für die Staatsanwaltschaft Potsdam ist dies Grund genug 1700 Frauen zur Speichelprobe aufzurufen. Deren Personalien wurden anlässlich des „Shiva Moon Festival“ im August letzten Jahres aufgenommen, wo die Tat geschah.
Anhand des DNA-Musters wird dann wohl zweifelsfrei die Mutter und somit auch die Täterin ermittelt werden können.
Auf den ersten Blick rechtfertigt die Tat auch die Maßnahme. Nur was ist mit den 1699 unschuldigen Frauen? Sie werden von Anfang an unter Generalverdacht gestellt. Jede kommt als Täterin in Frage. Nun ist ein Grundsatz des Strafverfahrens aber, dass der Angeklagte solange als unschuldig zu gelten hat, bis seine Schuld erwiesen ist. Hier wird nun alles verdreht! Es gibt nicht eine, sondern 1700 Angeklagte und 1699 können sich nun entlasten. Gegen diese wird dann das
Ermittlungsverfahren fallen gelassen. Formal werden diese noch nicht mal als Beschuldigte betrachtet. Aber genau das sind sie! Die Staatsanwaltschaft Potsdam weist in diesem Zusammenhang auch nicht darauf hin, dass ihr eine Rechtsgrundlage für den Aufruf fehlt.
Zum einen ist das „Spurenmaterial“ zu entnehmen. Das geschieht in der Form der Speichelprobe. Die Anordnung steht dem Richter zu, nur wenn die Vereitelung einer Entnahme der Köperzellen ansteht, darf dies auch die Staatsanwaltschaft. Die Anordnung der eigentlichen DNA-Analyse, also
der Untersuchung des Speichels ist in der Strafprozessordnung dem Richter vorbehalten.
Dieser kann eine solche anordnen, „soweit sie zur Feststellung … der Tatsache, ob aufgefundenes Spurenmaterial von dem Beschuldigten … stammt, erforderlich“ ist. Vom Beschuldigten einer Straftat! Also der Umweg mit der „Freiwilligkeit“.
Aber, warum wird es den Strafverfolgungsbehörden denn nur so schwer gemacht? Die Frage ist sicher nicht einfach zu beantworten, denn es geht ja um die Aufklärung von Straftaten. Aber es geht auch um die persönlichen Rechte jedes einzelnen von uns! So hat jeder Bürger der
Bundesrepublik ein Recht, grundsätzlich selbst darüber zu bestimmen, wer Daten von ihm/ihr erhält und wozu sie verwendet werden. Im „Volkszählungsurteil“ des Bundesverfassungsgerichtes vom Oktober 1983 wird festgestellt: „Das Grundrecht (auf informationelle Selbstbestimmung aus Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz, Anm. d. Verf.) gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.“ Und eben alle Bürger sind Träger
dieses Grundrechtes. Und da es um ein Menschen- und Bürgerrecht geht, benötigt der Staat eben ein Gesetz, um in die Privatsphäre des einzelnen einzugreifen. Keiner soll sich entlasten müssen, nur weil er einer von mehr als 80 Millionen potenziellen Tätern ist.
Nun mag man sagen, dass die Frauen doch freiwillig zur Speichelprobe antreten können. Auch vernimmt man gerne, dass der- oder diejenige, die nichts zu verbergen hat, ja wohl keinen Grund hat, nicht dort hin zu gehen. Doch! Genau letzteres lässt die Freiwilligkeit entfallen. Der
Druck der Öffentlichkeit wird als Zwang genutzt. Denn, wer nicht seinen/ihren Speichel abgibt, hat wohl was zu verbergen. Oder man selbst, denkt man vielleicht nicht: Es wäre doch besser hin zu gehen, sonst denkt mein
Nachbar, dass … . Dieser Mensch wird dann naturgemäß gemieden. Denn es steht zu befürchten, dass man bei einer Frau, die nicht freiwillig zur Speichelprobe antritt, einer Kindesmörderin gegenübersteht. Und weiß Gott, damit will man nun wirklich nichts zu tun haben.
Also, die Freiwilligkeit ist ein von der Staatsanwaltschaft benutzter Begriff. Das geschriebene Wort verliert seine Bedeutung, ja es wird verkehrt in sein Gegenteil. Und deshalb sollte niemand „freiwillig“ zur Speichelprobe gehen, sonst stehen wir morgen beim Polizeipräsidium an,
weil wieder ein Diebstahl passiert ist.
Felix Halle, Mitglied des Rote Hilfe e.V.