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5000 bei Ostermarsch durch Kyritz-Ruppiner Heide

Oster­marsch in Fret­z­dorf beim Witt­stock­er Bom­bo­drom: Reportage

Das große Peace-Zeichen rechts vor der Auto­bahn­ab­fahrt Herzsprung ist mir schon immer aufge­fall­en, wenn ich mit dem Auto nach Ham­burg, Lübeck oder an die Ost­see gefahren bin. Heute war es mein Zielpunkt. Etwas über 100 km hat­te ich schon zurück­gelegt. Es war kurz nach 14 Uhr.

Die Sonne schien wie man es von ihr an einem Oster­son­ntag erwartet. Ich set­zte den Blink­er und rollte in Fret­z­dorf ein. Ich erblick­te ein selb­st­ge­maltes Papp­schild: “PARKEN DEMO”. Ich war also richtig ohne einen Blick auf eine Karte gewor­fen zu haben. Der pro­vi­sorische Park­platz war bere­its rest­los über­füllt. Zwei­hun­dert Meter vor mir erblick­te ich schon den bun­ten Demonstrationszug.
Bald lief ich zwis­chen Kinder­wa­gen, Omis und jun­gen Papas und Mut­tis. Viele tru­gen Luft­bal­lons in den Hän­den und grelle Aufk­le­ber gegen Krieg und Mil­itär an den T‑Shirts.

Manche tru­gen Bilder von ein­er typ­isch bran­den­bur­gis­chen Land­schaft, über der ein schwarz­er Vogel kreiste, der kein­er war. Ein Düsen­jäger, so ein falsch­er Vogel hat über der Rup­pin­er Hei­de nichts zu suchen. Mir schien es, als hät­ten mehrere Leute die gle­iche Idee gehabt. Die Men­schen­massen hat­te ich anfangs auf der kleinen Land­straße extrem unter­schätzt. Wir ließen das Ortss­child hin­ter uns und begaben uns in ein waldiges Stückchen. Für mich war es das erste Mal, daß ich auf ein­er Demon­stra­tion die Vögel zwitsch­ern hörte. Links und rechts der Straße waren Kröten­schutz­zäune und kröten­grüne Dorf­polizis­ten aufgestellt wor­den. Diese erhiel­ten heute auch etwas Unter­stützung von ihren Pots­damer Kollegen.

Für die Frei­willige Jugend­feuer­wehr muß es auch ein beson­der­er Tag gewe­sen sein. Stolz posierten bei der Hitze die Teenage-Mutant-Feuer­wehrboys in ihren reflek­tieren­den Jack­en und funk­ten sich alle möglichen sinnlosen Nachricht­en zu. “Ja, wir sind hier auf Kon­troll­gang. Alles ganz cool hier. Ja Du mich auch. Over and out.” 

Der Demon­stra­tionszug bog in einen Sandweg ein. Die Demon­stran­ten waren nun von gel­ben Nebel umhüllt. Plöt­zlich sah ich ein Schild, daß mich davor war­nen wollte, daß ich mich nun in einen mil­itärischen Sicher­heits­bere­ich begebe. Doch ich fol­gte wie alle anderen der klas­sis­chen Musik, die durch die Bäume schallte.

Zwei­hun­dert Meter weit­er, in sicher­er Ent­fer­nung stand auf einem Wald­weg ein Bun­deswehr-Jeep, ein Wagen der Feld­jäger und ein Wagen des Wach­schutzun­ternehmens Sicher­heit Nord GmbH, mit SL-Kennzeichen.

Wir gelangten auf eine riesige Wiese mit­ten im Wald. Sie schien extra gemäht wor­den zu sein. Eine Menge Stände und Trans­par­ente und eine noch viel größere Menge Men­schen füllte die Heide.

Ich hätte auf drei oder vier­tausend getippt. 5000 waren es. Ein bunter Haufen mit vie­len bun­ten Pace-Fah­nen, Attac‑, PDS, FAU-Fah­nen und Flaggen, die ich nicht zuord­nen konnte. 

Ich freute mich ins­ge­heim, daß keine schlim­meren Polit­sek­ten-Bernds den Weg nach Fret­z­dorf gefun­den hatten.
Ich fühlte mich erin­nert an die bewegten Monate zwis­chen Okto­ber 89 und Sep­tem­ber 90. Der Kirchen­chor trat vor die kleine Wagen­bühne und sang vom Him­mel, vom Him­mel über der Hei­de, über die der Adler, aber nicht der Tiger, Tor­na­do oder Eurofight­er fliegen soll. Dahin­ter — Trans­par­ente mit Auf­schriften wie:
“Stal­ins Schieß­paltz = Euer Schieß­platz.”. Rechts davon: Kuchen­basar, Info­s­tand, Bier­auss­chank und Eiswagen.
Links das Hei­dep­so­tamt der Bürg­erini­tia­tive FREIe HEIDe.
Hier lagen die Adressen von Platzeck, Schröder, Struck und Mün­te­fer­ing aus. Man kon­nte gle­ich eine Postkarte und eine Brief­marke kaufen, um ihnen zu schreiben. 

Ein Gesicht, daß ich in den ver­gan­genen Monat­en mehr als genug gese­hen habe, rück­te plöt­zlich in den Mit­telpunkt. Strö­bele war extra aus Berlin angereist und sprach nun mit sein­er leicht heis­eren Stimme vor den Massen. “Vor einem Jahr sah die Welt noch anders aus. Vor einem Jahr […], Vor einem Jahr […]”
Seine kün­stliche Wir-Form, seine rhetorischen Wieder­hol­un­gen nervten mich recht schnell. Vor ihm standen sieben Rei­hen inter­essiert­er Zuhören­der, doch im Großen und Ganzen — all­ge­meine Gleichgültigkeit.
Einige Leute schüt­tel­ten die Köpfe, blick­ten empört oder raun­ten auf, als er die Worte neue Bun­deslän­der und Ost­deutsch­land in den Mund nahm. 

“Wir haben einen Krieg gegen den Irak erlebt. Er scheint zu Ende zu sein.” Mir blieb fast die leckere Bratwurst im Halse steck­en. Strö­bele scheint kein Indy-Leser und auch son­st sehr leicht­gläu­big zu sein. “Wir fordern, daß das Gewalt­monopol der UNO über­tra­gen wird.” Schon wieder hätte ich mich beina­he ver­schluckt. Ich fordere kein Gewalt­monopol für irgendwen.
Wer Gewalt­mono­pole fordert, für wen auch immer, fordert die Monop­o­lisierung von Gewalt. Damit habe ich ein deut­lich­es Prob­lem. Ich habe mich später geärg­ert ihn nicht drauf ange­sprochen zu haben, als er unweit mir auf der Wiese saß oder vor mir am Eiswa­gen stand und sein rot-grünes Eis bestellt hat. 

Später sprach der PDS-Umwelt­min­is­ter von Meck­len­burg Vor­pom­mern und betonte, daß der Krieg längst nicht zu Ende ist und gegen jeglich­es Völk­er­recht ver­stößt. Das Ergreifen­ste war jedoch, der Augen­blick, als 4000 Papierkraniche mit Hil­fe von heli­umge­füll­ten Luft­bal­lons in den Him­mel stiegen.
Eine Frau aus der Region erzählte vorher die Geschichte, der kleinen Sadako aus Hiroschi­ma, die als Sym­bol für Gesund­heit und Hoff­nung im Kranken­haus 1000 Kraniche fal­ten wollte, aber bis zu ihrem Tod nur 644 schaffte. Als die bun­ten Bal­lons mit den Papiervögeln im Gepäck in den Him­mel stiegen, flossen manchen Leuten Trä­nen übers Gesicht. Die Kinder freuten sich, ran­nten ihnen nach und streck­ten ihre Zeigefin­ger in die Höhe. Am Hor­i­zont zog sich plöt­zlich ein langer, weißer Kon­densstreifen eines Flugzeuges in die Länge.
Durchwach­sene Stim­mung. Einige Luft­bal­lons blieben in den Bäu­men hän­gen. Doch die meis­ten waren bald nur noch schwarte Punk­te und bald gar nicht mehr zu sehen. 

Es wur­den noch ein paar Lieder auf die freie Hei­de und ein paar von Bob Dylan gesun­gen. Dann war Schluß. Die Wiese leerte sich. Die bun­ten PACE-Fah­nen zogen nochmal durch Fret­z­dorf, dies­mal einzeln. Die Fret­z­dor­fer Jugend nutzte den Durch­gangsverkehr und betrieb Fundrais­ing für ihren Jugen­draum. Der Rück­weg wurde ein son­niger Osterspaziergang.
Ob dies näch­stes hier auch noch so möglich sein wird, ob man Vögel zwitsch­ern oder Düsen­jäger die Schall­mauer durch­brechen hören wird…? Ich weiß es nicht. Trotz­dem hat mir dieser Oster­son­ntag Kraft geben kön­nen und mir gezeigt, daß es nicht nur im Wend­land, son­dern auch hier in Bran­den­burg fitte, engagierte Leute gibt, die sich nicht alles gefall­en und sich schon gar nicht in die Knie zwin­gen lassen. 

5000 bei Oster­marsch durch Kyritz-Rup­pin­er Heide

Etwa 5000 Men­schen aus ver­schiede­nen Teilen Deutsch­lands nah­men am Oster­son­ntag, den 20. April 2003 an einem Oster­marsch durch die Kyritz-Rup­pin­er Hei­de teil. Der Marsch stand unter dem Mot­to: “Der Frieden braucht kein Bombodrom.”
Der Aufzug startete 14.00 Uhr in Fret­z­dorf bei Witt­stock und endete auf ein­er Wiese am Rande des mil­itärischen Sper­rge­bi­etes des Witt­stock­er Bombodroms.
Auf der Abschlußver­anstal­tung sprachen ver­schiedene Aktivis­ten der Ini­tia­tiv­en FREIe HEIDe(Brandenburg) und Freier Him­mel (Meck­len­burg Vor­pom­mern), Vertreter der örtlichen Kirche und Gemein­de­v­er­wal­tung, der Bun­desstagsab­ge­ord­neter der Grü­nen Strö­bele und der Umwelt­min­is­ter und stel­lvertre­tender Min­is­ter­präsi­dent von Meck­len­burg-Vor­pom­mern Wottling.
Die Demon­stri­eren­den ließen auf dem Militär
gelände über 4000 Papierkraniche an Luft­bal­lons in die Höhe steigen.
Die Proteste richt­en sich in erster Lin­ie gegen die zwiespältige Hal­tung der Bun­desregierung, die ein­er­seits das Betreiben des Bom­bo­droms um jeden Preis erzwin­gen möchte,sich aber ander­er­seits öffentlich gegen den Krieg aus­ge­sprochen hat und damit große Unter­stützung in bre­it­en Teilen der Bevölkerung fand. 

VOM KALTEN KRIEG ZUM HEISSEN KRIEG:

Luft­waffe tritt Stal­ins Erbe an

Der Protest der Men­schen in der Region zwis­chen Rheins­berg, Kyritz, Witt­stock und Neu­rup­pin verbindet per­sön­liche und regionale Inter­essen mit Welt­poli­tik. Hier befind­et sich ein 142 qkm großes Bomben­ab­wur­fgelände der Bun­deswehr. Dieser wurde in den frühen fün­fziger Jahren durch die sow­jetis­chen Alli­ierten geschaf­fen. Das Übungs­gelände wurde zu Zeit­en des Kalten Krieges nicht zufäl­lig in der Nähe von (West-) Berlin angelegt. Die Fläche entspricht etwa einem Sech­s­tel der Fläche Berlins.

Bere­its im August 1992 grün­dete sich in Schwein­rich die Bürg­erini­tia­tive gegen den größten Bomben­ab­wurf­platz Europas FREIe HEI­De.
1995 rück­ten die GUS-Trup­pen ab. Die Bun­deswehr erhob plöt­zlich Anspruch auf das Are­al. Ein son­st üblich­es Plan­fest­stel­lungsver­fahren wurde nie eingeleitet.
In weni­gen Tagen möchte die Luft­waffe mit der aktiv­en Nutzung des Bom­bofroms als Luft­waf­fen-Übungsplatz begin­nen. Ein­er­seits nimmt das Bom­bo­drom der wirtschaftlich am Boden liegen­den Region das let­zte Stand­bein, den Touris­mus. Ander­er­seits würde eine Dul­dung ein­er solchen Anlage, die auch an Armeen ander­er Län­der ver­mi­etet wer­den soll, eine indi­rek­te Unter­stützung kriegerisch­er Hand­lun­gen in der ganzen Welt bedeuten.

“Krieg begin­nt mit Rüs­tung und Train­ing. Witt­stock ver­hin­dern heißt einen großen Stein auf den €päis­chen Weg zur mil­itärischen Groß­macht wälzen!”, heißt es in einem Flug­blatt der FREIen HEIDe. 

PAPIERKRANICHE STATT TIGER-HUBSCHRAUBER

Jed­er Tag ein Local Action Day — seit 1992

Die Aktivis­ten der FREIen HEI­De und des Freien Him­mels fie­len immer wieder durch neue, kreative Protest­for­men auf. Men­schen aus allen Bevölkerungss­chicht­en fühlen sich betrof­fen und äußern seit Jahren ihren Unmut. Im Juli 2002 wurde der alte Kom­man­do­turm des Flug­platzes zwis­chen Schwein­rich und Alt Lut­terow beset­zt, pink ange­malt und zum Pink-Point-Touris­mus­cen­ter umgewandelt.
Mahn- und Gedenkstät­ten wur­den errichtet, von Unbekan­nten zer­stört oder von der Bun­deswehr offiziell aus Grün­den der Sicher­heit umgesetzt.
Beim Oster­marsch 1999 wurde die Kon­tur des Bom­bo­droms durch Men­schen­massen nachgestellt.
Über 60 Protest­wan­derun­gen wur­den durchge­führt. Die For­men des Wider­stands an der bran­den­burg-meck­len­bur­gis­chen Gren­ze sind so vielfältig wie die Men­schen, die dort zu Hause sind. 

MEHR FRIEDEN DURCH MEHR WAFFEN?

Bald wieder Flug­train­ing im Witt­stock­er Bombodrom

Vor drei Jahren unter­sagte zwar das Bun­desver­wal­tungs­gericht die Weit­er­nutzung des Gelän­des als Bomben­ab­wurf­platz, nicht jedoch die weit­ere mil­itärische Nutzung durch die Bun­deswehr. Diese betreibt dort zur Zeit eine ca. 60 Per­so­n­en umfassende Objektverwaltung.
“Mit der Über­ganbe des Platzes an das Bun­des­fi­nanzmin­is­teri­um ist der Platz nicht entwid­met. Die Bun­deswehr braucht kein Plan­fest­stel­lungsver­fahren durch­führen.” Die weit­ere Nutzung des Bom­bo­droms sei außer­dem die gle­iche wie zu DDR-Zeit­en. Derzeit­ig wer­den in Teilen des Gelän­des Muni­tion­sräu­mungsar­beit­en durchgeführt. 

Die Bewachung des Sper­rge­bi­etes wurde an dei Flens­burg­er Fir­ma Sicher­heit Nord GmbH überta­gen. Zweistündlich umfährt ein PKW die Außen­gren­zen des Sperrgebietes.
Die Mitar­beit­er stam­men jedoch aus den einzel­nen umliegen­den Dör­fern. Aktivis­ten der Bürg­erini­tia­tiv­en ver­muten hier­hin­ter eine Spal­tungsstrate­gie der Ver­ant­wortlichen der Bun­deswehr. Doch Vertei­di­gungsmin­is­ter Peter Struck (SPD) plant noch im April 2003 eine Wieder­in­be­trieb­nahme des Bom­bo­droms. Ende April soll der Train­ings­flug­be­trieb der Luft­waffe gebin­nen. “Den vier in Cochem, Jev­er, Lech­feld und Nör­venich sta­tion­ierten Jagdbombergeschwadern wur­den bere­its Übungszeit­en im Mai zugewiesen. Für Zwis­chen­lan­dun­gen sind die ziv­il mit­be­nutzten Mil­itär­flug­plätze Laage bei Ros­tock und Trol­len­hagen bei Neubran­den­burg vorge­se­hen. Von dort aus sollen die mit einem Ter­rain­fol­ger­adar für automa­tis­che Tief­flüge aus­ges­tat­teten Tor­na­do-Kampf­flugzeuge ihre Übungsziele ansteuern.”

(Tagesspiegel vom 03.04.2003, Rain­er W. During) 

(Infori­ot) Die Orig­inal­texte — verse­hen mit weit­er­führen­den Links — sind auf Indy­media hier und hier nachzulesen.

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