Ein „Danke“ jedoch wird nicht genügen, um Geschehenes zu verstehen, damit es sich nicht wiederholt! Auch die Fragen: „Was, wie und warum war der Nationalsozialismus, der Vernichtungskrieg oder der Holocaust?“ können wir nicht alleine beantworten, aber wir können Impulse setzen!
Denn auch 75 Jahre nachdem die Vorherrschaft deutscher Faschist*innen und ihrer Kollaborateure endete, sind ihr Gedankengut und ihre Strukturen keineswegs verschwunden:
Seit 2016 verdoppelte sich die Anzahl der mit Schusswaffen ausgerüsteten Rechtsextremen [2]. Der NSU, eine Gruppe die offiziell 10 Menschen ermordete und 43 Mordanschläge verübte [3], enttarnte sich teilweise selbst. Ob auf der Insel Utøya oder in Städten wie Christchurch, Hanau und Halle — die Anschläge von extrem Rechten häufen sich. Im Jahr 2019 wurden in der Bundesrepublik 120 Angriffe auf Asylunterkünfte verübt und 1.620 Angriffe auf Geflüchtete registriert [4]. Jüngst wurde im Landkreis Oder-Spree ein Waffenlager mit nationalsozialistischen Devotionalien ausgehoben [5]. Unsere Stadt, Frankfurt (Oder), entwickelte sich zu einem Knotenpunkt der internationalen, neonazistischen Terrororganisation „Combat 18“ [6]. In Libbenichen zeigten erst letzten Monat während einer „Reichs-Party“ Jugendliche den Hitlergruß [7]. Ein „NR-Zonen“-Graffito diente als Platzhalter für Hakenkreuze und verblieb mehrere Monate am Kaufland im Zentrum[8]. Mittlerweile werden (gar) von parlamentarischen Kräften die Leistungen von deutschen Soldaten in zwei Weltkriegen honoriert und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ [9] gefordert.
Genauso wie die Ideen, Symbole, und Struktur des Nationalsozialismus nicht einfach 1945 endeten, tauchten die Nationalsozialist*innen nicht erst 1933 auf. Bereits am 26. Mai 1929 begann die SA durch Frankfurt zu marschieren [10] und schon 1927 war in einer Kneipe zu hören:
„Die nationalsozialistische Bewegung ist entschlossen alles daran zu setzen, um das deutsche Volk von Juden- und Marxistenherrschaft zu befreien. Die Nationalsozialisten werden die Besten unter ihre Fahne sammeln und einen erbitterten Kampf gegen die inneren Feinde der Nation führen“. [11]
Auch heute sind in Frankfurter Kneipen solche Aussagen nicht ausgeschlossen.
Im Sommer 1932 wurde dann der Terror der Nazis in Frankfurt immer zügelloser. Am Abend des1. Juli kam es zu einem Überfall auf Antifaschist*innen. Am 4. Juli, in der heutigen Rathenaustraße, schossen Nazis über 100 Mal auf Arbeiter*innenwohnungen. Und am 5. Juli durften sie dann ungehindert durch unsere Stadt marschieren. Die 17
Vollzugspolizist*innen, die vor der faschistischen Gefahr und dieser Demonstration warnten, wurden daraufhin festgenommen [12].
So spricht auch die dramatische Entwicklung der Wahlergebnisse Bände. Lag die NSDAP bei der Reichstagswahl 1928 in Frankfurt erst bei 330 Stimmen, erhielt sie bei der Kommunalwahl 1929 bereits 2.400 Stimmen und wenige Jahre später, bei der Machtübernahme Hitlers im März 1933, eine absolute Mehrheit. Diese Machtübernahme führte in ihrer Konsequenz zu unzähligen furchtbaren Schicksalen, auch in Frankfurt (Oder).
So zum Beispiel auch für Marie und Adolf Köhn, deren Stolpersteine in der Großen Oderstraße 46 liegen. Adolf Köhn wurde von Faschist*innen während der Reichsprogromnacht verhaftet, einen Monat lang im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert und vier Jahre später, wahrscheinlich mit seiner Frau, ins Warschauer Ghetto deportiert. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt.
In der Großen Scharrnstraße 32 liegen zwei weitere Stolpersteine — die von Marie und Bruno Friedländer. Ihre Kinder schafften es auf einen Kindertransport und bekamen Asyl in Schottland und Australien. Marie und Bruno erhielten keine Zuflucht und wurden am 02. April 1942 in das Warschauer Ghetto deportiert, wo sie am 05. April ankamen. Das weitere Schicksal der Familie ist auch hier nicht bekannt.
Bis zum letzten Tag des Nazi-Regimes ließ die Gewalt und Brutalität nicht nach. Selbst der Niederlage ins Auge sehend, wurde Frankfurt (Oder) am 26. Januar 1945, einen Tag vor der Befreiung von Auschwitz, noch zu einer Festung erklärt. Am Tag des 30. Januars in Swiecko (im damaligen Schwetig) mussten 1.600 Gefangene des Frankfurter Gestapo-Arbeitserziehungslagers zum sogenannten „Todesmarsch“ antreten. 70 nicht marschfähige Menschen wurden direkt in Krankenbaracken verbrannt und ermordet. In der Nacht auf den 31. Januar erschossen in Słonsk (im damaligen Sonnenburg) Angehörige der SS und Gestapo 800 Inhaftierte des dortigen Zuchthauses [13]. Selbst in der Niederlage waren die Nationalsozialist*innen nicht davon abzubringen ihr Morden einzustellen.
So schwor im Februar 1945 Joseph Goebbels Frankfurt ein letztes Mal auf die Ideologie von “Blut und Boden“ ein, nachdem er am 31.Oktober 1929 erstmals in der Stadt davon gesprochen hatte. Frankfurt, das ein Zentrum für den Einsatz und die Verwaltung von Zwangsarbeiter*innen, Deportierten und Inhaftierten war, war gar Hauptstadt des Gaus Mark Brandenburg. Unzählige Waggons mit Menschen wurden ohne nennenswerten Widerstand deportiert. Unzählige Tonnen Kriegsmaterial fuhren ungehindert durch unsere Stadt.
Der Krieg endete für Frankfurt (Oder) am 23. April 1945, als belarussische Einheiten der Roten Armee „die fast menschenleere, keinen Widerstand leistende, überall brennende Stadt“ [14] befreiten, bis dann in der Nacht am 8. auf den 9. Mai die Wehrmacht gänzlich kapitulierte und die Hegemonie des Faschismus gebrochen war.
Auch wenn ein Großteil der Deutschen diesen Tag als Niederlage empfand — vielleicht sogar heute noch so empfindet: Der Sieg der Alliierten bedeutete das Ende der nationalsozialistischen Vorherrschaft, des Krieges in Europa und des Holocaustes und ist für uns ein Grund zum fröhlichen Tanz. Deshalb sagen wir immer wieder freundschaftlich: „Спасибо! Thank You! Merci! Danke!“.
Als Kultur- und Bildungsträger der offenen Kinder- und Jugendhilfe sagen wir auch ernst: „Nie wieder!“
Und um diesen Ernst zu begreifen; um den Impuls des Erinnerns und Gedenkens nicht bei dieser Mitteilung zu belassen, organisiert der Utopia e.V. im letzten Drittel diesen Jahres eine Gedenkstättenfahrt für Jugendliche und junge Erwachsene zu den ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagern von Auschwitz, mit demokratisch-partizipatorischer Vor- und Nachbereitung:
„Denn die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, dass [wir] weder glaube[n], sie begründen zu müssen noch zu sollen. […] Sie zu begründen hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, das sich zutrug“ [15].
Und so fordern wir auch andere Akteur*innen oder bisher nicht-Aktive dazu auf, sich am Engagement gegen faschistoide Bewegungen und Ideen in Frankfurt (Oder) zu beteiligen und zu organisieren – die Gründe sind bekannt und wir werden über weitere Termine berichten.
Eure Freund*innen und Assoziierten des Utopia e.V.