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Aggressionen mit Anzug und Krawatte

Rechts­gerichte Jugendliche aus­gren­zen oder zur Umkehr bewe­gen? Experten disku­tierten in Falkensee

(MAZ) FALKENSEE Seit Ende der neun­ziger Jahre ist die pädagogische
Auseinan­der­set­zung mit recht­sori­en­tierten Jugendlichen rapi­de gewach­sen. In
der The­o­rie klin­gen viele Konzepte toll. Doch wie sieht der Umgang mit
diesen Her­anwach­senden in Schulen, in Jugend- und Sportk­lubs oder auf der
Straße in der Prax­is aus? Diese Fra­gen wur­den im kreativ­en Zen­trum Falkensee
leb­haft disku­tiert. Die 26-jährige Falkenseerin Susann Reißig vom örtlichen
Bünd­nis gegen Rechts trug Auszüge aus ihrer Mag­is­ter­ar­beit vor. Ihr Thema:
Kri­tik an der “akzep­tieren­den Jugen­dar­beit” mit recht­en Jugendlichen. Die
Podi­ums­diskus­sion wurde vom Falkenseer Sozialpäd­a­gogen Wolf­gang Eichstätter
mod­eriert. Teil­nehmer waren Jugen­damt­sleit­er Rein­hard Glatzel, Guido
Pack­häuser als Vertreter der mobilen Ein­satzein­heit der Polizei Brandenburg
(Mega) gegen Gewalt und Aus­län­der­feindlichkeit und Thomas Wei­dlich vom
mobilen Beratung­steam tol­er­antes Bran­den­burg (MBT). Etwa 40 Gäste waren
gekommen. 

Susann Reißig stellte dar, dass viele neuere Unter­suchun­gen die bisherige
Prax­is nicht recht­fer­ti­gen, rechter Gesin­nung durch Bere­it­stel­lung von
Jugend­klubs und unpoli­tis­chen Betreu­ungsange­boten ent­ge­gen­zuwirken. Die
weitläu­fige Mei­n­ung, dass rechte Gesin­nung direk­ter Aus­druck emotionaler
Ver­wahrlosung von Jugendlichen sei, lasse sich wis­senschaftlich nicht
hal­ten. Der Ansatz, rechter Gesin­nung nicht offen­siv entgegenzutreten,
son­dern rechte Jugendliche so, wie sie sind, zu akzep­tieren und sie sozial
sta­bil­isieren zu wollen, sei deshalb im Ergeb­nis falsch. 

Thomas Wei­dlich vom mobilen Beratung­steam sagte, es seien Gelder des
bun­desweit mit 20 Mil­lio­nen Euro jährlich unter­stützen Aktionsprogramms
gegen Aggres­sion und Gewalt (AgAG) nicht erfol­gre­ich einge­set­zt worden.
“Teil­weise wur­den szene­na­he Per­so­n­en, recht­slastige Sozialarbeiter,
bezuschusst.” In Hin­ter­räu­men von Jugend­klubs wür­den ver­botene Sym­bole an
der Wand geduldet, um den ange­blich heimat­losen Jugendlichen das Gefühl zu
geben, ein Zuhause zu haben. “Ich stimme zu, dass dieser Ansatz gescheitert
ist”, sagt Thomas Wei­dlich. Unter der Reich­skriegs­flagge zusam­men zu
spie­len, zu basteln oder Bier zu trinken, dies sei falsch. 

Ins­ge­samt habe sich die recht­sori­en­tierte Szene gewan­delt, sagte Susann
Reißig. “Es sind nicht mehr nur dumpfe Glatzköpfe mit Bomber­jacke, deren
aggres­sives Auftreten Päd­a­gogen oft­mals als verzweifel­ten Schrei nach Liebe
verk­lären. Der mod­erne Nazi trägt inzwis­chen auch Anzug und Krawat­te und ist
sehr gut organ­isiert”, so Reißig. “Wir müssen darauf acht­en, dass wir die
Wirk­lichkeit nicht ver­drehen und die Recht­en als arme Opfer hin­stellen, die
nicht ver­schreckt wer­den dürften.” 

“Es gibt rechte Gewalt auch im Havel­land”, sagt Gui­do Pack­häuser, der bei
der Mega auch als verdeck­ter Ermit­tler arbeit­et. Er beze­ich­net seinen
Arbeit­stag als erfol­gre­ich, wenn er Ver­anstal­tun­gen mit menschenverachtenden
Inhal­ten stop­pen und rechte Gewalt­täter schnap­pen kann. Er weiß, wie schwer
die Arbeit von Päd­a­gogen mit Recht­en ist. Pack­häuser warnt aber auch davor,
diese Jugendlichen aus beste­hen­den Ein­rich­tun­gen auszuschließen. “Rechte
Jugendliche, die nicht mehr in die Klubs dür­fen, sind viel schwieriger zu
kon­trol­lieren.” Jugen­damt­sleit­er Rein­hard Glatzel sieht jedoch teils keinen
anderen Ausweg, als die Polizei einzuschal­ten. “Wenn wir von überzeugten
Recht­en reden, so rate ich, diese nicht in die Klubs zu lassen. Extreme
Rechte sind ein Fall für die Polizei und den Ver­fas­sungss­chutz.” Erfahrungen
hät­ten gezeigt, dass extreme Rechte nicht in beste­hende Einrichtungen
inte­gri­ert wer­den kön­nten. Sie hät­ten linke Grup­pierun­gen teils vertrieben
und ver­sucht­en “nor­male Jugendliche” für ihre Kam­er­ad­schaften zu
rekru­tieren. Wenn rechte Jugendliche noch nicht organ­isiert seien, müsse
hinge­gen ver­sucht wer­den, einen Zugang zu ihnen zu bekom­men. Man dürfe
recht­en Parolen nicht länger stumm begeg­nen. “In Bran­den­burg beträgt der
Anteil von Bürg­ern aus anderen Län­dern 2,8 Prozent. Aber 25 Prozent der
Bevölkerung sind der Mei­n­ung, Aus­län­der nehmen ihnen den Arbeit­splatz weg”,
so Glatzel. Er zeigte eine kür­zlich von Recht­en im Havel­land verteilte
Wurf­sendung: “Mama, warum hat Papa keine Arbeit?” Auf solche Parolen müsse
man drin­gend mit Argu­menten reagieren. Päd­a­gogen aus dem Publikum
berichteten von pos­i­tiv­en Erfahrun­gen, rechter Gesin­nung mit Strenge zu
begeg­nen. “Wir müssen die Jün­geren vor Nazi­parolen schützen”, meint Frank
Pack­häuser, Leit­er des Jugend­klubs “Die Brücke” in Falkensee. Deshalb habe
er schon mehrfach Nazis des Klubs ver­wiesen. Sein­er Mei­n­ung nach muss man da
ein­greifen, wo man noch etwas erre­ichen kann. Andere Stim­men im Publikum
merk­ten kri­tisch an, dass man mit der Ausweisung Rechter jedes Gespräch und
jede Hand­lungsmöglichkeit aufgebe. 

Ingo Well­mann, Leit­er des Crea-Zen­trums Falkensee glaubt, viel über Bildung
in der Unter­stufe erre­ichen zu kön­nen. Päd­a­gogen müssten sen­si­bil­isiert und
extra für dieses The­ma aus­ge­bildet wer­den, so seine Erfahrung. Denn häufig
schnappten Kinder Zuhause aus­län­der­feindliche Äußerun­gen auf, denen man
qual­i­fiziert begeg­nen müsse. “Wir kön­nen Jugen­dar­beit leis­ten, bis wir
schwindelig wer­den, wenn wir nicht auch die Erwach­se­nen erre­ichen”, so
Glatzel. Er nan­nte neueste Zahlen, wonach rechte Jugendliche mehrheitlich
die poli­tis­che Ein­stel­lung ihrer Eltern übernehmen. “Wir alle müssen dem
Paroli bieten. Jed­er sollte mitwirken und täglich etwas gegen rechtes
Gedankengut tun.” Susann Reißig sprach eine konkrete Forderung aus. Gruppen,
die sich derzeit schon gegen Rechte stark machen, müssten Anerken­nung und
finanzielle Mit­tel erhal­ten. “Dies ist in Falkensee lei­der kaum der Fall.”

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