Bei sommerlichen Temperaturen und zur besten Einkaufszeit versammelten sich am frühen Nachmittag etwa 150–200 Menschen vor dem zentralen Einkaufszentrum gegenüber dem Alten Kino in Franfurt (Oder). Die Demonstrant*innen kamen zusammen um unter dem Motto „Fight Fortress Europe! Solidarität mit allen Geflüchteten an den EU-Außengrenzen!“ für die Aufnahme aller Geflüchteten in Europa zu demonstrieren. Die Grenzstadt zu Polen wurde bewusst gewählt, richtete sich der Protest doch auch gegen die Abschottungspolitik Europas, die in Warschau ansässige Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) sowie dem rassistischen Grenzregime an der belorussisch-polnischen EU-Außengrenze und der Ungleichbehandlung von Geflüchteten.
Die Demonstration zog nach Verlesen der ersten Redebeiträge über die Heilbronner und Logenstraße zur ersten Zwischenkundgebung auf den Campus der Europa-Universität Viadrina. Anschließend ging es weiter durch die ehemalige Altstadt und leeren Einkaufsstraßen zur Oderbrücke in deren Mitte die Grenze zwischen Deutschland und Polen verläuft. Die Brücke, wo die einstigen Grenzanlagen längst verschwunden sind und ein „freies“ Europa sichtbar werden soll, stand symbolisch dafür, dass es diese „Freiheit“ in der EU nicht für alle Menschen gibt. Anschließend ging es über die Karl-Marx-Straße zurück zum Zentrum auf den Brunnenplatz. Unweit von ungläubig schauenden Gästen eines Eiscafé und dem Gedenkort der ehemaligen und von den Nazis zerstörten Synagoge endete die Demonstration mit Redebeiträgen und einem kleinen Konzert.
Die Redebeiträge waren recht vielfältig. Polnische Aktivist*innen, die im Grenzgebiet im Wald zwischen Polen und Belarus die dort gestrandeten Geflüchteten versorgten, berichteten von der katastrophalen Lage, der fehlenden medizinischen Versorgung und den illegalen Pushbacks, aufgrund dessen bereits 30 Menschen gestorben sind. Für die Menschen, die im Grenzgebiet helfen wollen, ist der Zugang erschwert. Die polnische Regierung erklärte die Region zum Sperrgebiet, das mit Stacheldraht, Tränengas und Wasserwerfern gesichtet wird. Helfende werden kriminalisiert. Jibran von „Jugend ohne Grenzen“ machte in seiner Rede lautstark auf die Zustände von afghanischen Geflüchteten in der Bundesrepublik aufmerksam, denen trotz der Terrorherrschaft der Taliban, die das westliche Militärbündnis NATO und seine Verbündeten mitzuverantworten haben, immer noch die Abschiebung droht.
Immer wieder wurde auch auf die unterschiedliche Behandlung von Geflüchteten aus der Ukraine hingewiesen. U.a. „Women in Exile“ sprachen von rassistischen Doppelstandards im Umgang mit Geflüchteten und einer selektiven Solidarität der Helfenden. Während BIPoC oftmals an der Einreise gehindert werden oder sich einem rassistischen Asylverfahren unterziehen müssen, können weiße Ukrainer*innen häufig problemlos in die EU einreisen und sich hier frei bewegen. Die Gruppe „Solidarity with Refugees in Libya“ machte darauf aufmerksam, dass die Europäische Union in Zusammenarbeit mit der Küstenwache Libyen nach wie vor Menschen in Nordafrika ohne erkennbaren Grund internieren, wo sie Folter und sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind.
Die Inhalte der Reden wurden auch über die ganze Demonstration hinweg lautstark wiederholt. In Sprechchören forderten die Teilnehmenden die sofortige Auflösung aller Lager an den EU-Außengrenzen, die Aufnahme aller Geflüchteten, die Schließung aller Abschiebeknäste und sichere Fluchtrouten nach Europa. Frontex müsse geschlossen, Grenzen niedergerissen werden. Viele Demonstrant*innen, die selbst Fluchterfahrungen haben, war die Wut über den institutionellen Rassismus, den sie in der EU erfahren, sichtbar anzusehen. Es ist deshalb schwer nachzuvollziehen, dass dem Aufruf zur Teilnahme an der Demonstration nur so wenige gefolgt sind.
Solidarität mit allen Geflüchteten! Gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Kapitalismus. Lasst uns mit dem Narrativ brechen, dass es legitime und illegitime, Geflüchtete erster und zweiter Klasse gibt. Bewegungsfreiheit ist Menschenrecht! #fightfortresseurope #ffo1405 #nolager pic.twitter.com/cl7zeZAWZ3
— No Border Assembly Berlin (@NoBorder_Berlin) May 14, 2022
Aufgerufen zur Demonstration hatte ein Bündnis verschiedener antirassistischer Gruppen und Initiativen, u.a. “Seebrücke Jena/Potsdam”, “No Border Assembly Berlin” und der Initiative “Borderline Europe – Menschenrechte ohne Grenzen e.V”. Unterstützung kam vom Brandenburger “Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit”.
Trotz längerer Ankündigung war die Mobilisierung zur Demonstration relativ kurz. Das machte sich auch in der Stadt bemerkbar. Plakate der Demonstration oder sonstige Aufrufe zur Beteiligung waren zumindest entlang der Route nicht zu sehen. Aus der Gesprächen mit Aktivist*innen aus Frankfurt wurde deutlich, dass viele erst kurz vorher von der Demonstration erfahren haben. Auch schienen kaum lokale Gruppen eingebunden zu sein. Bis auf Majeed Behzad, Mitglied des Integrationsbeirats der Stadt Frankfurt (Oder) kamen keine Aktiven aus der Region zu Wort.
Solidarität mit unseren protestierenden Geschwistern in #Libyen! Wir fordern heute in Franfurt (Oder) erneut sichere und legale Fluchtrouten und ein Ende des tödlichen EU-Grenzregimes von #Belarus bis nach #Libyen! #EvacuateRefugeesFromLibya #nolager #ffo1405 @RefugeesinLibya pic.twitter.com/qT8ZBhmWul
— Solidarity With the Refugees in Libya (@SoliwRiLibya) May 14, 2022
Weitere Fotos bei PM Cheung.