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Asylpolitik kostet Leben

Asylpolitik kostet Leben

Drei Suizide von Geflüchteten in Berlin und Brandenburg innerhalb weniger Wochen

Im Feb­ru­ar und März 2021 nah­men sich drei Geflüchtete aus Pots­dam, Eber­swalde und Berlin das Leben. Für Ange­hörige und Berater*innen ste­ht fest: Die drei Män­ner wur­den durch das Asyl­sys­tem mas­siv unter Druck geset­zt. Sie erhiel­ten nicht den Schutz, den sie in Deutsch­land gesucht hatten. 

Pots­dam:
A. H. aus Afghanistan nahm sich am 16. Feb­ru­ar 2021 mit 43 Jahren das Leben.
Er hat­te seit neun Jahren um die Fam­i­lien­zusam­men­führung mit sein­er Frau gekämpft. 
Ohne Erfolg. 

In sein­er Zeit in Deutsch­land war A.H. psy­chisch und kör­per­lich zunehmend erkrankt. Er hat­te eine Niere ver­loren und litt unter starken Schmerzen auf­grund von drei Brüchen an der Wirbel­säule. Nach neun Jahren auf der Flucht hat­te er im Dezem­ber endlich den Flüchtlingssta­tus in Deutsch­land bekom­men. Doch die neun­jährige Tren­nung von sein­er Frau und sein jahre­langer Kampf um Fam­i­li­en­nachzug war verge­blich und trieb ihn in die Verzwei­flung. Er hat­te psy­chother­a­peutis­che Behand­lung, Gesund­heits­ber­atung und eine Selb­sthil­fe­gruppe in Anspruch genom­men. Seit der Pan­demie litt er jedoch unter einem Man­gel an geeigneten Ange­boten Pots­dam und an sozialer Isolation.

Shorreh Bad­dieh, Trau­mather­a­peutin bei XENION:
„Ins­beson­dere in Bran­den­burg ist die Ver­sorgungsstruk­tur für geflüchtete Men­schen mit psy­chis­chen Prob­le­men schlecht. Ich mache mir aktuell um mehrere mein­er Patien­ten große Sor­gen wegen Suizidge­fahr. Sie brauchen drin­gend Hil­fe, tre­f­fen aber vor allem in der Akutver­sorgung immer wieder auf Men­schen mit geringer interkul­tureller Kom­pe­tenz und erhal­ten keine Dol­metschung in ihre Muttersprache.”

Chris­tiane Weber, Psy­chol­o­gis­che Psy­chother­a­peutin bei XENION:
„Wir sehen aktuell, dass der psy­chis­che Druck ger­ade bei den Men­schen, die sich in ein­er unsicheren Aufen­thaltssi­t­u­a­tion befind­en und auf­grund ihrer Geschichte bere­its schw­er belastet sind, enorm steigt. Coro­na wirkt dabei wie ein Bren­n­glas. Das große Prob­lem ist, dass es keine reg­uläre Ver­sorgungsstruk­tur im Sinne von qual­i­fizierten ther­a­peutis­chen Ange­boten für sie gibt, und auch der Zugang zu den Akut­sta­tio­nen der Psy­chi­a­trien oft schwierig ist. Dies ist aber ger­ade jet­zt umso nötiger, um Men­schen in Exis­ten­zkrisen zu stärken und damit Suizid­präven­tion zu ermöglichen. Hinzu kommt, dass unsere Gutacht­en, in denen wir auf die psy­chis­che Belas­tung und Suizidal­ität hin­weisen, mit­tler­weile immer häu­figer von Behör­den und Gericht­en als Gefäl­ligkeitsgutacht­en diskred­i­tiert werden.”
 
Eber­swalde: 
Salah Tayar aus dem Tschad nahm sich am 11.3.2021 mit 35 Jahren das Leben. 
Er hat­te seit acht Jahren um ein Recht zu bleiben gekämpft. 
Ohne Erfolg. 

Salah Tayar kam als junger Mann im Tschad wegen Unge­hor­sam in ein Mil­itärge­fäng­nis. In den zweiein­halb Jahren dort wur­den er regelmäßig gefoltert. Nach jahre­langer Flucht durch Libyen und übers Mit­telmeer erre­ichte er Deutsch­land. Sein Asy­lantrag wurde abgelehnt, weil der Tschad als sich­er gilt. Im April hätte er einen let­zten Ter­min vor dem Ver­wal­tungs­gericht Frankfurt/Oder im Klagev­er­fahren – mit kaum Aus­sicht auf Erfolg- gehabt. Fre­unde und Ange­hörige beschreiben, dass die unklare Aufen­thaltsper­spek­tive ihn in eine tiefe Depres­sion stürzte.

Sein Cousin Yahia Mohammed:
„Salah hat jahre­lang für ein men­schen­würdi­ges Leben gekämpft, im Tschad und in Deutsch­land. Trotz allem, was er durchgemacht hat, wurde ihm kein Schutz gewährt. Sein Asyl wurde abgelehnt, obwohl er seine ganze Geschichte offen­gelegt hat­te. Das hat ihm jede Per­spek­tive auf ein Leben in Würde ger­aubt. Daran ist Salah zerbrochen.” 
Weit­er führt Yahia Mohammed aus:
„Salah hat 8 Jahre im Heim in Eber­swalde gelebt, er hat­te eine Dul­dung und damit keine umfassende Arbeit­ser­laub­nis. Die Sit­u­a­tion im Heim ist schlimm, es gibt nichts zu tun, das treibt Men­schen in die Hoff­nungslosigkeit. Der Ras­sis­mus im öffentlichen Raum in Eber­swalde kommt hinzu. Es gibt viele Men­schen, den es so geht, die nicht mehr wis­sen, wie sie die Sit­u­a­tion aushal­ten sollen.”
 
Mustafa Hussien von Barn­im für Alle:
“Salah floh vor Folter, vor der Unter­drück­ung und Poli­tik der tschadis­chen Regierung unter der Führung von Dik­ta­tor Idriss Deby. Salah lebte unter uns als ruhiger und guter Men­sch. Es gibt eine Gruppe von Geflüchteten, die noch leben, aber unter den gle­ichen Bedin­gun­gen wie Salah lei­den. Wir als Gruppe ‚Barn­im für Alle’ und als in der Region lebende Geflüchtete erk­lären unsere völ­lige Ablehnung dieser Poli­tik und wollen dafür kämpfen, dass sich die Geset­ze verändern.”

Berlin
Alpha Oumar Bah aus Guinea nahm sich in der Nacht vom 16.3.2021/17.3.2021 mit 27 Jahren das Leben. Er hat­te seit mehr als drei Jahren um eine Bleibeper­spek­tive gekämpft. Ohne Erfolg. Er hat­te sehr große Angst vor ein­er Abschiebung. 

Alpha Oumar Bah lebte in ein­er Unterkun­ft für Geflüchtete in Berlin und ver­di­ente seinen Leben­sun­ter­halt bei ein­er Reini­gungs­fir­ma. Er war im Asylver­fahren und lebte in der Angst vor Abschiebung.
Der Berlin­er Innense­n­a­tor Andreas Geisel hat­te im Feb­ru­ar eine Del­e­ga­tion des Regimes in Guinea ein­ge­laden, um die Iden­tität von Geflüchteten aus Guinea zu klären und damit die nöti­gen Doku­mente für eine Abschiebung ausstellen zu kön­nen. Im Vor­feld wur­den schwarze Men­schen im Gör­l­itzer Park wegen ange­blich­er Deal­erei kon­trol­liert. Nach Aus­sagen der Polizei gegenüber der taz sei die Polizei zu dieser Zeit zudem auf der Suche nach „rel­e­van­ten Per­so­n­en zur Vorstel­lung vor der Guineis­chen Expertenkom­mis­sion”[1]gewe­sen. Bei einem Pres­seter­min in Gör­l­itzer Park unter­stre­icht der Innense­n­a­tor diese ras­sis­tis­che Prax­is. Bish­er wurde in 15 von 22 Men­schen aus Berlin die Guineis­che Staats­bürg­er­schaft fest­gestellt und die Betrof­fe­nen abgeschoben. Als eines von drei Bun­deslän­dern beteiligte sich Berlin unter anderem am 16.3. an den bun­desweit­en Sam­me­lab­schiebun­gen nach Guinea. Die Del­e­ga­tion soll im Herb­st erneut nach Berlin kom­men. Am 15.03.2021 gab es in der Unterkun­ft, in der Alpha Oumar Bah lebte, einen Polizeiein­satz, um die Abschiebung ein­er anderen Per­son zu vol­lziehen. Es ist anzunehmen, dass all dies Alpha Oumar psy­chisch mas­siv unter Druck setzte.
 
Rachid von Ayében Berlin
„Die Del­e­ga­tion aus Guinea hat die Aus­bil­dungs­dul­dung nicht anerkan­nt. Men­schen, die mit­ten in der Aus­bil­dung standen, wur­den nach Guinea abgeschoben. Wir fra­gen den Innense­n­a­tor von Berlin, wie kann das sein? Dieses Vorge­hen hat Panik aus­gelöst. Die Angst vor ein­er Abschiebung ist unsag­bar groß. Dass die Del­e­ga­tion erneut im Herb­st 2021 nach Deutsch­land kom­men soll, erschreckt die Men­schen sehr.”
 
Alpha von Ayében Berlin
„Die Sit­u­a­tion in Guinea ist sehr schwierig, zum einen ist die Bevölkerung schut­z­los der glob­alen Covid-19 Pan­demie aus­ge­set­zt, auf der anderen Seite bre­it­et sich Ebo­la erneut aus. Hinzu kommt, dass viele Oppo­si­tionelle im Gefäng­nis sitzen. Gle­ichzeit­ig gibt es schwere Men­schen­rechtsver­let­zun­gen. Die Lage in Guinea ist desaströs.”
 
Wir fordern von der Berlin­er und Bran­den­burg­er Lan­desregierung poli­tis­che Konsequenzen: 
> Öffentliche voll­ständi­ge Aufk­lärung der Suizide.
> Anerken­nung des Gesuch­es auf Schutz und Asyl.
> Erle­ichterung der Familienzusammenführung.
> Gedol­metschte und kul­tursen­si­ble Akutver­sorgung und Therapieangebote.
> Bleiberecht für psy­chisch belastete und trau­ma­tisierte Menschen.
> Keine Abschiebung in Län­der, die von Men­schen­rechtsver­let­zun­gen gekennze­ich­net sind.
> Keine Zusam­me­nar­beit mit dik­ta­torischen Reg­i­men zur Beschaf­fung von Abschiebepapieren.

Wir laden ein zur Kundgebung: 
13. April, 12–17 Uhr
Eber­walde Ausländerbehörde
Pfeilstr/Schicklerstr. 
 

https://www.berliner-krisendienst.de/ar

https://www.berliner-notruf.de

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