16. April 2021 · Quelle: VBRG

Die tödliche Dimension von Rechts wird unterschätzt

Neun Menschen wurden beim rechtsterroristisch und rassistisch motivierten Attentat in Hanau am 19. Februar 2020 ermordet. Doch trotz aller Erklärungen von Strafverfolgungsbehörden wird die tödliche rechte Gewalt noch immer nicht ausreichend erfasst.

Die tödliche Dimension von Rechtsterrorismus, Antisemitismus, Rassismus und rechter Gewalt wird noch immer unterschätzt

Neun Men­schen wur­den beim recht­ster­ror­is­tisch und ras­sis­tisch motivierten Atten­tat in Hanau am 19. Feb­ru­ar 2020 ermordet. Doch trotz aller Erk­lärun­gen von Strafver­fol­gungs­be­hör­den, Jus­tiz und Innen­poli­tik wird die tödliche Dimen­sion rechter, ras­sis­tis­ch­er und anti­semi­tis­ch­er Gewalt noch immer nicht aus­re­ichend erfasst.  

Ras­sis­mus, Anti­semitismus und Ver­schwörungsnar­ra­tive haben in 2020 während der Coro­n­a­pan­demie zu ein­er für viele Men­schen extrem bedrohlichen Zunahme von poli­tisch rechts motivierten Gewalt­tat­en geführt. Am 19. Feb­ru­ar 2020 wur­den in Hanau Fer­hat Unvar, Gökhan Gül­tekin, Hamza Kur­tović, Said Nesar Hashe­mi, Mer­cedes Kier­pacz, Sedat Gür­büz, Kaloy­an Velkov, Vili Viorel Păun und Fatih Saraçoğlu durch einen ras­sis­tisch motivierten Atten­täter ermordet, der weit­ere Men­schen ver­let­zte und anschließend seine Mut­ter und sich selb­st tötete. Dass Ras­sis­mus und Recht­ster­ror­is­mus die Motive für eines der schw­er­sten recht­ster­ror­is­tis­chen Atten­tate seit der Jahrtausendwende waren, wird auch von den Strafver­fol­gungs­be­hör­den eben­so wie von Bun­des- und Lan­despoli­tik­ern anerkannt.

Wie schon in den Vor­jahren müssen wir fest­stellen, dass in den Jahres­bi­lanzen der Strafver­fol­gungs­be­hör­den der Län­der und des BKA zahlre­iche Gewalt­tat­en aus 2020 fehlen, in denen die Täter mit unglaublich­er Bru­tal­ität vorge­gan­gen sind und offen­sichtlich aus ras­sis­tis­ch­er und rechter Moti­va­tion gehan­delt haben”, kri­tisiert Robert Kusche vom Ver­band der Beratungsstellen für Betrof­fene rechter, ras­sis­tis­ch­er und anti­semi­tis­ch­er Gewalt (VBRG e.V.). „Dabei haben die Betrof­fe­nen die Schussver­let­zun­gen, Tritte, Schläge und Messer­stiche der recht­en Täter oft nur durch glück­liche Umstände überlebt.”

Die nach wie vor man­gel- und lück­en­hafte Erfas­sung und Anerken­nung von Ras­sis­mus, Anti­semitismus und Recht­sex­trem­is­mus als Tat­mo­tive durch Polizei und Jus­tiz ver­schleiert das Aus­maß der tödlichen Dimen­sion rechter Gewalt und lässt die Betrof­fe­nen im Stich”, betont Robert Kusche.

Fol­gende Beispielfälle vol­len­de­ter und ver­suchter Tötungs­de­lik­te haben Opfer­ber­atungsstellen des VBRG in 2020 reg­istri­ert, die bis­lang von den Lan­deskrim­i­nalämtern und dem BKA nicht als Poli­tisch motivierte Krim­i­nal­ität-Rechts (PMK-Rechts)-Gewalttaten gew­ertet werden.

Altenburg, 12.02.2020: Ein 52-Jähriger wird in sein­er Woh­nung von zwei jun­gen Män­nern mit Bezü­gen zur recht­en Szene mit einem Mess­er ange­grif­f­en und mit Schlä­gen und Trit­ten gegen Oberkör­p­er und Kopf so lange mis­shan­delt, bis er stirbt. Zu ihren Motiv­en geben die Angreifer im Mord­prozess am Landgericht Gera im März 2020 an, sie hät­ten den Mann für seine ange­bliche Homo­sex­u­al­ität und ver­mutete Pädophilie bestrafen und ihm einen „Denkzettel” ver­passen wollen. Bis­lang ist offen, ob das LKA Thürin­gen den Mord als PMK-Rechts Tötungs­de­likt wertet. www.ezra.de

Schwe­in­furt, 25.02.2020: Ein 19-jähriger Algerier wird am Faschings­di­en­stag auf dem Roß­markt durch einen Messer­stich in den Herz­muskel lebens­ge­fährlich ver­let­zt. Bei dem 27-jähri­gen Täter wer­den zahlre­iche recht­sex­treme Pro­pa­gandage­gen­stände und ein­schlägige Szenek­lei­dung gefun­den. Den­noch lässt das Urteil der Schwurg­ericht­skam­mer des Landgerichts Schwe­in­furt die Frage nach Ras­sis­mus als Tat­mo­tiv offen. Der Täter wird wegen gefährlich­er Kör­per­ver­let­zung zu fünf Jahren Haft verurteilt. In den PMK-Rechts Sta­tis­tiken des LKA Bay­ern wird der Fall nicht erwäh­nt. www.bud-bayern.de

Halle/Saale, 01.05.2020: An ein­er Straßen­bahn­hal­testelle wer­den kurz vor 1 Uhr nachts zwei syrische Geflüchtete von drei Unbekan­nten umringt, ras­sis­tisch und homo­phob belei­digt und dann unver­mit­telt zu Boden geschla­gen. Ein­er der bei­den Ange­grif­f­e­nen erlei­det lebens­bedrohliche Kopf- und Gesichtsver­let­zun­gen und muss mehrfach operiert wer­den. Die Ermit­tlun­gen wegen ver­sucht­en Totschlags sind über Monate block­iert, weil die Staat­san­waltschaft Halle die Ermit­tlungsak­ten „ver­liert”. Das LKA Sach­sen-Anhalt führt den Angriff nicht in der PMK-Rechts Sta­tis­tik. Auch in der Anklage, die die Staat­san­waltschaft Halle mit­tler­weile erhoben hat, fehlen Ras­sis­mus und Homo­pho­bie als Tat­mo­tive. www.mobile-opferberatung.de

Stral­sund, 21.05.2020: Eine Gruppe von fünf Recht­en greift nach ras­sis­tis­chen Belei­di­gun­gen einen Geflüchteten aus Soma­lia an und schlägt ihn bewusst­los. Dann zer­ren die Angreifer den leblosen Kör­p­er des Betrof­fe­nen auf eine viel befahrene Straße. Nur Dank des beherzten Ein­greifens eines Zeu­gen über­lebt der Betrof­fene den Angriff. Obwohl der Betrof­fene die ras­sis­tis­chen Belei­di­gun­gen ver­standen und der Ers­thelfer die Angreifer als Rechte beschrieben hat, wertet das LKA Meck­len­burg-Vor­pom­mern den Angriff nicht als PMK-Rechts Gewalt­tat. Eine Anklage gegen die polizeibekan­nten Angreifer gibt es bis heute nicht. www.lobbi-mv.de

Guben, 22.05.2020: Zwei Geflüchtete sind mit dem Fahrrad auf dem Weg zum Super­markt, als ein Auto mit über­höhter Geschwindigkeit auf sie zufährt mit frt Absicht, sie anz­u­fahren. Beim Ver­such auszuwe­ichen, ver­let­zt sich ein­er der Geflüchteten. Dann legt der Aut­o­fahrer den Rück­wärts­gang ein und ver­sucht erneut, die Geflüchteten anz­u­fahren. Kurze Zeit später ver­sucht der Aut­o­fahrer einen drit­ten Geflüchteten anz­u­fahren. Die Amok­fahrt endet erst, als das Auto des Angreifers sich am Bürg­er­steig verkan­tet. Die Täter flücht­en zu Fuß und wer­den kurze Zeit später gefasst. Ein­er von ihnen wird der recht­en Szene zuge­ord­net. Eine Anklage ist bis heute nicht erhoben. Das LKA Bran­den­burg wertet den Fall nicht als PMK-Rechts Gewalt­tat. www.opferperspektive.de

Dres­den, 30.08.2020: Bei ein­er Open-Air-Technopar­ty in der Dres­den­er Hei­de mit vie­len Besucher*innen aus der alter­na­tiv­en Szene belei­digt ein 16-jähriger Rechter zunächst eine Besucherin ras­sis­tisch und zeigt den Hit­ler­gruß. Dann sticht er mit einem Mess­er auf einen jun­gen Mann und eine jun­gen Frau ein und ver­let­zt bei­de lebens­ge­fährlich. Die Staat­san­waltschaft Dres­den hat inzwis­chen Anklage wegen zweifachen ver­sucht­en Mordes erhoben, sieht jedoch kein recht­es Tat­mo­tiv. Das LKA Sach­sen führt den Angriff nicht als PMK-Rechts Gewalt­tat. www.raa-sachsen.de/support/beratung

13.06.2020, Coburg: Am Gold­bergsee greifen drei Män­ner eine syrische Fam­i­lie mit Kleinkindern an. Mit der Dro­hung „Ich steche euch ab, ihr K***[rassistisches Schimpf­wort]!” schlägt der Haupt­täter so bru­tal mit ein­er Met­all­stange auf den Kopf des Fam­i­lien­vaters, dass dieser dauer­haft den Großteil seines Hörver­mö­gens ver­liert. Obwohl die Staat­san­waltschaft von ein­er ras­sis­tisch motivierten Tat aus­ge­ht und Ras­sis­mus im Plä­doy­er her­vorhebt, hält das Amts­gericht Coburg das Angriff­s­mo­tiv für ungek­lärt und verurteilt den Angreifer wegen Kör­per­ver­let­zung zu ein­er 16-monati­gen Haft­strafe. Das LKA Bay­ern führt den Angriff nicht als PMK-Rechts Gewalt­tat. www.bud-bayern.de

Esens, 20.07.2020: Am Abend des 20. Juli 2020 wird ein soma­lis­ch­er Fam­i­lien­vater unver­mit­telt vom Gast­ge­ber ein­er pri­vat­en Par­ty mit einem umge­baut­en Luft­gewehr bedro­ht und dann durch Schüsse lebens­ge­fährlich ver­let­zt. Der Betrof­fene ver­liert einen Teil sein­er Lunge und muss inten­sivmedi­zinisch behan­delt wer­den. Das Landgericht Aurich verurteilt den 29-jähri­gen Täter, der Mit­glied recht­sex­tremer Chat­grup­pen war und in sein­er Woh­nung Schwarzpul­ver gehort­et hat­te, im März 2020 zu 9,5 Jahren Haft wegen ver­sucht­en Mordes und benen­nt Ras­sis­mus und Aus­län­der­feindlichkeit als Tat­mo­tive. Den­noch wird der Fall vom LKA Nieder­sach­sen bis­lang nicht als PMK-Rechts Gewalt­tat genan­nt. https://betroffenenberatung.de/

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