Bundes- und europaweiter Aktionstag gegen Rassismus, Faschismus und Austerität
Samstag, 18.03.2017 in Potsdam:
Demo: 15 Uhr ab Nauener Tor
Kundgebung: 16 Uhr Landtag/Steubenplatz
Am 18.03.2017 findet ein bundes- und europaweiter Aktionstag gegen Rassismus, Faschismus und Austerität statt. An diesem Tag jährt sich die Unterzeichnung des EU-Türkei Deals, der die „Regulierung der Flüchtlingsströme“ zum Ziel hat und so zur Brutalisierung des europäischen Grenzregimes beiträgt. Bundesweit setzen sich Initiativen an diesem Tag mit Aktionen, Demonstrationen und Kundgebungen für „das Recht zu kommen, zu gehen und zu bleiben“ ein. Wir schließen uns dieser Forderung an. Für eine europaweite Solidarität mit Menschen auf der Flucht!
Bund, Länder und Kommunen haben eine neue Gangart eingelegt: Sinkende Anerkennungs- und steigende Abschiebezahlen bestimmen die aktuelle Politik. Auch Brandenburgs Landeshauptstadt Potsdam kurbelt die Abschiebemaschinerie an und setzt auf die Entsolidarisierung der Gesellschaft. Dagegen rufen wir zu Protest und Widerstand auf: Asylrecht und Flüchtlingsschutz jetzt und hier!
1. Bundesweite Verschärfung der Abschiebepraxis
Auf der Bund-Länder-Konferenz wurde die Einrichtung eines Zentrums zur Unterstützung von Rückführungen (ZUR) besprochen. Diese Logistikstelle für Sammelabschiebungen soll Behörden bündeln und Abschiebungen beschleunigen. Dieses klare Zeichen für eine repressive Abschiebepolitik reiht sich ein in die Politik, wirkliche Problemlösungen zu verweigern und stattdessen auf populistische Scharfmacherei, einfache Antworten und Sammelabschiebungen zu setzen.
Abschottung und Abschreckung stehen einem humanen und verantwortungsvollen Umgang mit Schutzsuchenden eklatant entgegen. Es bedarf keiner Struktur, die sich darum bemüht, Reisedokumente für Menschen zu organisieren, damit diese in Länder abgeschoben werden, die politisch als befriedet definiert wurden. Vielmehr werden Stellen benötigt, die ein faires und individuelles Asylverfahren sicherstellen. Die Asylgründe von jungen, alleinstehenden Menschen aus Afghanistan, die dort vor Tod, Folter und Haft geflohen sind, werden zunehmend falsch bewertet. Anstelle einer individuellen Entscheidung über die persönliche Gefährdungslage der Menschen, treten politisch motivierte, standardisierte Entscheidungen. Die Bundesregierung veröffentlichte erst kürzlich Reisewarnungen für Afghanistan und entsandte neue Bundeswehrsoldaten, die explizit die Sicherheitslage in Afghanistan stabilisieren sollen.
Das Asylrecht ist ein Individualrecht und darf nicht durch pauschale Bewertungen von Herkunftsländern ausgehebelt werden. Wir verlangen von Brandenburg, sich nicht zum verlängerten Arm einer verfehlten bundesweiten Asylpolitik zu machen. Wir fordern, dass die Landesregierung klar und öffentlich Stellung gegen Abschiebungen in das Kriegsgebiet Afghanistan bezieht! Afghanistan ist kein sicheres Land!
2. Kehrtwende in Potsdam
Potsdam brüstet sich damit, eine weltoffene und tolerante Stadt zu sein. Das Potsdamer Toleranzedikt und das Integrationskonzept der Stadt sind viel benutzte Aushängeschilder der Landeshauptstadt. In breiten Bündnissen wird gegen Rassismus und für Teilhabe aufgerufen. Doch durch die Korridore der Potsdamer Verwaltung weht zunehmend ein anderer Wind. Das neue Integrationskonzept liegt auf Eis. Die aktuelle Entwicklung im flüchtlingspolitischen Handeln der Verwaltung läuft konträr zum breiten Engagement der Potsdamer Bevölkerung. Potsdam schließt sich einer bundesweiten, zunehmend restriktiven Flüchtlingspolitik wider jeder Humanität und Verantwortung für Schutzsuchende an.
„Konsequente Abschiebung“ – pauschal und traumatisierend:
Derzeit gibt es ca. 150 Dublin-Fälle in Potsdam. Potsdams Verwaltung will die betroffenen Menschen in den nächsten Monaten konsequent in die Ersteinreiseländer zurückschieben. Die Rückschiebungen sollen überwiegend nachts stattfinden.
Was heißt Rückschiebung?
Es geht darum, Menschen in das Land zurückzuschieben, in dem sie als erstes Europa betreten haben. Dies sind zunächst die Länder am Rand der EU (Polen, Italien, Griechenland, Bulgarien, etc.). Manche Menschen reisen weiter. Dafür gibt es vielfältige Gründe: überfüllte Lager, unwürdige Lebensumstände, undurchschaubare Asylverfahren, fehlende Rechtsberatung oder der Wunsch, zu Verwandten in andere Länder zu gelangen. Wird per Fingerabdruckdatenbank festgestellt, dass die asylsuchende Person bereits in einem anderen EU-Land war, soll sie in dieses rückgeschoben werden, um dort ihr Asylverfahren durchzuführen. Allerdings bestehen in vielen Ersteinreiseländern erhebliche systemische Mängel im Asylverfahren. Deutschland hat ein Selbsteintrittsrecht in das Asylverfahren und kann entscheiden, das Asylverfahren in Deutschland durchzuführen.
Potsdam möchte Menschen, die über bestimmte Länder eingereist sind, pauschal zurückschieben. Die Entscheidung, ob ein Mensch in ein anderes europäisches Land zurückgeführt wird, um dort sein Asylverfahren durchzuführen, muss jedoch laut Gesetzesintention immer eine Einzelfallprüfung sein.
Die Rückschiebung soll in der Regel mitten in der Nacht durchgeführt werden. So soll sichergestellt werden, dass die betroffenen Flüchtlinge anwesend sind und dass Proteste von Nachbar*innen erschwert werden. Diese Praxis bedeutet ein traumatisierendes Ereignis für den einzelnen Menschen, darunter viele Kinder: Mitten in der Nacht dringen der Wachschutz und die Ausländerbehörde in den einzigen Schutzraum ein, den die Menschen nach ihrer Flucht gefunden haben. Sie sind wieder durch eine äußere Gewalt gezwungen, alle ihre Habseligkeiten zusammenzupacken und werden zu einer weiteren Grenze deportiert. Auch Mitbewohner*innen, die vor Krieg und Zerstörung geflohen sind und im selben Zimmer oder in derselben Unterkunft wohnen, sind diesem nächtlichen Überfall zur Durchsetzung von Verwaltungsanweisungen ausgesetzt. Nachts sind nicht einmal Sozialarbeiter*innen anwesend, um die Situation zu begleiten, zu unterstützen oder aufzufangen. Immer wieder kommt es zu Gewaltanwendung durch Polizei und Ausländerbehörden in Brandenburg.
Wir fordern den Zugang zu einem fairen und individuellen Asylverfahren statt nächtliche und unangekündigte Abschiebungen! Potsdam muss Farbe bekennen und Verantwortung für hier lebende Geflüchtete übernehmen.
Unterbringung fernab von Menschlichkeit:
Zum 1. März eröffnet(e) unter Trägerschaft von „European Homecare“ weitab von jeglicher Nachbarschaft mitten im Industriegebiet Rehbrücke/Drewitz eine neue Unterkunft für Asylsuchende. Bemerkenswert schnell und ohne lästige Mitsprache des Sozialausschusses oder des Migrantenbeirates wurde „European Homecare“ der Zuschlag für eine neue Flüchtlingsunterkunft im Handelshof 20 zugesprochen. Der umstrittene Träger ist ein rein wirtschaftliches Unternehmen, das in der Unterbringung von Asylsuchenden ein lukratives Geschäftsfeld gefunden hat. Bekannt wurde European Homecare spätestens 2014 – als Bilder von misshandelten und gedemütigten Flüchtlingen in nordrhein-westfälischen Heimen in den Tagesnachrichten gezeigt wurden. Der nordrhein-westfälische Innenminister Jäger äußerte sich beschämt und zeigte sich sicher, dass auch seine Kolleg*innen aus anderen Bundesländern mehr als kritische Fragen an „European Homecare“ stellen würden. Potsdam sieht sich dazu leider nicht berufen.
Für die Ab- und Rückschiebemaschinerie ist es praktisch, wenn Gemeinschaftsunterkünfte einen schnellen und unkomplizierten Zugriff auf die Menschen ermöglichen. Besonders reibungslos klappen nächtliche Behördeneinsätze, wenn eine Unterkunft soweit am Stadtrand liegt, dass es keine Nachbarschaft gibt, die eingreifen oder sich beschweren kann. So können Proteste einer aktiven Bürgerschaft – wie im letzten Jahr in Potsdam-West – vermieden werden.
Die Unterbringung von Asylsuchenden darf nicht dubiosen Sicherheitsunternehmen obliegen. Für eine menschenwürdige Unterbringung von Schutzsuchenden inmitten der Potsdamer und Brandenburger Gesellschaft! Für eine Unterbringung in Wohnungen!