Azubis und Berufsschüler anfällig für Rechtsextremismus
POTSDAM Auszubildende und Berufsschüler mit relativ niedrigen Bildungsabschlüssen sind in puncto Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus die Hauptproblemgruppe. Allerdings seien sie schwieriger zu erreichen als Schüler in allgemeinbildenden Schulen, wie Uta Leichsenring, Landesbeauftragte für das Handlungskonzept Tolerantes Brandenburg, gestern sagte. Deshalb arbeiten die beiden Projekte “Heimat” und “Die Welle” seit dem vergangenen Jahr gezielt mit Auszubildenden gegen Rechts.
“Heimat” ist langfristig angelegt und soll im Idealfall mit einer ganzen Klasse plus Lehrer sogar bis nach Ausbildungsabschluss durchgeführt werden. Jede Gruppe kann dabei innerhalb von drei Jahren an mindestens acht Seminaren teilnehmen. Ort der Veranstaltung ist nicht das Schulgebäude, sondern die DGB-Bildungsstätte in Flecken Zechlin (Kreis Ostprignitz-Ruppin).
Dort werden die jungen Leuten zunächst danach befragt, was ihnen an ihrer Heimat wichtig ist, wovor sie sich fürchten und was ihnen Angst macht. “Politische Einstellungen werden dabei nicht diskutiert”, erklärt Projektleiter Armin Steil. Auch Themen wie Bewerbung, Konflikte im Betrieb oder Lebensperspektiven gehören zum Seminar. “Den Schwerpunkt bildet immer die Arbeitswelt der Auszubildenden, weil dort der Rechtsradikalismus entsteht”, so Steil.
Ziel ist es, moralische und politische Lernprozesse zu fördern, damit die Auszubildenden anschließend in der Lage sind, Verschiedenheit anzuerkennen und Fremdheit auszuhalten. “Das sind jedoch keine Veranstaltungen, die gegen etwas, sondern solche, die für etwas sind”, betont Steil. Das Projekt verändere dadurch auch das Klima in der Klasse. Nach den Seminaren entscheiden alle gemeinsam, ob sie weiter teilnehmen möchten.
Finanziert wird das auf drei Jahre angelegte Projekt mit 122 000 Euro aus dem brandenburgischen Bildungsministerium und mit 218 000 Euro von der Europäischen Gemeinschaft. Gegenwärtig wird “Heimat” in den Oberstufenzentren Zehdenick, Bernau, Frankfurt (Oder) und Eberswalde angeboten.
Außerhalb des schützenden Klassenverbandes setzt sich das Kunstprojekt “Die Welle” mit dem Rechtsradikalismus auseinander. Dabei sollen Schüler der Abgangsklassen aus Berlin und Brandenburg mit Auszubildenden und Jugendlichen, die sich in einer berufsvorbereitenden Maßnahme befinden, Vorurteile abbauen und ihr eigenes Selbstbewusstsein stärken.
“Eine Woche lang können die Jugendlichen das Thema Rechtsextremismus mit ihren eigenen Erfahrungen füllen”, erklärt Projektleiter Hermann Nehls. Dazu spielen sie Theater und drehen Videos in Eigenregie. “Das spricht die Jugendlichen wirklich an, da beides für sie eine fremde, faszinierende Welt darstellt”, so Nehls.
Als Grundlage für das Projekt dienen die Texte aus dem gleichnamigen, amerikanischen Buch “Die Welle”. Darin will ein Lehrer seinen Schülern mit einem Experiment beweisen, dass jeder überall für faschistoides Handeln und Denken anfällig ist. Die dabei von ihm ausgelöste “Bewegung” gerät jedoch zunehmend außer Kontrolle. Vor unerwarteten Emotionsausbrüchen waren auch die Jugendlichen, die seit September 2001 schon an dem Projekt teilgenommen haben, nicht sicher. “Durch die Körpersprache werden die dunklen Seiten hochgespielt und es entstehen oft dramatische Stimmungen, in denen auch Tränen fließen”, sagt Nehls. Im Anschluss an den Aufenthalt in der Bildungsstätte haben Jugendliche aus Flecken Zechlin, Rheinsberg und Zehdenick ihre Videofilme und Theaterstücke bereits in ihren Betrieben und Schulen gezeigt.
Hermann Nehls will eine Welle auslösen. So wird interessierten Seminar-Teilnehmern eine Jugendleiter-Ausbildung angeboten. Mit desinteressierten Jugendlichen hat Nehls kein Problem, “denn die kommen erst gar nicht”.