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Basteln gegen Bomben

Tausende kamen zum Oster­marsch an den geplanten Luft-Boden-Schieß­platz bei
Wittstock

(Berlin­er Zeitung) FRETZDORF. In jed­er freien Minute hat Angela Horn vor Ostern gebastelt. “Für
den Frieden”, sagt sie. Während das Fernse­hen Bilder von den Bombenangriffen
auf Bag­dad zeigte, fal­tete die 40-Jährige aus dem nordbrandenburgischen
Frank­endorf aus bun­tem Papi­er Kraniche, mehr als 400 Stück. Doch ihr ging es
nicht um Frieden im Irak, son­dern darum, dass vor ihrer eige­nen Haustür
keine Bomben fallen. 

Denn sie wohnt in Frank­endorf, einem kleinen Ort direkt an der
Kyritz-Rup­pin­er Hei­de. Dort, im so genan­nten Bom­bo­drom, übte die Sowjetarmee
mit ihren MiGs mehr als 40 Jahre lang Bomben­ab­würfe, bis zu 27 000-mal im
Jahr. “Die Flugzeuge flo­gen so dicht über unseren Häusern, dass man ständig
Angst hat­te, sie stürzen ab”, sagt Angela Horn. Der Lärm sei furchtbar
gewe­sen. “Wir hat­ten ein­fach Angst.” Angst, dass ein­er der tieffliegenden
Jets abstürzt. Oder, dass die Bomben nicht auf die Hei­de, son­dern auf
Frank­endorf fall­en — wie schon ein­mal Mitte der 80er-Jahre. 

Doch Fluglärm und Bomben gehören seit zehn Jahren der Ver­gan­gen­heit an. 1994
zogen die Russen vom Bom­bo­drom ab. Aber die Bun­deswehr will das Are­al weiter
als Luft-Boden-Schieß­platz nutzen. 3 000 Ein­sätze pro Jahr will die
Luft­waffe hier fliegen. Dage­gen kämpft die Bürg­erini­tia­tive “Freie Heide”.
Beispiel­sweise mit Wan­derun­gen zum “Bom­bo­drom”.

Größter Oster­marsch

Den größten Zulauf hat der alljährliche Oster­marsch — in diesem Jahr unter
dem Mot­to “Der Friede braucht kein Bom­bo­drom”. 6 000 Men­schen kamen dazu am
Oster­son­ntag in die Kyritz-Rup­pin­er Hei­de, sagen die Ver­anstal­ter. Auch in
diesem Jahr soll es der größte deutsche Oster­marsch gewe­sen sein. Die
Polizei spricht dage­gen nur von 3 000 Teil­nehmern. Höhep­unkt des Nachmittags
war der gemein­same Start von mehreren Tausend Luft­bal­lons, an denen
Papierkraniche befes­tigt waren. Viele Men­schen aus der Region haben diese
Papiervögel gefal­tet und an die Bürg­erini­tia­tive geschickt — aber keiner
schaftte so viele wie Angela Horn, die an jen­em Nach­mit­tag einen
Extraap­plaus erhält. “Die Kraniche wur­den nach den Atom­bomben­ab­wür­fen auf
Hiroshi­ma und Nagasa­ki zum Sym­bol für Frieden und Hoff­nung”, sagt Petra
Schirge von der Bürg­erini­tia­tive. Und um Frieden geht es auch für die
Men­schen, die in den Dör­fern rund um das Bom­bo­drom leben. Sie wollen nicht,
dass bald in ihrer Nach­barschaft wieder “Krieg geübt” wird. 

Doch das Vertei­di­gungsmin­is­teri­um ist schein­bar fest entschlossen, die
Kyritz-Rup­pin­er Hei­de als Luft-Boden-Schieß­platz zu nutzen. Schon der
jahre­lange Rechtsstre­it, in den die Bürg­erinia­tive “Freie Hei­de” die
Bun­desre­pub­lik ver­wick­elt hat­te, brachte die Gen­eräle nicht von diesen
Plä­nen ab. Bis zur let­zten Instanz, dem Bun­desver­wal­tungs­gericht, klagten
bei­de Parteien. Dort bekam die Bürg­erini­tia­tive Recht — eine militärische
Nutzung sei gegen­wär­tig nicht zuläs­sig, urteil­ten die Richter. Aber nur
deshalb, weil es das Vertei­di­gungsmin­is­teri­um bis dahin ver­säumt hat, ein
förm­lich­es Anhörungsver­fahren der von ein­er mil­itärischen Nutzung
betrof­fe­nen Gemeinde durchzuführen. Dieses Anhörung wurde inzwischen
nachgeholt. 

“Dieses Ver­fahren war eine Farce”, sagt Benedikt Schirge, ein­er der
Haup­tak­tiv­en der Bürg­erini­tia­tive Freie Hei­de. “Die Unter­la­gen, die das
Vertei­di­gungsmin­is­teri­um vorgelegt hat, waren völ­lig lap­i­dar.” Im
Vertei­di­gungsmin­is­teri­um ist man ander­er Ansicht. Eine entgültige
Entschei­dung, ob das “Bom­bo­drom” wieder in Betrieb geht, stünde aber noch
aus, heißt es dort. Und Vertei­di­gungsmin­is­ter Peter Struck (SPD) kündigte
Min­is­ter­präsi­dent Matthias Platzeck (SPD) vor Ostern an, dass er vor einer
endgülti­gen Entschei­dung mit Lokalpoli­tik­ern sprechen werde. Das Treffen
soll am 5. August stattfinden. 

Zudem soll sich der Koali­tion­sauss­chuss der Bun­desregierung am 8. Mai mit
dem “Bom­bo­drom” beschäfti­gen. Das sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete
Hans-Chris­t­ian Strö­bele, Haup­tred­ner des Oster­marsches in der
Kyritz-Rup­pin­er Hei­de. Die Bünd­nis­grü­nen hat­ten bei den
Koali­tionsver­hand­lun­gen mit der SPD im Herb­st 2002 durchge­set­zt, dass die
mil­itärische Notwendigkeit des Luft-Boden-Schieß­platzes in Nordbrandenburg
nochmals über­prüft wird. Im Gegen­satz zur Mehrzahl der SPD-Bundespolitiker
hal­ten die Grü­nen den Übungsplatz für über­flüs­sig. Ob sich der kleine
Koali­tion­spart­ner damit durch­set­zen kann, ist fraglich. “Die Sit­u­a­tion ist
schlechter gewor­den”, so Ströbele. 

Die Bürg­erini­tia­tive hat sich schon auf den schlimm­sten Fall vorbereitet,
sagt Benedikt Schirge: “Die Kla­gen gegen die Inbe­trieb­nahme des Bombodroms
sind fertig.” 

Pick­nick gegen Tiefflüge

Mehrere tausend Oster­marschier­er zogen zum geplanten Bom­bo­drom bei Witt­stock — und set­zten sich in die Sonne

Fret­z­dorf. Der Wind meinte es am Son­ntag gut mit den Oster­marschier­ern am
Rande des Trup­penübungsplatzes bei Witt­stock: Im richti­gen Augenblick
erfasste eine starke Böe die große Wiese hin­ter dem kleinen Fret­z­dorf, auf
der die Kundge­bung­steil­nehmer Tausende Luft­bal­lons mit Papierkranichen
starten woll­ten. Das Vorhaben gelang. Viele bunte Punk­te schwebten in den
blauen Him­mel. Bei Wind­stille wären sie wahrschein­lich in den Bäu­men hängen
geblieben und mit ihnen die handgeschriebe­nen Botschaften: “Der Frieden
braucht kein Bom­bo­drom!”, “Krieg fängt mit Üben an” oder “Touris­mus statt
Tief­flüge”. Mit 6000 Teil­nehmern sei dieser Oster­marsch der größte seit elf
Jahren gewe­sen, erk­lärten die Ver­anstal­ter. Die Polizei zählte dage­gen nur
3200 Marschierer. 

Die Papierkraniche hat­ten in den ver­gan­genen Tagen Kinder und Erwach­sene in
den Dör­fern rund um den 144 Quadratk­ilo­me­ter großen Übungsplatz zwischen
Neu­rup­pin, Rheins­berg und Witt­stock gefal­tet. “Ganz bewusst nehmen wir das
nach den Atom­bomben­ab­wür­fen auf Hiroshi­ma und Nagasa­ki zum Friedenssymbol
gewor­dene Zeichen auf”, sagte Pfar­rer Benedikt Schirge, Sprech­er der seit 11
Jahren gegen eine mil­itärische Nutzung der Kyritz-Rup­pin­er Hei­de kämpfenden
Bürg­erini­tia­tive. Und die Bal­lons mit den Kranichen kon­nten auch ungestört
in den Him­mel steigen: Die Ini­tia­tive “Pro Bun­deswehr”, die sich von einer
neuen Gar­ni­son viele Arbeit­splätze ver­spricht, wollte von einem Flugzeug aus
Flug­blät­ter über den Demon­stran­ten abw­er­fen. “Aber das Ord­nungsamt hat die
Aktion unter­sagt, um Pro­voka­tio­nen zu unterbinden”, berichtete Schirge. Die
Bun­deswehr, die den in den fün­fziger Jahren von der Sowjetarmee
ein­gerichteten Platz seit Jahren beansprucht, beobachtete die Kundge­bung aus
sicher­er Dis­tanz. So ver­lief die dreistündi­ge Ver­anstal­tung in voller
Har­monie. Während die Red­ner ihre Argu­mente gegen die Tief­flüge und
Bombenübun­gen auf­führten, prak­tizierten die meis­ten Teil­nehmer ihre
Vorstel­lun­gen von ein­er Hei­de ohne Flugzeuglärm: Sie genossen bei einem
Pick­nick im Grü­nen die ruhige Land­schaft und die Sonne. 

“Damit kön­nte es bald vor­bei sein”, warnte der Bun­destagsab­ge­ord­nete der
Grü­nen, Hans-Chris­t­ian Strö­bele. Sein­er Ken­nt­nis nach wolle auf dem
Übungsplatz nicht nur die Bun­deswehr trainieren, son­dern auch andere
Nato-Armeen. Der rot-grüne Koali­tion­sauss­chuss wird sich Strö­bele zufolge
ver­mut­lich in der ersten Mai­woche mit dem The­ma beschäfti­gen. Seine Fraktion
werde “alles Mögliche” gegen den Übungsplatz tun. 

Deut­lich­er wurde der SPD-Lan­drat Chris­t­ian Gilde. “Die Hal­tung der Bundes-
und Lan­des-SPD zum Bom­bo­drom ist beschä­mend”, sagte er. “Falls die
Bun­deswehr tat­säch­lich kommt, holen wir unsere Klageschriften aus den
S
chubladen.” Während sich von den Bran­den­burg­er Lan­despoli­tik­ern niemand
sehen ließ, sam­melte der stel­lvertre­tende Min­is­ter­präsi­dent von
Meck­len­burg-Vor­pom­mern, Wolf­gang Meth­ling (PDS), Sym­pa­thiepunk­te. “Tief­flüge
über der Müritz und der Meck­len­bur­gis­chen Seen­plat­te bedeuten nur eins:
Abschwung Ost durch Zer­störung des Touris­mus.” Seine Lan­desregierung lehnt
den Übungsplatz deshalb grund­sät­zlich ab. 

(Infori­ot) Siehe auch die auf Indy­media veröf­fentlicht­en Berichte.

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