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Behördliche Unmenschlichkeit zu Weihnachten

Kurz vor Wei­h­nacht­en, am 20. Dezem­ber, gab es in der Eber­swalder Flämingstraße im Bran­den­bur­gis­chen Vier­tel einen 4‑stündigen Großein­satz von Polizei und Aus­län­der­be­hörde. Ziel war die Abschiebung eines jun­gen Mannes und ein­er Fam­i­lie nach Rus­s­land. Alle Betrof­fe­nen waren vor der Bedro­hung durch die bru­tale Dik­tatur in der rus­sis­chen Teil­re­pub­lik Tschetsche­nien geflo­hen. Am Ende des Ein­satzes wurde ein junger 20jähriger abgeschoben, seine Mut­ter bleibt allein zurück. Die Abschiebung der Fam­i­lie musste zwar abge­brochen wer­den, aber die Betrof­fe­nen ste­hen unter Schock. Die Angst vor weit­eren Abschiebun­gen ist groß, auch unter den vie­len anderen geflüchteten Tschetsch­enen, die in Eber­swalde leben.

Wir haben mit eini­gen der Betrof­fe­nen gesprochen und möcht­en der offiziellen Darstel­lung die der betrof­fe­nen Fam­i­lien gegenüber­stellen“, erk­lärt Thomas Janosch­ka vom Barn­imer Bürger*innenasyl. „Der Ein­satz war organ­isiert, als gälte es bewaffnete Schw­erver­brech­er oder Ter­ror­is­ten festzunehmen. Die Betrof­fe­nen woll­ten aber nichts anderes, als hier in Sicher­heit leben. Abschiebun­gen sind unmen­schlich — wir fordern dage­gen ein Bleiberecht für alle!“

Wie uns Frau Kukie­va berichtete, kamen Polizis­ten mit Maschi­nengewehren bewaffnet in die Woh­nung ihrer Fam­i­lie und blieben dort für die Dauer des Ein­satzes. Aus Verzwei­flung wollte Frau Kukie­va ein Mess­er gegen sich selb­st ver­wen­den um sich zu ver­let­zen, aber die Polizei hat sich kurzzeit­ig selb­st bedro­ht gefühlt. Inzwis­chen hat die Polizei ein Ermit­tlungsver­fahren wegen “Nöti­gung” gegen sie ein­geleit­et. Glück­licher­weise war der 16-jährige Sohn der Fam­i­lie nicht zu Hause, ver­mut­lich wurde auch deshalb die Abschiebung der Fam­i­lie abgebrochen.

Die Fam­i­lie, die schon seit 9 Jahren in Deutsch­land lebt, hat­te nicht mit ein­er Abschiebung gerech­net. Laut Gesetz muss diese angekündigt wer­den, wenn die Betrof­fe­nen schon mehr als ein Jahr lang geduldet wer­den. Dabei wird den Betrof­fe­nen nicht der genaue Ter­min mit­geteilt, aber die Absicht in näch­ster Zeit abzuschieben. Weil die Aus­län­der­be­hörde die Abschiebung nicht wie vorgeschrieben angekündigt hat­te, hat die Anwältin der Fam­i­lie eine Einst­weilige Ver­fü­gung bei Gericht beantragt. Zunächst hat die Barn­imer Aus­län­der­be­hörde dem Gericht mündlich zuge­sagt, in den näch­sten vier Wochen keine Abschiebev­er­suche zu unternehmen. Außer­dem ist ein Antrag auf Bleiberecht wegen guter Inte­gra­tion für den 16jährigen Sohn anhängig.

Für den Vater der Fam­i­lie, Her­rn Tse­cho­ev, hat­te die Fam­i­lie der Aus­län­der­be­hörde ein mehr­seit­iges ärztlich­es Gutacht­en vorgelegt. Wegen ein­er Kreb­serkrankung ist er nicht reise­fähig. Eine Mitar­bei­t­erin der Aus­län­der­be­hörde soll bei Vor­lage des Attestes gesagt haben: „Selb­st wenn sie daliegen wie ein Tot­er, ist mir das egal und sie wer­den abgeschoben werden.“

Frau Kukie­va wird immer noch schlecht, wenn sie an die Anspan­nung dieses Polizeiein­satzes denkt. Auf die Frage: „Wie fühlt es sich an, so lange schon mit ein­er ‚Dul­dung‘ zu leben?“ sagt sie: „Wir sind immer im Stress. Wir haben immer Angst, dass eine Abschiebung kom­men kön­nte. Wir haben keine Chance, eine Arbeit zu find­en, weil die Dul­dung nur 3 Monate gilt. Wir kön­nen fast nie entspannen.“

Bei dem sel­ben Polizeiein­satz wurde ein 20-jähriger aus dem­sel­ben Haus tat­säch­lich nach Rus­s­land abgeschoben. Seine Mut­ter, Frau Osmae­va, arbeit­et als Erzieherin und hat seit Okto­ber eine Aufen­thalt­ser­laub­nis. Ihr Sohn hat­te im Som­mer die Schule abgeschlossen und hat­te ger­ade viele Bewer­bun­gen für einen Aus­bil­dungsplatz geschrieben. Außer­dem hat­te er für Anfang Jan­u­ar einen OP-Ter­min, den er nun nicht mehr wahrnehmen kann.
„Für mich ist das ein großer Schock.“, sagt Frau Osmae­va „Ich war seit 2013 mit meinem Sohn in Deutsch­land. Ich war immer allein­erziehend. Im Herb­st habe ich den Aufen­thalt­sti­tel bekom­men und nicht geah­nt, dass mein Sohn trotz­dem abgeschoben wer­den kann, weil er volljährig ist.“ Jet­zt sei er in Moskau und es sei unklar, ob er jemals wieder her kom­men könne. „In Rus­s­land hat er nur gelebt bis er 12 Jahre alt war. Er hat 8 Jahre in Deutsch­land gelebt — er ist hier viel bess­er inte­gri­ert als in Russland.“

Wir fordern die sofor­tige Erlaub­nis der Rück­kehr des abgeschobe­nen 20jährigen”, so Thomas Janosch­ka vom Barn­imer Bürger*innenasyl, “und wir wer­den uns weit­er­hin dafür ein­set­zen, dass es keine weit­eren Abschiebun­gen aus dem Barn­im gibt.”

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