Neben der leider im Vergleich zum Vorjahr nur in geringem Maße zurückgegangenen und damit auf einem hohen Niveau verbleibenden Zahl rassistischer, antisemitischer und rechter Angriffe, waren im Jahr 2021 vor allem Mobilisierungen gegen Menschen, die migriert oder geflohen sind, sowie rund um das Themenfeld der Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung des COVID19-Virus Hauptbetätigungsfeld von rechten und rassistischen Einzelpersonen und Organisierungen.
Die Akteurslandschaft in Bewegung: AfD bleibt stark, Neonazis bauen Strukturen aus
Bei der diesjährigen Bundestagswahl erzielte die AfD 18,3 Prozent, 1,1 Prozent weniger als bei den Bundestagswahlen 2017. Damit schnitt sie in Brandenburg weit über dem Bundesdurchschnitt ab und verschlechterte sich weniger als auf Bundesebene. Sie bleibt knapp hinter der CDU drittstärkste Partei. Insbesondere in Süd- und Ostbrandenburg erzielte sie hohe Ergebnisse. In Südbrandenburg stützt sie sich weiterhin auf das Milieu, das seit 2015 die rassistischen Proteste gegen die Aufnahme und Unterbringung von Asylsuchenden trug.
Nachdem die AfD jahrelang das rechte Spektrum parteipolitisch zum größten Teil allein abdeckte, begann sich 2021 die Situation zu verändern. Das Milieu aktivistischer Neonazis begann wieder verstärkt eigene Strukturen aufzubauen beziehungsweise zu reaktivieren.
Die NPD, die in den letzten Jahren in Brandenburg keine öffentlich wahrnehmbare Rolle spielte, bemüht sich in Cottbus, Königs-Wusterhausen und Frankfurt/Oder um den Aufbau lokaler Strukturen. In Frankfurt/Oder organisierte sie in diesem Zusammenhang im Frühjahr eine Kampagne gegen einen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilten Mann, mit dem Ziel diesen aus der Stadt zu vertreiben. Es gelang ihr, in diesem Zusammenhang mehrere Versammlungen durchzuführen, die z.T. durch eine gewaltbereite Teilnehmerschaft geprägt waren.
Im Gegensatz zur NPD verfügte der III. Weg in den letzten Jahren punktuell über kontinuierlich aktive Strukturen in Brandenburg. Diese baut er aktuell weiter aus, wobei er sich u.a. auf ehemalige Mitglieder von NPD und Kameradschaften stützt. Seit diesem Jahr verfügt die Partei auch in der Prignitz über aktive Mitglieder. Grundlage ihrer politischen Tätigkeit ist dabei weiterhin vor allem ein vigilantistischer Ansatz, den sie in Brandenburg in kleinem Rahmen schon in den letzten Jahren praktiziert hatte. Durch Patrouillengänge versucht die Partei sich lokal als Ordnungsfaktor darzustellen und das staatliche Gewaltmonopol auszuhöhlen. Dabei setzt sie vor allem auf rassistische Mobilisierungen. So patrouillierten Aktive des III. Wegs in der nordbrandenburgischen Kleinstadt Kyritz, in der es zuvor einige Gewaltvorfälle unter Beteiligung tschetschenischer Jugendlicher gab.
Auch die im Kreis Märkisch-Oderland (MOL) aktive Division MOL steigerte in diesem Jahr ihre Aktivitäten. Dabei handelt es sich um eine Gruppe jugendlicher Neonazis im Alter von 15 bis 20 Jahren, deren maßgebliche Akteur:innen Kinder bekannter rechtsradikaler Aktive in der Region sind. Nachdem sie erstmals Anfang 2020 mit dem Verkleben von Stickern und rechten Sprühereien auffielen, nahmen sie in diesem Jahr an mehreren rechten Aufmärschen in Berlin, Leipzig und Dresden teil. Dabei fielen sie auch mit gewalttätigen Aktionen auf. Anfang 2021 zerstörten sie den Gedenkort für Phan Văn Toản, der 1997 in Fredersdorf bei Berlin ermordet worden war. Sie entwendeten eines der Gedenk-Transparente und posierten in Hooligan-Manier mit dem umgedrehten Transparent. Im Dezember 2021 griffen Mitglieder der „Division MOL“ auf einer Querdenker-Demonstration in Berlin Journalist:innen an.
Vorbereitung auf den Tag X: Waffenlager und Schießübungen
Über das Jahr verteilt gab es immer wieder Meldungen zu aufgedeckten Waffenlagern in Brandenburg, so etwa in der Prignitz und in Märkisch Oderland. Im August wurde vor dem Landgericht Neuruppin ein Soldat aus Hennigsdorf wegen illegalen Waffenbesitzes verurteilt, der größere Mengen an Waffen und Munition gehortet und sich mit anderen zu Schießübungen getroffen hatte. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung war auch eine Hitlerbüste gefunden worden. Er selbst behauptete von sich, auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen und lediglich historisch interessiert zu sein. Inwiefern die „Waffenleidenschaft“ des Mannes einen politischen Hintergrund hat, wurde in dem Prozess jedoch nicht geklärt. Anfang Dezember fand eine Großrazzia in Cottbus und Forst sowie bei Bautzen in Sachsen in mehreren Wohnungen von Mitgliedern beziehungsweise aus dem Umfeld der neonazistischen Vereinigung „Brigade 8“ statt. Dabei fand man u.a. Waffen, Elektroschocker, einen Teleskopschlagstock und Drogen. Auch über Razzien und Prozesse hinaus gibt es immer wieder Hinweise von Anwohner:innen, dass in Brandenburgs Wäldern Menschen mit Schusswaffen und Sprengmitteln experimentieren – in Einzelfällen berichten sie auch, dass es sich dabei um Neonazis handelt.
Mobilisierungen: Rassismus und Corona-Leugnung
Die ab September 2021 stärker werdende Diskussion über den Umgang mit dem Versuch von Menschen aus dem Nahen Osten und Afghanistan, über die Grenze zwischen Belarus und Polen in die EU einzureisen, wurde von verschiedenen rechten Akteur:innen in Brandenburg für Mobilisierungsversuche genutzt.
Die AfD veranstaltete zu dem Thema zwei Kundgebungen in Frankfurt/Oder und äußerte sich wiederholt medial dazu. Der III. Weg rief am dritten Oktoberwochenende zu Patrouillen an der Grenze auf. Dabei orientierte er sich offensichtlich am Vorbild rechter Milizen, die einigen Ländern Osteuropas in Grenznähe Jagd auf Migrant:innen machen. Die Aktion wurde polizeilich unterbunden. Dabei wurden mehr als 50 Rechte aus Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Bayern festgestellt, die zum Teil mit Pfefferspray, Schlagstöcken und Stichwaffen bewaffnet waren.
Im Widerstand gegen die Infektionsschutzmaßnahmen während der Corona-Pandemie formierte sich auch in Brandenburg ein zum Teil gewaltbereites (beziehungsweise gewalttätiges) Milieu. Mit der Zuspitzung der pandemischen Lage im Herbst und der daraus resultierenden Verschärfungen der Maßnahmen nahmen auch auch die Aktionen dieses Milieues stark zu. In vielen Städten häuften sich insbesondere gegen Jahresende die Demonstrationen, sogenannte „Spaziergänge“ und auch martialisch anmutende Fackelmärsche, wie etwa in Oranienburg, Falkensee, Rathenow, Bernau und Potsdam. Im Dezember fanden derartige Aufmärsche in vielen brandenburgischen Städten wöchentlich statt.
Auch wenn die Szene heterogen zusammengesetzt ist – unter den Teilnehmenden an den Protesten befinden sich etwa auch auch „linke“ Esoteriker:innen – bestimmen Neonazis und Reichsbürger:innen doch zunehmend den Charakter der Demonstrationen.
Die AfD war auch im zweiten Pandemie-Jahr einer der zentralen Akteure bei der Mobilisierung gegen die Infektionsschutzmaßnahmen, um sich diese politisch zu Nutzen zu machen und um die Demonstrierenden zu werben. Neben der Beteiligung an zahlreichen Demonstrationen, rief die AfD auch selbst immer wieder zu Protesten gegen die Corona-Auflagen auf. Anfang Dezember etwa zu einer mehrtägigen Mahnwache gegen die Corona-Maßnahmen vor dem Landtag in Potsdam. Im Frühjahr hatte die AfD in Bezug auf das geplante Infektionsschutzgesetz Vergleiche zur Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 gezogen und von der Errichtung eines totalitären Staates gesprochen. Ein Bedrohungsszenario, das sich in radikalen Corona-Leugner und sogenannten Querdenker-Gruppen großer Beliebtheit erfreut und dort den Eindruck erweckt, man befinde sich als Teil einer Widerstandsbewegung bereits in einer Art Bürgerkrieg. Auf diese Weise wird in solchen Gruppen dann auch Gewalt als Mittel gegen diese vermeintliche Bedrohung legitimiert und zur Notwehr stilisiert.
Das Thema Corona wird dabei mit klassisch rechten Themen vermengt. Besonders deutlich wurde das bei den von der AfD und der rechten Gruppierung „Zukunft Heimat“ veranstalteten Aufmärschen in Cottbus, die von rechten Hooligans angeführt wurden, u.a. mit einem Banner, auf dem zu lesen war „Kontrolliert eure Grenzen, nicht euer Volk“. Auch andernorts mischen sich unter Aussagen zur Pandemiepolitik immer wieder geflüchtetenfeindliche Parolen. In Wittstock (Ostpringniz-Ruppin) gelang es dem III. Weg etwa 300 Teilnehmende zu einem Fackelmarsch gegen die Corona-Maßnahmen zu mobilisieren.
Bei einer Demonstration in Treuenbrietzen (Potsdam-Mittelmark) wurde der Rechtsextremist Maik Eminger gesichtet, ehemaliges Mitglied der Partei „Der III. Weg“ und Bruder des verurteilten NSU-Unterstützers André Eminger.
An mehreren Orten entlud sich der Widerstand gegen die Infektionsschutzmaßnahmen dann auch gewaltsam. So gab es neben mehreren Angriffen auf Mitarbeitende im Einzelhandel, die etwa auf die Maskenpflicht hingewiesen hatten, Ende November einen Buttersäureanschlag auf zwei Testzentren in Brandenburg an der Havel, bei dem glücklicherweise niemand verletzt wurde. Ebenfalls Ende November bedrohte ein Mann in der Notaufnahme eines Krankenhauses in Potsdam einen Mitarbeiter mit einem Messer, nachdem er auf die Coronaregeln hingewiesen wurde.
Bei einem Anfang Dezember verübten Verbrechen ist die Rolle, die die Mobilisierung gegen die Corona-Schutzmaßnahmen für dessen Begehung spielte, noch genauer zu untersuchen. In Königs Wusterhausen erschoss ein Mann seine Frau und die gemeinsamen drei Töchter. Durch die zuständige Staatsanwaltschaft Cottbus wurde öffentlich bekannt gemacht, dass es einen Abschiedsbrief gebe. In diesem werde als Motiv der Tat benannt, dass die Frau bei ihrem Arbeitgeber einen gefälschten Impfnachweis vorgelegt habe, was aufgeflogen sei. Den gefälschten Impfnachweis hatte der Mann besorgt. Aus diesem Grund hätten die Eltern eine Inhaftierung und den Entzug ihrer Kinder befürchtet. Diese im Abschiedsbrief formulierte Begründung lässt befürchten, dass die Tathandlung von politischen Verschwörungsmythen gelenkt war. Mittlerweile wurde auch bekannt, dass sich das Paar in regionalen Querdenkerkreisen bewegt haben soll.
Bemerkenswert ist, dass der rechten Mobilisierung gegen die Corona-Schutzmaßnahmen von Seiten der Zivilgesellschaft, die in den letzten 20 Jahren die Proteste gegen Naziaufmärsche und rassistische Mobilisierungen trug und den Handlungsspielraum rechtsradikaler Akteure in Brandenburg effektiv begrenzen konnte, nur vereinzelt etwas entgegengesetzt wird. Auch hierdurch verstärkt sich der fälschliche und fatale Eindruck, man habe es mit einer wachsenden Massenbewegung zu tun und nicht mit einer lauter werdenden und sich radikalisierenden Minderheit. Es ist zu befürchten, dass sich daraus substantielle politische Machtverschiebungen im Land ergeben können.
Gedenken an Opfer rechter Gewalt
Zu Beginn dieses Jahres fand zum ersten Mal ein öffentliches Gedenken für Phan Văn Toản statt, der am 31. Januar 1997 am S‑Bahnhof Fredersdorf im Landkreis Märkisch Oderland von zwei Neonazis zusammengeschlagen wurde und drei Monate später im Alter von 42 Jahren an den Folgen des Anriffs verstarb. Organisiert wurde die Mahnwache von der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Märkisch-Oderland und VVN-BdA Märkisch-Oderland. Das Gedenken soll von nun an jährlich stattfinden und die Organisator:innen setzen sich dafür ein, dass am S‑Bahnhof Fredersdorf eine Gedenktafel dauerhaft an Phan Văn Toản erinnert.
Zum 25. Jahrestag des Angriffs auf Noël Martin in Mahlow im Landkreis Teltow-Fläming fand in Blankenfelde-Mahlow im Juni eine Aktionswoche gegen Rassismus statt, an der sich neben vielen anderen Mitwirkenden auch die Opferperspektive beteiligte. Am 16. Juni 1996 hatten Neonazis in Mahlow einen rassistischen Anschlag auf Noël Martin und seine Kollegen Arthur B. und Mikel R. verübt. Martin überlebte nur knapp und war seitdem querschnittsgelähmt. Er lebte mit massiven körperlichen Einschränkungen – und verstarb infolge dieser am 14. Juli 2020 im Alter von 60 Jahren.
In diesem Jahr jährte sich auch der Angriff auf den Punk Sven Beuter zum 25. Mal. Eine Gruppe Aktivist:innen, die schon die vergangenen Gedenkveranstaltungen organisiert hatte, gründeten zu diesem Anlass die „Initiative zum Gedenken an Sven Beuter“ und organisierten rund um den Jahrestag verschiedene Veranstaltungen und eine Demonstration. Einige der geplanten Veranstaltungen konnten aufgrund der Pandemielage allerdings nicht stattfinden. Der damals 23-jährige Sven Beuter wurde am 15. Februar 1996 in Brandenburg an der Havel von einem Neonazi zusammengeschlagen und erlag fünf Tage später seinen Verletzungen.