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Bombodrom: Gericht verhindert Übungsbeginn am Montag / Erleichterung bei Schießplatz-Gegnern

POTSDAM. Die Nachricht kam über­raschend. Die Luft­waffe wird den als
Bom­bo­drom bekan­nten Luft-Boden-Schieß­platz bei Witt­stock nicht wie geplant
am Mon­tag in Betrieb nehmen, teilte das Ver­wal­tungs­gericht Pots­dam am
Don­ner­stag abend mit. Die Luft­waffe wolle damit warten, bis das Gericht eine
endgültige Entschei­dung über den Eilantrag der Bom­bo­drom-Geg­n­er getroffen
hat. Bis 30. Sep­tem­ber soll sie fallen. 

Mar­ti­na Raß­mann erfuhr am Tele­fon von der Entschei­dung. “Ich hätte den
Anrufer umar­men kön­nen”, sagt sie. Frau Raß­mann betreibt mit ihrem Mann
Karsten einen Camp­ing­platz in der Nach­barschaft des Bom­bo­droms, in Kagar.
Bis zu dem Tele­fonat war für sie der kom­mende Mon­tag so etwas wie der Anfang
vom Ende. Jet­zt atmet die 43-Jährige durch. 

“Die Ruhe hier ist fan­tastisch”, hat­te ihr kurz vorher ein­er der Dauercamper
zugerufen. So recht über das Lob kon­nte sie sich nicht freuen. Ger­ade die
Ruhe sieht sie durch die Bun­deswehrpläne, die ein paar Kilo­me­ter weiter
Abwürfe von Übungs­bomben und Schießen mit Bor­d­kanonen üben will, gefährdet. 

Der Luft-Boden-Schieß­platz wird mit 19 Kilo­me­ter Länge und fünf bis zehn
Kilo­me­ter Bre­ite der größte in Deutsch­land sein. Von Okto­ber bis April
wollen die Tor­na­dos in 300 Meter Höhe durch die Ein­flugschneise nördlich von
Kagar don­nern — zum Ver­gle­ich: der Berlin­er Fernse­hturm ist 365 Meter hoch.
Bei manchen Übun­gen dür­fen die Piloten noch tiefer runter, auf 150 Meter.
Schon ein Tor­na­do, der in 450 Meter Höhe fliegt, ist acht- bis zehn­mal so
laut wie ein in näch­ster Nähe vor­beifahren­der Lkw, sagen die
Bom­bo­drom-Geg­n­er. 50- bis 75-mal an jedem der 200 Betrieb­stage im Jahr
wer­den dem­nach die Kampf­jets über die Region kom­men. 1 700 Ein­sätze pro Jahr
erlaubt das Trup­penübungsplatz-Konzept — wobei ein Ein­satz bis zu sechs
Anflüge bedeuten kann. 

Brü­tende Adler, sel­tene Pflanzen

Die ersten Dauer­cam­per haben ihre Verträge mit Mar­ti­na und Karsten Raßmann
deshalb schon gekündigt. Wie viele es sind, möcht­en die Betreiber nicht in
der Zeitung lesen. Denn die Bank kön­nte nervös wer­den. Nur wegen der vielen
Dauer­cam­per bekam das Ehep­aar vor gut zehn Jahren den für den Campingplatz
benötigten Kred­it. Zudem sah es damals so aus, als ob die Tage des
Bom­bo­droms gezählt seien. 

1991 hat­te Jörg Schön­bohm — heute Bran­den­burgs CDU-Innen­min­is­ter, damals
Befehlshaber des Bun­deswehr-Kom­man­dos Ost — mit­geteilt, dass nicht daran
gedacht sei, den Luft-Boden-Schieß­platz der Sow­je­tarmee bei Witt­stock zu
übernehmen. Diese hat­te sich das Gelände nach 1945 angeeignet, warf dann
jahrzehn­te­lang scharfe Bomben auf die Äck­er und Wälder. Das
Dauer­bom­barde­ment machte aus Feldern und Forst eine Hei­de­land­schaft — in
eini­gen Bere­ichen strotzt sie noch heute vor Muni­tion­ss­chrott und
Blind­gängern. In anderen brüten Adler und blühen sel­tene Pflanzen. Doch kaum
waren 1994 die rus­sis­chen Sol­dat­en weg, kam die Bundeswehr. 

“Der Trup­penübungsplatz ist unverzicht­bar für das kon­tinuier­liche Üben der
Luft­waffe”, heißt es heute aus dem Bun­desvertei­di­gungsmin­is­teri­um. Kein
ander­er deutsch­er Platz böte der Luft­waffe so gute Möglichkeit­en wie der in
Bran­den­burg. Die Region sei so dünn besiedelt wie kaum eine andere und das
Bom­bo­drom um ein Vielfach­es größer als die anderen Luft-Boden-Schießplätze
im nieder­säch­sis­chen Nord­horn und im bay­erischen Siegen­burg. Weil diese zu
klein sind, müssten derzeit 75 Prozent des Train­ings im Aus­land absolviert
wer­den. Das sei teuer. 

Mar­ti­na Raß­mann ken­nt die Argu­mente. “Klar, die Gegend hier ist dünn
besiedelt.” Schließlich seien in den let­zten Jahren auch viele Menschen
wegge­zo­gen, weil es hier keine Arbeit gab. Aber Urlauber seien gekom­men, und
die wer­den aus­bleiben, wenn die Düsen­jäger vor­bei­don­nern. “Der Lärm war
fürchter­lich”, erin­nert sich die Frau, die schon hier lebte, als die
Sow­je­tarmee noch Bomben­ab­würfe trainierte. “Die Schrankwand schep­perte, mein
Kind fing an zu weinen.” 

Bis­lang war ihr Camp­ing­platz — in Reise­führern wegen sein­er ruhi­gen Lage
gepriesen — von Ostern bis Herb­st oft aus­ge­bucht. Unternehmerin Raßmann
befürchtet, dass das bald der Ver­gan­gen­heit ange­hört. Sie weiß nicht, ob die
Ein­nah­men dann noch reichen, um die fünf Angestell­ten zu bezahlen und der
Bank die Rat­en zurück­zuzahlen. Der Kred­it läuft noch acht Jahre. Umgerechnet
437 000 Euro haben sich die Raß­manns 1992 von der Bank geborgt. Von dem Geld
kauften sie das drei Hek­tar große Gelände, das früher eine Feriensiedlung
des Magde­burg­er VEB Mess­geräte war, und sanierten es. 

Der Camp­ing­platz der Raß­manns mit seinen 150 Stellplätzen ist eher ein
kleineres Touris­tik-Unternehmen in der Region, die an den Nationalpark
Müritz gren­zt. Zu den größten zählt die noble Mari­na Wolfs­bruch in Klein
Zer­lang. Etwa 1 000 Arbeit­splätze seien in dieser struk­turschwachen Region
Bran­den­burgs im Urlaub­ssek­tor ent­standen, sagt der Lan­drat von
Ost­prig­nitz-Rup­pin, Chris­t­ian Gilde (SPD). Geht der Schieß­platz in Betrieb,
seien sie alle gefährdet. 

Zivil­er Ungehorsam?

Die 160 zivilen Arbeit­splätze, die die Bun­deswehr in ihrer 800 Mann starken
Gar­ni­son in Witt­stock schaf­fen wollen, kön­nten die Jobs nicht ausgleichen,
die im Touris­mussek­tor durch eine Wieder­in­be­trieb­nahme des Bombodroms
ver­nichtet wer­den, glaubt auch Mar­ti­na Raß­mann. Sie sitzt auf der Terrasse
des Camp­ing­platz-Lokals und winkt einem Gast zu, der erst kürzlich
Unter­schriften bei den Campern gegen das Bom­bo­drom sam­melte. “Wenn der
Flug­be­trieb begin­nt, ziehe ich mit meinem Wohn­wa­gen weit­er”, sagt Reiner
Kort­lars­ki. Aber vorher will der West-Berlin­er weit­er kämpfen, gemein­sam mit
der Bürg­erini­tia­tive “Freie Hei­de”. Not­falls auch mit zivilem Ungehorsam.
“Das war kein guter Satz”, ent­geg­net Mar­ti­na Raß­mann. Doch ihre Ablehnung
wird schwäch­er, als sie hört, dass Kort­lars­ki darunter nicht Randale
ver­ste­ht, son­dern gewalt­freie Aktio­nen wie Sitzblock­aden. Trotz­dem zögert
sie. “Früher, im Osten, da durfte man nicht viel kämpfen”, sagt sie. Und
heute? Darf man sich offen gegen den Staat stellen? Und mit welchen Mitteln?
Und mit welchen Konsequenzen? 

Die Gericht­sentschei­dung vom Don­ner­stag vertreibt vor­erst diese Gedanken.
Die Angst bleibt.

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