Brandenburg ist das gefährlichste Flächenland
Die Zahl der Straftaten ist gesunken, doch es gibt nirgendwo sonst pro Einwohner so viele Delikte
(BM, Dieter Salzmann) Potsdam — Brandenburg muss unter den Flächenländern bezogen auf die
Einwohnerzahl eine der höchsten Kriminalitätsbelastungen innerhalb der Bundesrepublik
Deutschland erdulden. Pro 100 000 Einwohner wurden im vergangenen Jahr 9422
Straftaten verübt. “Damit nimmt Brandenburg eine Spitzenposition ein”, sagte
Innenminister Schönbohm bei der Vorstellung der Kriminalitätsstatistik
gestern in Potsdam. Zwar sei diese Quote die niedrigste seit 1994, aber sie sei
deutlich höher als in Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie Westländern wie Bayern
und Baden-Württemberg, wo weniger als 6000 Straftaten pro 100 000 Einwohner
registriert worden waren. In Stadtstaaten wie Berlin und Hamburg lägen die
Zahlen allerdings weit über 16 000 sagte Schönbohm.
Als Ursache für die hohe Kriminalitätsbelastung in Brandenburg nannte
LKA-Chef Axel Lüdders den “kriminalgeographischen Raum”, in dem das Land gelegen
sei. Die Millionenstadt Berlin mit ihrem Speckgürtel wirke sich auf die Zahl
der Straftaten in Brandenburg aus. Die Grenze zu Ost€pa mit ihrem
Wohlstandsgefälle führe zu einem regelrechten Kriminalitätstourismus, sagte Lüders.
Insgesamt ging die Zahl der Straftaten im vergangenen Jahr um 0,9 Prozent
auf 244 328 zurück, dem tiefsten Stand seit acht Jahren. Die Aufklärungsquote
lag bei 55,1 Prozent und ist nach Angaben von Schönbohm “ein gutes Ergebnis
und im Vergleich zu anderen Bundesländern eine hohe Quote. Den Rückgang von 1,8
Prozent liege innerhalb normaler Schwankungsdifferenzen und lasse keine
Trendaussage zu.
Am stärksten rückläufig waren 2002 Autodiebstahl (- 7,1 Prozent),
Drogenhandel (- 6,1 Prozent) und Wirtschaftskriminalität (- 27 Prozent). Zugenommen
haben Straftaten wie Raub, Körperverletzung und Kindesmisshandlung, die so
genannten Rohheitsdelikte (+ 0,8 Prozent). Die Zahl von Sexualstraftaten stieg um
12 Prozent auf 1610.
Als “erschreckend und völlig inakzeptabel” bezeichnete Schönbohm den großen
Anteil junger Straftäter, auch wenn diese Zahl leicht zurückgegangen sei.
30,7 Prozent aller Delikte werden von Tätern unter 21 Jahren verübt. Jede zweite
Gewalttat werde von Jugendlichen oder Heranwachsenden begangen, an der
Bevölkerung haben diese Gruppen jedoch nur einen Anteil von etwa zehn Prozent.
Schönbohm: “Dies ist nach wie vor Ausdruck einer schleichenden Verrohung, der
die gesamte Gesellschaft entschieden entgegentreten muss.”
Der Innenminister kündigte an, das Mittel der Vermögensabschöpfung verstärkt
einzusetzen. “Die konsequente Einziehung der Erlöse aus kriminellen
Machenschaften trifft die Täter an einer empfindlichen Stelle”, so der Minister. Der
Schaden, den Straftäter im vergangenen Jahr angerichtet und die Gewinne, die
sie dadurch erzielt haben, bezifferte er auf 15 bis 16 Millionen Euro.
Tatsächlich wurden im vergangenen Jahr Vermögenswerte in Höhe von 220 000 Euro
eingezogen, von denen 55 000 Euro an die Opfer zurückgegeben wurden.
Weniger Straftaten
Aber weiterhin überdurchschnittlich hohe Kriminalität in Brandenburg
(Berliner Zeitung, Martin Klesmann) POTSDAM. Die Kriminalität in Brandenburg geht zurück — entgegen einem weit
verbreiteten Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung. “Mit 9 422 Delikten pro
100 000 Einwohner haben wir die niedrigste Kriminalitätsbelastung seit 1994
erreicht”, sagte Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) bei der Vorstellung der
Kriminalitätsstatistik für das Jahr 2002. Schönbohm, der in der vergangenen
Woche in landespolitische Turbulenzen geraten war, wertete dies als Erfolg seiner
im vergangenen Jahr durchgeführten Polizeireform. Zwar sei die
Aufklärungsquote gegenüber dem Vorjahr um fast zwei Prozent auf 55,1 Prozent
abgesunken,
ein solch geringfügiger Rückgang aber sei nicht ungewöhnlich.
Tatsächlich nimmt die Kriminalität in Brandenburg immer noch einen
Spitzenplatz im Vergleich mit den anderen bundesdeutschen Flächenländern ein. Nur in
Stadtstaaten wie Hamburg oder Berlin ist die Kriminalität höher, in Berlin
kommt es jährlich zu gut 16 000 Straftaten pro 100 000 Einwohner. Axel Lüdders,
der Leiter des Landeskriminalamtes (LKA), sagte, dass die Nähe zu Berlin
sowie “das Wohlstandsgefälle und der Kriminalitätstourismus in der Grenzregion”
zu der vergleichsweise hohen Kriminalität in Brandenburg beitragen.
Positiv: Die Zahl der Wohnungseinbrüche am helllichten Tage ging im
vergangenen Jahr deutlich zurück — um fast 14 Prozent. Auch Autodiebstähle und
‑einbrüche gab es deutlich weniger. Die Wirtschaftskriminalität ging sogar um 27
Prozent zurück.
Anstieg der Sexualverbrechen
Einen Anstieg hat Brandenburg hingegen bei Roheitsdelikten wie
Körperverletzung, Raub und Nötigung zu verzeichnen. Sexualstraftaten haben im
vergangenen
Jahr sogar um zwölf Prozent zugenommen. Zwei Drittel der Opfer waren Kinder
und Jugendliche unter 18 Jahren, bei einem Drittel aller registrierten
Sexualstraftaten ging es um den sexuellen Missbrauch von Kindern. 85 Prozent der
missbrauchten Kinder waren mit dem Täter verwandt oder bekannt.
Erschreckend ist die offensichtliche Verrohung gerade junger Menschen in
Brandenburg. Laut Schönbohm sei bei Gewalttaten jeder zweite Täter jünger als 21
Jahre. Generell waren 31 Prozent aller Tatverdächtigen Jugendliche unter 21
Jahren, obwohl statistisch gesehen nur jeder fünfte Brandenburger in diesem
Alter ist. “Repression und Erziehung” seien hier vonnöten, sagte Schönbohm.
Der Innenminister kündigte zugleich eine gezielte Weiterbildung von
Staatsanwälten und Polizisten an, um Straftätern illegal beschafftes Vermögen wieder
wegnehmen zu können. LKA-Chef Lüdders hielt es für realistisch, dass dadurch
im Jahr gut 15 Millionen Euro abgeschöpft werden könnten. Es sei geplant,
künftig auch das Auto oder den Computer von Kleinkriminellen einziehen zu
können.
Andreas Schuster, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei, räumte ein, dass
die Polizeireform “trotz teilweise chaotischer Zustände” nicht zu einer
Verschlechterung der polizeilichen Arbeit geführt habe. Er regte aber an, die
Verlagerung der Zentralen Kriminaltechnischen Dienste (ZKD) in die Schutzbereiche
zu überdenken — gerade bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität.
Außerdem sollte an den beiden verbleibenden Polizeipräsidien jeweils ein
fünftes Kommissariat zur Bekämpfung der Bandenkriminalität geschaffen werden.
Schönbohm kündigt eine Überprüfung der Strukturen an.
Daten und Fakten aus der Kriminalitätsstatistik 2002
(MOZ) Potsdam. Im vergangenen Jahr registrierte die Polizei 244 328
Straftaten (ohne Staatsschutz- und Verkehrsdelikte) in Brandenburg. Das waren 0,9
Prozent weniger als 2001. Die Kriminalitätsbelastung sank mit 9422 Delikten
je 100 000 Einwohner auf das niedrigste Niveau seit 1994.
134 540 Straftaten konnten aufgeklärt werden. Das entspricht einer
Aufklärungsquote von 55,1 Prozent — 1,8 Prozent weniger als 2001. Die Polizei
ermittelte 93 599 Tatverdächtige, davon waren 21,7 Prozent Nichtdeutsche.
Besonders erfolgreich war die Polizei nach Einschätzung des
Innenministeriums bei der Aufklärung sehr schwerer Straftaten. So wurden bei 96,0
Prozent der
Mordstraftaten, 82,9 Prozent der Sexualstraftaten und 88,7 Prozent der
Rohheitsdelikte Tatverdächtige ermittelt.
Im Einzelnen verringert
e sich die Diebstahlskriminalität um 0,9 Prozent auf
121 350 Fälle. Starke Rückgänge gab es bei Wohnungseinbrüchen (-13,8 Prozent,
669 Fälle), beim Auto-Diebstahl (-7,1 Prozent, 4908) sowie beim Diebstahl in
und aus Kraftfahrzeugen (-5,1 Prozent, 13 440). Bei den Gewaltstraftaten
wurde ein Rückgang um 1,6 Prozent auf 5140 registriert. Die Zahl der Vermögens-
und Fälschungsdelikte sank um 5,7 Prozent auf 28 584. Ferner wurden 6,1
Prozent weniger Rauschgiftdelikte (5120) gezählt. Am stärksten sank die Zahl der
Delikte im Bereich der Wirtschaftskriminalität: ‑27 Prozent, 3066 Fälle.
Die Zahl der Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit
erhöhte sich um 0,8 Prozent auf 21 754. Dazu zählen Raubstraftaten,
Körperverletzungen, Kindesmisshandlungen, Freiheitsberaubungen, Nötigungen, Bedrohungen
und Geiselnahmen. Die Zahl der Körperverletzungen stieg beispielsweise um
1,6 Prozent auf 13 077. Sexualstraftaten nahmen um 12 Prozent auf 1610 zu.
Der Anteil der unter 21-Jährigen an allen Tatverdächtigen ging von 32,5 auf
30,7 Prozent zurück. Bei Gewalttaten ist praktisch jeder zweite
Tatverdächtige unter 21 Jahre alt. Im Bereich der Rauschgiftkriminalität sind sogar 60
Prozent aller Tatverdächtigen unter 21 Jahre alt.