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Flucht & Migration

Brandenburger Landesregierung lehnt Winterabschiebestopp ab — mit fatalen Folgen

Am 9. Dezem­ber 2014 kon­nte die Abschiebung der Fam­i­lie N. nach Ser­bi­en vom Flughafen Tegel in let­zter Minute ver­hin­dert wer­den. Die Fam­i­lie ist bere­its seit zwei Jahren in Deutsch­land, die drei Kinder gehen zur
Schule. Seit nun fast einem Jahr war die Fam­i­lie in der Über­gang­sun­terkun­ft in Forst. Dort wur­den sie von Nach­barin­nen willkom­men geheißen und unter­stützt, siehe http://www.rbb-online.de/politik/thema/fluechtlinge/brandenburg/fluechtlinge-in-forst.html
Im Mor­gen­grauen holte die Cot­tbusser Aus­län­der­be­hörde die Fam­i­lie mit ihren drei Kindern unangekündigt ab. Um 6 Uhr mor­gens standen Polizeibeamte im Zim­mer in der Unterkun­ft in Forst, ließen die Mut­ter zuerst nicht auf die Toi­lette, nah­men der Fam­i­lie das Mobil­tele­fon ab und trans­portierten die völ­lig verängstigten 7, 10 und 11 Jahre alten Kinder, Vater und Mut­ter in zwei Fahrzeu­gen voneinan­der getren­nt zum Flughafen. Die Hin­weise von Frau N., sie habe die Auf­forderung der Aus­län­der­be­hörde, frei­willig auszureisen, nicht erhal­ten, ignori­erten sie.
Auch am Flughafen durfte Fam­i­lie N. nicht den Anwalt ver­ständi­gen. Ärztliche Gutacht­en und Atteste, die deut­lich darauf hin­weisen, dass eine solche Abschiebung angesichts des psy­chisch labilen Gesund­heit­szu­s­tandes von Frau N. extrem gesund­heits­ge­fährdend sei, wur­den geflissentlich ignori­ert. Erst als die Fam­i­lie Pas­sagiere im Flugzeug um Hil­fe bat, wurde die Abschiebung abge­brochen. Die Fam­i­lie wurde im Polizei­wa­gen zum S‑Bahnhof Süd­kreuz gebracht und dort aus­ge­set­zt. Vol­lkom­men durcheinan­der und mit den Ner­ven am Ende wur­den sie dort von einem Fre­und abge­holt und weit­er versorgt.
Die Abschiebung der Fam­i­lie wurde kom­plett an ihrem Rechts­bei­s­tand vor­bei organ­isiert. Zu keinem Zeit­punkt wurde der Anwalt über die Pläne und das Han­deln der Aus­län­der­be­hörde informiert. Er wurde wed­er davon in Ken­nt­nis geset­zt, dass eine Abschiebung vor­bere­it­et wird noch ob angesichts der psy­chol­o­gis­chen Erkrankung der Mut­ter eine
Reise­fähigkeit­sprü­fung vorgenom­men wurde.
Für eine gründliche Einzelfall­prü­fung und vor­sichti­gen Umgang mit beson­ders Schutzbedürfti­gen Flüchtlin­gen seit­ens der Aus­län­der­be­hörde, wie vom Innen­min­is­teri­um noch eine Woche zuvor öffentlich zuge­sagt, gab es hier kein­er­lei Anze­ichen und angesichts der über­fal­lar­ti­gen Abschiebung auch keine Zeit mehr.
Das Land Bran­den­burg wies die Forderung nach einem Win­ter­ab­schiebungsstopp für Roma zurück mit der Begrün­dung, dieser sei nicht nötig. Man hielte sich hier an gel­tendes Aufen­thalt­srecht, das Abschiebun­gen ver­bi­ete, wenn ‘ern­sthafter Schaden’ oder ‘eine erhe­bliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Frei­heit’ dro­ht. Diese ‘erhe­bliche
konkrete Gefahr’ schließt auch mögliche extreme Wit­terungs­be­din­gun­gen in Heimatlän­dern ein. An diese Regelun­gen hielte sich die Lan­desregierung ohne­hin, sagten ein Sprech­er der Bran­den­burg­er Staatskanzlei:
http://www.rbb-online.de/politik/thema/fluechtlinge/berlin/berlin-fluechtlinge-senat-will-keinen-abschiebestopp-im-winter.html
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Offen­bar bildete im Fall der Fam­i­lie N. das ‘gel­tende Aufen­thalt­srecht’ nicht die Grund­lage für das Han­deln der
Aus­län­der­be­hörde in Cot­tbus. Doch auch weit­ere Roma-Fam­i­lien in Bran­den­burg — darunter auch beson­ders Schutzbedürftige — müssen akut eine Abschiebung noch im Win­ter befürchten.
Die tief ver­wurzelte Diskri­m­inierung der Roma in den Staat­en des West­balkan führt dazu, dass viele Betrof­fene in kaum beheizbaren Behelf­sun­terkün­ften leben müssen oder Obdachlosigkeit aus­ge­set­zt sind. Hinzu kommt eine lebens­bedrohliche medi­zinis­che Unter­ver­sorgung. Im Win­ter ver­schärft das ihre ohne­hin drama­tis­che Sit­u­a­tion. Der
Flüchtlingsrat wirk­te im let­zten Jahr an ein­er Recherche mit, die die Sit­u­a­tion der nach Ser­bi­en abgeschobe­nen Roma beschreibt: http://www.alle-bleiben.info/wp-content/uploads/2014/03/serbien_2013_web.pdf
Inzwis­chen gibt es einen aktuellen Bericht über die Sit­u­a­tion der Abgeschobe­nen im Koso­vo: http://www.fluechtlingsrat-brandenburg.de/wp-content/uploads/2014/12/kosovo_web.pdf. Pro Asyl forderte anlässlich der Innen­min­is­terkon­ferenz einen bun­desweit­en Win­ter­ab­schiebungsstopp für Roma vom West­balkan. Der Bun­desRo­maVer­band kri­tisierte in ein­er Stel­lung­nahme vom 3. Dezem­ber 2014, dass ger­ade in Deutsch­land die Rede von his­torisch­er Ver­ant­wor­tung ernst genom­men wer­den sollte und dies bedeute, den­jeni­gen, di struk­turell aus­geschlossen und benachteiligt wer­den, Chan­cen zu geben anstatt Aus­gren­zungsmech­a­nis­men zu wieder­holen und weit­er zu zemen­tieren: http://bundesromaverband.de/wp-content/uploads/2014/12/BRV_03_DEZ.pdf
In Schleswig-Hol­stein wurde ein genereller Win­ter­ab­schiebungsstopp in jene Herkun­ft­slän­der erlassen, in denen Men­schen im Win­ter exis­ten­zielle Härten dro­hen. Die neue rot-rote Lan­desregierung in Thürin­gen beschloss
unmit­tel­bar nach Regierungsantritt eben­falls einen generellen Win­ter­ab­schiebungsstopp. Auch Ham­burg hat aus human­itären Grün­den einen Win­ter-Abschiebestopp für Flüchtlinge und abgelehnte Asyl­be­wer­ber aus 15 Län­dern erlassen, um sie dort nicht unvor­bere­it­et der Kälte auszuset­zen. All diese Schutz­maß­nah­men meinen ger­ade auch betrof­fene Roma-Fam­i­lien, die bei ein­er Abschiebung nach Ser­bi­en, Maze­donien oder Koso­vo ein­er direk­ten exis­ten­ziellen Gefahr aus­ge­set­zt sind. Die Entschei­dun­gen der Lan­desregierun­gen stoßen auch bun­desweit auf bre­ite Zus­tim­mung: Rund zwei Drit­tel der Bun­des­bürg­er — näm­lich 66 Prozent — begrüßen nach ein­er For­sa-Umfrage für das Ham­burg­er Mag­a­zin Stern diese Entschei­dung, die von der Bun­desregierung gerügt wor­den ist.
Der Flüchtlingsrat Bran­den­burg hat sich in den let­zten Jahren regelmäßig für einen Win­ter­ab­schiebungsstopp einge­set­zt. Die inof­fizielle Antwort der Lan­desregierung war stets: Man brauche keinen Win­ter­ab­schiebungsstopp, weil die Men­schen „frei­willig” aus­reisen wür­den. Aus vie­len Einzelfällen wis­sen wir: Häu­fig wur­den die Menschen
dann unter weit­er dro­hen­der Abschiebung zur „frei­willi­gen Aus­reise” gedrängt — dies ist auch in diesem Jahr wieder der Fall. Von ein­er Frei­willigkeit kann hier keine Rede sein, solange die Men­schen nicht sich­er wis­sen, dass ihnen andern­falls nicht die Abschiebung unter Anwen­dung von Zwang droht.
Nach der trau­ma­tis­chen Erfahrung der Fam­i­lie N. let­zte Woche wis­sen wir auch: Von ein­er Einzelfall­prü­fung von Abschiebun­gen im Fall beson­der­er Härten und beson­deren Schutzbedürftigkeit kann in Bran­den­burg ebenfalls
nicht die Rede sein. Wären an jen­em Dien­stag mor­gen nicht mehrere Ehre­namtliche, Bera­terin­nen, Anwalt und Flüchtlingsrat nicht in den entschei­den­den Minuten im Ein­satz gewe­sen, wäre die Fam­i­lie nun ver­mut­lich in Ser­bi­en in der Obdachlosigkeit oder in ein­er irreg­ulären Sied­lung ohne Strom, Wass­er und Heizung, ohne die fak­tis­che Möglichkeit, die psy­chis­che Erkrankung der Mut­ter zu behan­deln, was die Fam­i­lie mit drei Kindern zusät­zlichen Risiken und Belas­tun­gen aus­set­zen würde. Dies macht klar, dass die vom Innen­min­is­teri­um garantierte inzelfall­prü­fung in Bran­den­burg schlicht nicht funk­tion­iert und auch dass die Men­schen, für die eine Win­ter­ab­schiebung im Einzelfall eine beson­dere Hörte darstellen würde, dadurch nicht geschützt sind.
WIR FORDERN DIE LANDESREGIERUNG IN BRANDENBURG AUF, SICH DEN LÄNDERN SCHLESWIG-HOLSTEIN, THÜRINGEN UND HAMBURG ANZUSCHLIEßEN UND UMGEHEND EINEN WINTERABSCHIEBESTOPP ZU VERFÜGEN!

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