Recherche und Aktion — Nach uns vorliegenden Informationen trainiert Mike Turau die 2. E‑Jugend des Königs Wusterhausener Traditionsvereins SC-Blau Weiss Schenkendorf 1931 e.V. Der brandenburgische Sportverein beschäftigt damit einen langjährig aktiven Neonazi in der Kinder– und Jugendarbeit. Der Unterwanderung von Sportvereinen und Zivilgesellschaft durch Neonazis muss eine klare Absage erteilt werden.
Von „United Skins“ zu den „Freien Kräften“
Der in Königs Wusterhausen (KW) wohnhafte Mike Turau ist kein unbeschriebenes Blatt, sondern seit vielen Jahren für sein neonazistisches Engagement stadtbekannt. Bereits um das Jahr 2000 war er der KWer Neonazikameradschaft „United Skins“ zuzuordnen, die ihrerseits für Angriffe auf alternative Jugendliche, Migrant_innen und Obdachlose verantwortlich gemacht wurde. [1]
Als im Sommer des selben Jahres Carsten Szczepanski, Drahtzieher der lokalen Kameradschaftsszene, als V‑Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes enttarnt wurde, reagierte die Szene in KW und Umgebung mit einigen Jahren der organisatorischen Schwäche. Allerdings sollte dies nicht darüber hinweg täuschen, dass es in der Region auch in den Folgejahren noch zu einigen Aufsehen erregenden Gewalttaten kam: Hier seien unter anderem die Molotovcocktailwürfe auf ein Romalager und das antifaschistische Festival „Le Monde et a nous“ im Jahre 2001, der Brandanschlag auf das Auto eines Polizisten und eine, ebenfalls im Jahr 2005 durch einen Neonazi verübte Attacke mit einer abgebrochenen Glasflasche auf einen jungen Punk zu nennen. Es sollte klar sein, dass Neonazis keine festen Organisationsstrukturen benötigen, um ihr menschenverachtendes Weltbild in die Tat umzusetzen, auch wenn staatliche Behörden die Gefahr, die von unorganisierten Neonazis ausgeht, oftmals bagatellisieren.
Exkurs: Verfassungsschutz aufgeflogen
Als der Fall des V‑Mann „Piatto“ im Jahr 2000 öffentlich wurde, zeigte sich der Fatalismus des bundesdeutschen V‑Mann-Wesens in aller Deutlichkeit. Mit der Enttarnung von Carsten Szczepanski als V‑Mann „Piatto“ des Brandenburgischen Verfassungsschutzes wurde offensichtlich, dass der Geheimdienst jahrelang seine schützende Hand über einen der regionalen Drahtzieher der brandenburgischen Neonaziszene gehalten hatte. Obwohl gegen ihn damals schon u.a. ein Verfahren wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung lief und er wegen eines rassistischen Mordversuchs in Untersuchungshaft saß, sorgte der Verfassungsschutz für seine vorzeitige Haftentlassung und unternahm nichts, als dieser weitere militante Neonazistrukturen aufbaute. „Piatto“ hingegen erhielt Hafterleichterungen, finanzielle Zuwendungen in Höhe von 70.000 Mark und behördliche Rückendeckung. Folglich reorganisierte er die lokalen Strukturen der NPD, gab noch aus der Haft ein Fanzine der militanten Neonaziszene heraus, veranstaltete Blood&Honour-Konzerte und handelte, wie nach seiner Enttarnung hochkam, auch noch mit Waffen.
Im Jahr 2005 gehörte Turau schließlich zu einem neu gegründeten, losen und hauptsächlich durch Freundschaften getragenen Netzwerk von etwa 15 Neonazis aus KW und Umgebung [2], die erneut in die Öffentlichkeit traten: die „AG_KWh“. Neben der gemeinsamen Teilnahme an Aufmärschen unterhielt man schon zu jener Zeit enge Kontakte nach Berlin, insbesondere zu Mitgliedern der frisch verbotenen „Berliner Alternative Süd-Ost“ (BASO) und „Kameradschaft Tor“ (KS-Tor) [3]. Dabei handelte es sich um Strukturen, die später überwiegend im Berliner Neonazi-Netzwerk „Nationaler Widerstand Berlin“ (NW-Berlin) aufgehen sollten, zu dem Turau auch heute noch enge Kontakte pflegt.
2006 verfestigte sich die Struktur der KWer Neonazis unter dem Label „Freie Kräfte Königs Wusterhausen“ (FK-KWh). Neben Mike Turau und anderen, gehörte fortan auch ein gewisser Ronny Grunow zu den Aktiven [4]. Auf den Bestattungsunternehmer aus dem Ortsteil Mittenwalde, soll im Text später noch eingegangen werden.
Anfangs mit Sprühereien im Stadtgebiet und durch gemeinsame Auftritten bei Neonaziaufmärschen, machten die FK-KWh bald auch durch Einschüchterungsversuche und offensichtliche Gewaltbereitschaft auf sich aufmerksam. So versuchten zehn Neonazis aus dem Umfeld der FK-KWh am Abend des 25. Mai 2007 ein Punkkonzert KWer Stadtjugendring anzugreifen. Nach einem ersten Angriffsversuch, bei dem Wurfgeschosse in Richtung des Veranstaltungsortes geworfen wurden, folgte nach einer halben Stunde ein weiterer, der jedoch abgewehrt werden konnte. Neben dem Königs Wusterhausener NPD-Vorsitzenden Michael Thalheim, der auf dem Rückzug den Hitlergruß zeigte, wurde in dem Parolen rufenden Mob auch Mike Turau identifiziert. [5]
Am 11. August 2008 verfolgte Mike Turau, in Begleitung von Benjamin Weise, der im selben Jahr im Landkreis für die NPD kandidierte, drei Antifaschist_innen in ihrem PKW durch KW. An einer Ampel versuchten die beiden Neonazis die Scheiben des PKW mit Teleskopschlagstöcken einzuschlagen. Nur durch schnelle Flucht gelang es den Angegriffenen eine weitere Eskalation zu vermeiden. [6]
Zur gleichen Zeit intensivierten die FK-KWh ihre Teilnahme an überregionalen Aufmärschen, wie z.B. am 1. Mai 2008 in Hamburg oder am 23. August des selben Jahres in Quedlinburg (Sachsen-Anhalt). Auch eigene Versammlungen wurden organisiert, so z.B. am 21. August 2008 in KW. Am 24. Januar 2009 hielt Turau auf einem Aufmarsch Freier Kameradschaften in Brandenburg/Havel einen Redebeitrag der FK-KWh. Thematisch hetzte er gegen „Linke“, sowie das „raffende“ und „heimatzerstörende“ Kapital.
Nur drei Tage später, am 27. Januar 2009, dem Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz, versuchten sechs Neonazis aus dem Umfeld der FK-KWh eine Gedenkveranstaltung an die Opfer des Faschismus in Königs Wusterhausen zu stören. Während ein Teil der Gruppe rechte Parolen rief, versuchte Mike Turau die Teilnehmer_innen der Gedenkveranstaltung abzufotografieren. [7] Turaus anhaltende Anti-Antifa-Tätigkeit brachte ihm im Jahre 2013 eine Bewährungsstrafe ein. Nach drei Verhandlungstagen sah es das Amtsgericht Königs Wusterhausen als erwiesen an, dass Turau am 18. September 2010 einen freien Journalisten in Berlin-Schöneweide abfotografiert und dessen Portrait anschließend auf der Internetseite der FK-KWh veröffentlicht hatte. Derartige „Anti-Antifa“-Tätigkeiten stellen für Neonazis keinen Selbstzweck dar, vielmehr sind sie Mittel zur Einschüchterung und Vorbereitung von Gewalttaten gegenüber vermeintlichen und tatsächlichen politische Gegner_innen.
Anbindung an die Berliner Neonaziszene
Spätestens seit 2011 übernimmt Turau zunehmend logistische Aufgaben auf Veranstaltungen des Berliner Neonazinetzwerks NW-Berlin, in enger Verflechtung mit der Berliner NPD. Neben Anti-Antifa-Aktivitäten und Ordnerdiensten auf Kundgebungen und Parteitagen, tritt Turau mittlerweile regelmäßig als Fahrer des Lautsprecherwagens der Berliner NPD in Erscheinung.
Am 14. Mai 2011, versuchte der NW-Berlin im Zuge seiner „Ausländer raus!“-Kampagne einen Aufmarsch in Berlin-Kreuzberg durchzuführen. Noch im U‑Bahnhof veranstalten die Neonazis eine Hetzjagd auf Migrant_innen. Wenig später attackierten sie unter den Augen der Polizei eine kleine Gruppe an Gegendemonstrant_innen. Mike Turau befand sich unter den 120 Neonazis, die konspirativ aus dem gesamten Bundesgebiet angereist waren. Drei Monate später, am 13. August, fuhr Mike Turau den Lautsprecherwagen während einer NPD-Kundgebung in Berlin-Prenzlauer Berg. Das gleiche Bild gab es am 17. Juni 2012 während einer NPD-Kundgebung in Berlin-Friedrichshain.
In seiner Funktion als Ordner bei einer NPD-Saalveranstaltung Berlin-Gropiusstadt, bedrohte er am 16. Februar 2013 anwesende Pressevertreter_innen ohne, dass die Polizei eingriff. Am 14. April 2013 gehörte Mike Turau zum Kreise von acht NPD’ler_innen, die in Berlin-Tiergarten mit Megaphon und einem Transparent eine Kleinst-Kundgebung abhielten. Die Reden hielten die NPD-Funktionär_innen Maria Fank und Andreas Storr. Auf einer Kundgebung am 8. Mai 2013 in Berlin-Karlshorst kümmerte sich Turau gemeinsam mit NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke um den Aufbau der Technik, anschließend nahm er an einer NPD-Kundgebung in Königs Wusterhausen teil. Während einer NPD-Kundgebungstour am 13. Juli 2013 war Turau in Hellersdorf, Reinickendorf, Spandau und Marienfehle als Ordner tätig.
Während einer NPD-Kundgebung am 20. August 2013 in Berlin-Hellersdorf attackierte Turau in seiner Funktion als Ordner eine Reporterin des Berliner Kuriers, außerdem steuerte er den NPD-eigenen Lautsprecherwagen. Das gegen ihn eingeleitete Verfahren wegen Körperverletzung dauert derzeit noch an. Gemeinsam mit dem ebenfalls in KW ansässigen Benjamin Weise und weiteren bekannten Berliner Neonaziaktivist_innen, trat Mike Turau am 8. Februar 2014 während einer weiteren NPD-Kundgebungstour als Ordner in Erscheinung.
Jugendtrainer beim SC-Blau Weiss Schenkendorf
Mit Mike Turau beschäftigt der Königs Wusterhausener Fußballverein „SC-Blau Weiss Schenkendorf 1931 e.V.“ einen langjährigen und stadtbekannten Neonazi im Bereich der Kinder– und Jugendarbeit mit Sechs– bis Zehnjährigen. Ein PDF-Dokument des Vereins („Stand: 04.11.2014“) zeigt, dass Mike Turau mindestens seit November 2014 als offizieller Trainer in Erscheinung tritt. Auch bei der Wahl der Sponsor_innen hat man bei dem brandenburgischen Sportverein offenbar keinerlei Berührungsängste. So tritt u.a. das Bestattungshaus Grunow als offizieller Sponsoringpartner des Vereins in Erscheinung.
„Bestattungshaus Grunow“, Sponsor mit fragwürdiger Vorgeschichte
Der an vorhergehender Stelle bereits erwähnte Inhaber Ronny Grunow trat spätestens ab 2008 öffentlich als aktives Mitglied der FK-KWh in Erscheinung, was ihm seinerzeit eine Erwähnung in der antifaschistischen Recherchezeitschrift „Fight Back“ einbrachte. [8]
Grunow war nicht nur regelmäßig mit Mike Turau und weiteren KWer Neonazis auf Nazi-Aufmärschen unterwegs. Im April 2008 beteiligte er sich an einer gewalttätigen Einschüchterungsaktion gegenüber einem Antifaschisten im KWer Ortsteil Zernsdorf. Zuerst verteilten Grunow und weitere Neonazis diffamierende Flugblätter in der Nachbarschaft. Anschließend suchten sie dessen Grundstück auf, beschossen es mit Signalmunition und versuchten unter Rufen wie „Jetzt bist du dran!“ zum Haus vorzudringen. Glücklicher Weise scheiterten sie am Hoftor und der Gegenwehr des Betroffenen. Noch bevor sie ihren Angriff beendeten, zog einer der Neonazis eine Gaspistole und schoss aus nächster Nähe in Richtung des Angegriffenen. [9]
Auch wenn die letzten dokumentierten Aktivitäten Grunows bereits einige Jahre zurück liegen, scheint er sich bis heute nicht vom brauen Milieu gelöst zu haben. In der Facebook-Freundesliste Grunows finden sich heute dutzende offen auftretende Neonazis. Unter den Profilen mit offenen Bekenntnissen zu neonazistischen Gruppen wie der Nazicliuqe „Aryan Blood Brothers Brandenburg“, sogenannten Nein-zum-Heim-Initiativen und den „Freie Nationalisten“, finden sich auch Profile von Mitte der 2000er Jahre namentlich bekannt gewordenen Aktivisten der AG– bzw. FK-KWh, wie z.B. Thomas Heuchler und Daniel Mantai wieder, die ihre rechte Gesinnung auch 2014 noch offen zur Schau stellen.
„Browntown“ Königs Wusterhausen, ein blinder Fleck?
Seit Anfang der 1990er Jahre genießt die 35.000-Einwohner_innenstadt südöstlich von Berlin verdientermaßen den Ruf eines „Browntowns“, eines Rückzugsraums für Neonazis. Wie auszugsweise geschildert, konnte sich in der Region eine aktive Neonaziszene über Jahre hinweg weitgehend ungehindert entfalten. Neben der schützenden Rolle des Staates, dessen V‑Mann Carsten Szczepanski durch die 1990er Jahre hindurch beim Ausbau der Szene eine besonders unrühmliche Rolle spielte, konnten sich die dominant auftretenden Neonazis auch auf die Ignoranz und die stille Duldung weiter Teile der KWer Zivilgesellschaft verlassen. Wenn sich überhaupt Widerspruch regte, schwang nicht selten schon eine gehörige Portion Angst um den Standort, um „den Ruf der Stadt“ mit. In den seltensten Fällen aber eine fundierte antifaschistische Haltung, die sich nicht in kurzweiliger Symbolpolitik erschöpfte. Gab es bis Ende der 2000er Jahre noch antifaschistisch aktive Gruppen und Einzelpersonen, denen es von Zeit zu Zeit erfolgreich gelang, ein Schlaglicht auf die Aktivitäten der rechten Szene in und um KW und den vorherrschenden gesellschaftlichen Konsens zu richteten, so scheint es mittlerweile, dass die Region seit dem Wegbrechen dieser Strukturen ein weitgehend blinder Fleck geworden ist.
Dabei zeigt nicht erst, dass wie im Fall von Mike Turau ein langjähriger und stadtbekannter Neonazi in einem Sportverein auf Kinder losgelassen wird, dass die Beschäftigung mit der Region noch immer angebracht ist. Auch der Zuzug einer Reihe von Neonazis wie René Bethage (ex– BASO) und Andreas Thomä (NW-Berlin) nach KW, das KWer Nazi-Modelabel „Erik and Sons“, die Zusammenarbeit von KWer Neonazis wie Mike Turau, Manuel Arnold und Benjamin Weise mit Berliner Strukturen und die noch immer regen Aktivitäten von NPD Dahmeland, Freien Kräften und anderen Neonazizusammenschlüssen in der Region, sollten von Antifaschist_innen nicht auf die leichte Schulter genommen werden.
[1] fight.back 03 — Antifa-Recherche Berlin-Brandenburg, Februar 2006, S. 39
[2] ebd. S. 41
[3] ebd. S. 40
[4] fight.back 04 — Antifa-Recherche Berlin-Brandenburg, Mai 2009, S. 70
[5] Chronik rechter Aktivitäten, Autonome Antifa Königs Wusterhausen — Eintrag vom 25. Mai 2007
[6] Chronik rechter Aktivitäten, Autonome Antifa Königs Wusterhausen — Eintrag vom 11. August 2008
[7] Chronik rechter Aktivitäten, Autonome Antifa Königs Wusterhausen — Eintrag vom 27. Januar 2009
[8] fight.back 04 — Antifa-Recherche Berlin-Brandenburg, Mai 2009, S. 70
[9] Chronik rechter Aktivitäten, Autonome Antifa Königs Wusterhausen — Eintrag vom 10. April 2008
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