Mit zwölf Klagen gegen die Bundeswehr wollen Gemeinden, Umweltverbände und
Tourismusunternehmen das “Bombodrom” in Nordbrandenburg doch noch
verhindern. Die Bürgerbewegungen “Freie Heide” und “Freier Himmel” schöpfen
wieder Hoffnung.
Die Klagen richten sich gegen die Wiedereinrichtung des einstigen
Truppenübungsplatzes der Sowjetarmee in der Kyritz-Ruppiner Heide als
Luft-Boden-Schießplatz der Bundeswehr. Gegner nennen ihn “Bombodrom”. Ende
Juni/Anfang Juli mussten die Gegner zwei Schlappen einstecken. Erst erklärte
die EU-Kommission in Brüssel, sie sehe keine Verletzung der
EU-Umweltrichtlinie. Kurz darauf kündigte Bundesverteidigungsminister Peter
Struck (SPD) an, nach den Sommerferien den Schießbetrieb wieder aufzunehmen,
nach elf Jahren Pause und elf Jahren Rechtsstreit. Doch in den letzten
Julitagen stellte sich heraus: Die Militärs haben übersehen, den “sofortigen
Vollzug” ihrer Pläne anzuordnen — juristisch ein Versäumnis, das womöglich
den Start der Flugbewegungen hinauszögert.
Am Mittwoch reichten die Anwälte der Gegner des Schießplatzes zwölf Klagen
beim Verwaltungsgericht Potsdam ein, die so lange aufschiebende Wirkung
haben, bis sofortiger Vollzug angeordnet wird. Zuvor schon hatte die
EU-Kommission mitgeteilt, das Verfahren wegen möglicher Umweltschäden erneut
aufzunehmen. Die Bundesregierung hatte Brüssel falsche Zahlen genannt.
Eine Behörde kann die “sofortige Vollziehung” einer Maßnahme anordnen, wenn
dieser Schritt “im öffentlichen Interesse” liegt. Bleibt die Anordnung aus -
wie beim Bescheid des Verteidigungsministeriums an die betroffenen Gemeinden
über die Aufnahme der Bombenabwürfe — haben Widersprüche und
Anfechtungsklagen “aufschiebende Wirkung”. Dann muss erst das Ende des
Rechtsstreits abgewartet werden, was noch einmal Jahre dauern könnte.
Allerdings können Behörden jederzeit die Anordnung “sofortige Vollziehung”
nachholen. Die Bundesregierung hat das bisher nicht getan. Tut sie es,
müsste das Gericht im Eilverfahren die Interessen von Regierung und Klägern
abwägen und entscheiden, ob die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt
werden muss. Anwalt Rainer Geulen (Berlin) sagte bei der Einreichung der
Widersprüche: “Wir sind entschlossen, den Platz mit allen rechtsstaatlichen
Mitteln zu verhindern.”
Im Juni hatte die Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission der
Bürgerbewegung “Freier Himmel” mitgeteilt, deren Beschwerde werde nicht der
Kommission zugeleitet, “da keine Verletzung des Gemeinschaftsrechts
festgestellt werden kann”. Die Direktion bezog sich auf Daten der
Bundesregierung, die von 161 Einsätzen mit Übungsmunition pro Jahr
gesprochen und sie 15 000 Einsätzen mit scharfer Munition zur Zeit der
sowjetischen Nutzung gegenübergestellt hatte. Peinlicher Fehler oder
Absicht — tatsächlich hatte die Bundesregierung stets von 1700 Einsätzen im
Jahr gesprochen, wobei ein Einsatz bis zu fünf Anflüge umfasst. Die Anwohner
müssen also mit 8500 Anflügen rechnen. Da der Betrieb an Wochenenden und in
den Sommerferien ruhen soll, wären das mehr als 30 Anflüge am Tag.
Nachdem die Bürgerbewegung auf die falschen Zahlen hingewiesen hat, will die
EU-Generaldirektion erneut prüfen, ob so viele Einsätze in einer der
schönsten Gegenden Deutschlands nahe dem Naturpark Müritz nicht doch gegen
die €päische Umweltrichtlinie verstoßen.