Im Folgenden geben wir unsere Einschätzung zu den vergangenen zwei Monaten in Cottbus wieder. Unser Text ist zuerst in der Blicklicht (Ausgabe Dezember 2015) erschienen. Er soll es ermöglichen einen groben Überblick zu bekommen wie es zur Zeit in Cottbus aussieht. Einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben wir dabei nicht.
Da es momentan nicht mehr jede Woche eine rechte Veranstaltung im Stadtgebiet gibt, scheint die Lage bis zum Jahreswechsel relativ entspannt zu bleiben. Wir haben allerdings Grund zur Annahme das mit dem neuen Jahr eine neue Welle rechter Mobilisierung auftreten wird. Organisationen wie die AfD oder Zukunft-Heimat werden weiterhin Südbrandenburg als Spielplatz für ihre Hetze missbrauchen wollen.
Antifaschistischer Lagebericht – Oktober und November 2015
Cottbus am 09. Oktober 2015: 400 Leute versammeln sich auf dem Norma Parkplatz in Sachsendorf und zogen vor die Erstaufnahmeeinrichtung in der Poznaner Straße, wo ein Willkommensfest stattfand. Eine Situation, die die Erinnerungen an die Pogrome von 1992 wachrief. Unter diesen 400 waren organisierte und unorganisierte Neonazis sowie ein breiter Schnitt durch die Cottbuser Gesellschaft. Einige Personen brachten selbst ihre Kinder mit.
In den folgenden Tagen wurde vor allem auf Facebook die Stimmung gegen Geflüchtete weiter angeheizt und die NPD meldete für den darauf folgenden Freitag ihre erste Demonstration in Sachsendorf an. Die Vereinnahmung des Protestes durch die neonazistische Partei spaltete die aufkeimende Bewegung. Etwa 400 Personen trafen sich am 16.10. um 18 Uhr bei NORMA, an ihre Spitze setzte sich der Reichsbürger Rico Handta aus Großräschen. Nur etwa die Hälfte von ihnen versuchte später um 19 Uhr noch an der NPD-Demonstration auf der Gelsenkirchener Allee teilzunehmen.
Der Ausgangspunkt für die neue rassistische Mobilisierung in Cottbus war die Ankündigung „1000 Flüchtlinge in 72 Stunden“ Tatsächlich kamen in den nächsten Tage nicht einmal 100 Personen. Trotz des schnellen Aufbaus eines breiten Solidaritätsnetzwerks löste die Kriseninszenierung bei einem Teil der Cottbuser Bevölkerung sehr viel Unruhe und Angst aus.
Seit Anfang Oktober wird nun auch hier öffentlich gegen Geflüchtete mobil gemacht. In nicht einmal zwei Monaten wurden in Cottbus und Umgebung 18 Versammlungen durchgeführt. Die rechten Parteien NPD und AfD versuchen aus der rassistischen Stimmung Kapital zu schlagen und auch ein „Reichsbürger“ versucht die Stimmung für das eigene Image zu instrumentalisieren. Um nicht den Überblick zu verlieren, haben wir im Folgenden eine Übersicht der Akteure in Cottbus erstellt.
NPD
Die NPD ist mit ihren jährlichen als Gedenken getarnten Aufmärschen zum 15. Februar in Cottbus gescheitert und sucht neue politische Entfaltungsmöglichkeiten. Die Partei konnte durch langjährige und konsequente antifaschistische Arbeit immer wieder als Neonazi-Organisation offengelegt werden. Sie hat inzwischen einen so schlechten Ruf, dass sie ihre Kampagnen „Nein-zum-Heim“ bzw. „Stadt XY wehrt sich“ als vermeintlich unabhängigen Bürgerprotest tarnen muss. Die NPD versucht gezielt über das Thema „Flüchtlinge“ eine breitere Masse anzusprechen. Sie möchte bürgerlich und durch das Auftreten ehemaliger JN-Kader jünger wirken.
Für Cottbus hat der NPD-Kader Ronny Zasowk das Ziel ausgegeben, alle zwei Wochen einen Aufmarsch in Sachsendorf zu machen bis die Erstaufnahmeeinrichtung geschlossen wird. Das Equipment, die Ordner*Innen und Redner*Innen bei den bisherigen Demonstrationen wurden von auswärtigen NPD-Strukturen gestellt. Zasowk selbst stammt zwar aus Cottbus, doch ist er vor allem auf Bundesebene aktiv und nur noch sehr selten in Cottbus zu sehen. Die Organisator*innen und Redner kamen bis jetzt vor allem von Auswärts. So waren vor allem bekannte Gesichter und NPD-Kader wie Benjamin Mertsch, Markus Noack, Stefan Lux, Oliver Schierack und der verurteilte Neonazi und Totschläger Alexander Bode aus Guben anzutreffen. Die stumpfe rechtsradikale Rhetorik und Parolen wie „Wir wollen keine Asylantenschweine“ wirkten bei den beiden ersten Aufmärschen offenbar schon so abschreckend auf parteifremde Teilnehmer*innen, dass viele die Demonstration bereits vor der Abschlusskundgebung wieder verließen. Der Gebrauch von Reichsfahnen und das teilweise aggressive Auftreten taten ihr übriges.
Reichsbürger
Diejenigen, die sich mit ihren „Sorgen“ nicht der NPD anschließen wollten, blieben am 16.10. bei NORMA. Hier wurden sie allerdings mit dem Reichsbürger Rico Handta aus Großräschen konfrontiert. Dieser ist u.a. in die Organisation der selbsternannten „Montagsdemos“ in Großräschen involviert, wo sich wöchentlich ca. 100–150 Neonazis und Wutbürger zusammen finden. In einer einstündigen Kundgebung wird dort gegen die bestehende Asylpolitik und gegen den Antifaschismus gewettert. Handta hat, wie die NPD, das Ziel ausgegeben, sich alle zwei Wochen Freitags in Cottbus zu versammeln, doch verlegte er mit seinen Anhängern zum 06.11. auf den Altmarkt in die Innenstadt. Sowohl räumlich als auch inhaltlich hat er sich von dem ursprünglichen Protestanlass schnell gelöst. Ihm geht es vor allem um die Verbreitung der These, dass das Deutsche Reich fortbesteht. Seine Verschwörungstheorien vermischen sich immer wieder mit verkürzter Kapitalismuskritik und PEGIDA-Parolen sowie Anekdoten über seinen Umgang mit der Stadtverwaltung, wo er sich scheinbar abwechselnd auf Recht der BRD oder des Deutschen Reiches beruft Handta ist ein umtriebiger Aktivist in der Reichsbürger-Szene und hat schon in der Vergangenheit jede mögliche Bühne genutzt. Er selbst bezeichnet sich als „links“, doch hält ihn dies nicht davon ab, in Cottbus mit Neonazis zusammenzuarbeiten. Der Personenkreis der Demoorganisation ist nahezu deckungsgleich mit denjenigen, die bereits im Februar 2015 den Cottbuser PEGIDA-Ableger „Cogida“ organisiert haben. Eine einheitliche und kosequente politische Linie ist bei Handta nicht zu erkennen. Seine bisherigen Bündnispartner lassen allerdings den Schluss zu, dass er ein klassischer Vertreter der Querfront-Strategie ist. Preußen- und umgedrehten Deutschlandfahnen prägen das Bild der 14-tägigen Kundgebungen wobei die Mobilisierung vor allem über Facebook erfolgt.
AfD
Wenn es um Wähler*innenfang mit Rassismus geht, darf die AfD nicht fehlen. Auch sie kündigte zum ersten Mal am 26.10. einen „Bürgerdialog“ im Stadthaus an, um zum „Widerstand gegen das Asylchaos“ aufzurufen. Dazu wurde die Vorsitzende der AfD Sachsen Frauke Petry angeheuert. Mit einem Aufmarsch am 04. November unter dem Motto „Asylchaos stoppen“ versuchte die AfD den Anschluss an die „Proteste“ zu schaffen und wollte von der sich aufheizenden Stimmung in Cottbus profitieren. Der Aufmarsch fand unter der Federführung des AfD Vorsitzenden Alexander Gauland statt. An den Aktionen der AfD beteiligten sich 150 Menschen im Stadthaus und rund 500 beim Aufmarsch. Cottbus ist für die AfD von strategischem Interesse. So soll der Brückenschlag von Dresden nach Berlin gelingen und sich die sächsischen Verhältnisse auch in Brandenburg ausbreiten. Cottbus wurde als Ort für die „Herbstoffensive“ der AfD unter dem Motto „Heißer Herbst in Deutschland – Heißer Herbst in Cottbus“ ausgewählt. Nachdem die radikalen rechten Strömungen innerhalb der AfD die Hoheit erlangt haben, setzt diese vermehrt auf eine offen rassistiche und nationalistische Rhetorik. Wenn Gauland von „Umvolkung“ und „der Auflösung Deutschlands in einem Strom fremder Menschen“ spricht, ist das ein klares Zeichen, dass der bürgerliche Mantel abgelegt wurde. Am 25.11. gab es erneut einen Aufmarsch gegen gefüchtete Menschen.
Unorganisierte Neonazis
Seien es NPD, Reichis oder AfD: im Umfeld der Veranstaltungen dieser Kreise finden sich immer die gleichen Gesichter wieder. Altbekannte und „neue“ Neonazis, sei es aus dem Fußballumfeld oder vom verbotenen „Widerstand Südbrandenburg“ sind auf oder in der Nähe dieser Veranstaltung anzutreffen. Es liegt nahe, dass ihnen momentan eine politische Heimat fehlt und sie in den „Protesten“ durchaus Anschlusspunkte erkennen. Meist sind diese zurückhaltend und fallen beim ersten Blick nicht weiter auf, jedoch ist das versteckte Gewaltpotenzial bei genauerer Betrachtung klar zu erkennen. Oft sind Kleingruppen im Umfeld der Aufmärsche und vor allem im Anschluss in den Stadtteilen unterwegs auf der Suche nach „Zielen“. Diese können im politischen Gegner, Flüchtlingen oder „normalen“ Bürger gefunden werden. Seit dem Beginn der „Proteste“ Anfang Oktober kam es im Stadtgebiet wieder vermehrt zu rechten Übergriffen.
Ereignisse
Nach der Demonstration am 23.10. in Sachsendorf kam es zu mehreren rechten Übergriffen im gesamten Stadtgebiet.
– Auch im Fußballmilieu bilden sich neue rechte Ableger.
Fazit
Wenn Staatsversagen inszeniert wird und Geflüchtete in den Medien vor allem als Problem erscheinen, gibt dies der rechten Bewegung Auftrieb. Auf der einen Seite verkünden unterschiedliche Parteien lautstark, dass „geflüchtete Menschen willkommen sind“ und auf der anderen Seite haben sie erst vor kurzem der Verschärfung des Asylrechts zugestimmt. Hier wird die ideologische Aufteilung in „legitime“ und „illegitime“ Menschen zugespitzt.
Aber auch die lokale Politik trägt ihren Teil bei, wenn der Cottbuser Bürgermeister davon spricht, dass „der Hahn zugedreht werden muss“ und der Präsident von Energie Cottbus einen Elternbrief gegen die vorübergehende Unterbringung von Geflüchteten in Turnhallen mitinitiiert. So bilden die Schreibtischtäter*innen aus Bundestag und Bundesrat, sowie lokale politische Größen den Nährboden für rassistische Hetze.
Unter diesen Bedingungen fühlen sich Neonazis, Reichsbürger*innen und Rechtspopulist*innen als Vertreter*innen des „wahren“ Volkswillens und glauben, selbst die vermeintlich bedrohte Deutsche Souveränität verteidigen zu müssen.
Nach der ersten Erregung hat sich das Protestpotenzial in Cottbus gerade etwas abgeschwächt, was sich im Zuge der Anschläge von Paris aber auch wieder ändern kann. Die Konkurrenz unterschiedlicher Parteien und Gruppierungen in Cottbus zersplittert die rechte Bewegung. Die Gemeinsamkeit ist der positive Bezug auf „das Volk“, doch ob damit das Staatsvolk, ein rassisch definiertes Volk oder ggf. die staatenlosen Deutschen gemeint ist, da gehen die Sichtweisen schon weit auseinander. Eine weitere Gemeinsamkeit ist „Merkel muss weg“, doch auch hier stehen die NPD und die AfD in direkter Konkurrenz zueinander und es bleibt unklar, ob lediglich bspw. Die Kanzleri ausgetauscht werden soll, oder aber ein Regime errichtet werden soll.
Trotz der Differenzen der einzelnen Akteure sehen wir das Resultat auf der Straße. Zwar sind in Cottbus die pogromartigen Krawalle wie in Heidenau oder Freital ausgeblieben, jedoch mehrt sich die Zahl rechter Angriffe doch immens. Weiterhin kam es im Südbrandenburger Raum zu Brandanschlägen, welche einen rechten Hintergrund sehr nahe legen.
Gegenproteste konnten in Cottbus ihre Wirksamkeit zeigen, indem sich verschiedene Gruppen frühzeitig mit den Geflüchteten solidarisierten. Organisationen und Parteien, welche sich für Geflüchtete stark machen, arbeiten trotz der Kritik an politischen Entscheidungen der Stadtspitze (Unterbringungskonzept) sowie auf Bundesebene (Asylrechtsverschärfung) zusammen. Das bedeutet Stärke und Schwäche zugleich, da rassistische Ansichten und Methoden in den staatlichen Institutionen hinter dem Mob, der sich auf den Straßen formiert, unbehelligt bleiben.
Insgesamt gilt es, dem rassistischen Grundton dieser Tage aktiv entgegenzutreten und vor allem Alternativen anzubieten. Dort wo es weiterhin Massenabschiebungen, immer höhere Grenzzäune und verschärfte Gesetze gibt, wo der rassistische Mob angsteinflößend durch die Straßen zieht und Schlipsträger das ganze legitimieren, dort brauchen wir Solidarität. Für ein menschliches Miteinander bedarf es nicht viel, lediglich dem Verständnis und den Respekt gegenüber den Bedürfnissen unserer Mitmenschen. Rassimus ist KEINE Alternative.
[Autonome Antifa Cottbus][November ’15]