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Cottbus 25 Jahre nach der Wende – Willkommen in den 90’ern (?)

Im Fol­gen­den geben wir unsere Ein­schätzung zu den ver­gan­genen zwei Monat­en in Cot­tbus wieder. Unser Text ist zuerst in der Blick­licht (Aus­gabe Dezem­ber 2015) erschienen. Er soll es ermöglichen einen groben Überblick zu bekom­men wie es zur Zeit in Cot­tbus aussieht. Einen Anspruch auf Voll­ständigkeit erheben wir dabei nicht.
Da es momen­tan nicht mehr jede Woche eine rechte Ver­anstal­tung im Stadt­ge­bi­et gibt, scheint die Lage bis zum Jahreswech­sel rel­a­tiv entspan­nt zu bleiben. Wir haben allerd­ings Grund zur Annahme das mit dem neuen Jahr eine neue Welle rechter Mobil­isierung auftreten wird. Organ­i­sa­tio­nen wie die AfD oder Zukun­ft-Heimat wer­den weit­er­hin Süd­bran­den­burg als Spielplatz für ihre Het­ze miss­brauchen wollen.
Antifaschis­tis­ch­er Lage­bericht – Okto­ber und Novem­ber 2015
Cot­tbus am 09. Okto­ber 2015: 400 Leute ver­sam­meln sich auf dem Nor­ma Park­platz in Sach­sendorf und zogen vor die Erstauf­nah­meein­rich­tung in der Poz­nan­er Straße, wo ein Willkom­mensfest stat­tfand. Eine Sit­u­a­tion, die die Erin­nerun­gen an die Pogrome von 1992 wachrief. Unter diesen 400 waren organ­isierte und unor­gan­isierte Neon­azis sowie ein bre­it­er Schnitt durch die Cot­tbuser Gesellschaft. Einige Per­so­n­en bracht­en selb­st ihre Kinder mit.
In den fol­gen­den Tagen wurde vor allem auf Face­book die Stim­mung gegen Geflüchtete weit­er ange­heizt und die NPD meldete für den darauf fol­gen­den Fre­itag ihre erste Demon­stra­tion in Sach­sendorf an. Die Vere­in­nah­mung des Protestes durch die neon­azis­tis­che Partei spal­tete die aufkeimende Bewe­gung. Etwa 400 Per­so­n­en trafen sich am 16.10. um 18 Uhr bei NORMA, an ihre Spitze set­zte sich der Reichs­bürg­er Rico Hand­ta aus Großräschen. Nur etwa die Hälfte von ihnen ver­suchte später um 19 Uhr noch an der NPD-Demon­stra­tion auf der Gelsenkirch­en­er Allee teilzunehmen.
Der Aus­gangspunkt für die neue ras­sis­tis­che Mobil­isierung in Cot­tbus war die Ankündi­gung „1000 Flüchtlinge in 72 Stun­den“ Tat­säch­lich kamen in den näch­sten Tage nicht ein­mal 100 Per­so­n­en. Trotz des schnellen Auf­baus eines bre­it­en Sol­i­dar­ität­snet­zw­erks löste die Kris­enin­sze­nierung bei einem Teil der Cot­tbuser Bevölkerung sehr viel Unruhe und Angst aus.
Seit Anfang Okto­ber wird nun auch hier öffentlich gegen Geflüchtete mobil gemacht. In nicht ein­mal zwei Monat­en wur­den in Cot­tbus und Umge­bung 18 Ver­samm­lun­gen durchge­führt. Die recht­en Parteien NPD und AfD ver­suchen aus der ras­sis­tis­chen Stim­mung Kap­i­tal zu schla­gen und auch ein „Reichs­bürg­er“ ver­sucht die Stim­mung für das eigene Image zu instru­men­tal­isieren. Um nicht den Überblick zu ver­lieren, haben wir im Fol­gen­den eine Über­sicht der Akteure in Cot­tbus erstellt.
NPD
Die NPD ist mit ihren jährlichen als Gedenken getarn­ten Aufmärschen zum 15. Feb­ru­ar in Cot­tbus gescheit­ert und sucht neue poli­tis­che Ent­fal­tungsmöglichkeit­en. Die Partei kon­nte durch langjährige und kon­se­quente antifaschis­tis­che Arbeit immer wieder als Neon­azi-Organ­i­sa­tion offen­gelegt wer­den. Sie hat inzwis­chen einen so schlecht­en Ruf, dass sie ihre Kam­pag­nen „Nein-zum-Heim“ bzw. „Stadt XY wehrt sich“ als ver­meintlich unab­hängi­gen Bürg­er­protest tar­nen muss. Die NPD ver­sucht gezielt über das The­ma „Flüchtlinge“ eine bre­it­ere Masse anzus­prechen. Sie möchte bürg­er­lich und durch das Auftreten ehe­ma­liger JN-Kad­er jünger wirken.
Für Cot­tbus hat der NPD-Kad­er Ron­ny Zasowk das Ziel aus­gegeben, alle zwei Wochen einen Auf­marsch in Sach­sendorf zu machen bis die Erstauf­nah­meein­rich­tung geschlossen wird. Das Equip­ment, die Ordner*Innen und Redner*Innen bei den bish­eri­gen Demon­stra­tio­nen wur­den von auswär­ti­gen NPD-Struk­turen gestellt. Zasowk selb­st stammt zwar aus Cot­tbus, doch ist er vor allem auf Bun­de­sebene aktiv und nur noch sehr sel­ten in Cot­tbus zu sehen. Die Organisator*innen und Red­ner kamen bis jet­zt vor allem von Auswärts. So waren vor allem bekan­nte Gesichter und NPD-Kad­er wie Ben­jamin Mertsch, Markus Noack, Ste­fan Lux, Oliv­er Schier­ack und der verurteilte Neon­azi und Totschläger Alexan­der Bode aus Guben anzutr­e­f­fen. Die stumpfe recht­sradikale Rhetorik und Parolen wie „Wir wollen keine Asy­lanten­schweine“ wirk­ten bei den bei­den ersten Aufmärschen offen­bar schon so abschreck­end auf parteifremde Teilnehmer*innen, dass viele die Demon­stra­tion bere­its vor der Abschlusskundge­bung wieder ver­ließen. Der Gebrauch von Reichs­fah­nen und das teil­weise aggres­sive Auftreten tat­en ihr übriges.
Reichs­bürg­er
Diejeni­gen, die sich mit ihren „Sor­gen“ nicht der NPD anschließen woll­ten, blieben am 16.10. bei NORMA. Hier wur­den sie allerd­ings mit dem Reichs­bürg­er Rico Hand­ta aus Großräschen kon­fron­tiert. Dieser ist u.a. in die Organ­i­sa­tion der selb­ster­nan­nten „Mon­tags­demos“ in Großräschen involviert, wo sich wöchentlich ca. 100–150 Neon­azis und Wut­bürg­er zusam­men find­en. In ein­er ein­stündi­gen Kundge­bung wird dort gegen die beste­hende Asylpoli­tik und gegen den Antifaschis­mus gewet­tert. Hand­ta hat, wie die NPD, das Ziel aus­gegeben, sich alle zwei Wochen Fre­itags in Cot­tbus zu ver­sam­meln, doch ver­legte er mit seinen Anhängern zum 06.11. auf den Alt­markt in die Innen­stadt. Sowohl räum­lich als auch inhaltlich hat er sich von dem ursprünglichen Protes­tanlass schnell gelöst. Ihm geht es vor allem um die Ver­bre­itung der These, dass das Deutsche Reich fortbeste­ht. Seine Ver­schwörungs­the­o­rien ver­mis­chen sich immer wieder mit verkürzter Kap­i­tal­is­muskri­tik und PEGI­DA-Parolen sowie Anek­doten über seinen Umgang mit der Stadtver­wal­tung, wo er sich schein­bar abwech­sel­nd auf Recht der BRD oder des Deutschen Reich­es beruft Hand­ta ist ein umtriebiger Aktivist in der Reichs­bürg­er-Szene und hat schon in der Ver­gan­gen­heit jede mögliche Bühne genutzt. Er selb­st beze­ich­net sich als „links“, doch hält ihn dies nicht davon ab, in Cot­tbus mit Neon­azis zusam­men­zuar­beit­en. Der Per­so­n­enkreis der Demoor­gan­i­sa­tion ist nahezu deck­ungs­gle­ich mit den­jeni­gen, die bere­its im Feb­ru­ar 2015 den Cot­tbuser PEGI­DA-Ableger „Cogi­da“ organ­isiert haben. Eine ein­heitliche und kose­quente poli­tis­che Lin­ie ist bei Hand­ta nicht zu erken­nen. Seine bish­eri­gen Bünd­nis­part­ner lassen allerd­ings den Schluss zu, dass er ein klas­sis­ch­er Vertreter der Quer­front-Strate­gie ist. Preußen- und umge­dreht­en Deutsch­land­fah­nen prä­gen das Bild der 14-tägi­gen Kundge­bun­gen wobei die Mobil­isierung vor allem über Face­book erfolgt.
AfD
Wenn es um Wähler*innenfang mit Ras­sis­mus geht, darf die AfD nicht fehlen. Auch sie kündigte zum ersten Mal am 26.10. einen „Bürg­er­dia­log“ im Stadthaus an, um zum „Wider­stand gegen das Asylchaos“ aufzu­rufen. Dazu wurde die Vor­sitzende der AfD Sach­sen Frauke Petry ange­heuert. Mit einem Auf­marsch am 04. Novem­ber unter dem Mot­to „Asylchaos stop­pen“ ver­suchte die AfD den Anschluss an die „Proteste“ zu schaf­fen und wollte von der sich aufheizen­den Stim­mung in Cot­tbus prof­i­tieren. Der Auf­marsch fand unter der Fed­er­führung des AfD Vor­sitzen­den Alexan­der Gauland statt. An den Aktio­nen der AfD beteiligten sich 150 Men­schen im Stadthaus und rund 500 beim Auf­marsch. Cot­tbus ist für die AfD von strate­gis­chem Inter­esse. So soll der Brück­en­schlag von Dres­den nach Berlin gelin­gen und sich die säch­sis­chen Ver­hält­nisse auch in Bran­den­burg aus­bre­it­en. Cot­tbus wurde als Ort für die „Herb­stof­fen­sive“ der AfD unter dem Mot­to „Heißer Herb­st in Deutsch­land – Heißer Herb­st in Cot­tbus“ aus­gewählt. Nach­dem die radikalen recht­en Strö­mungen inner­halb der AfD die Hoheit erlangt haben, set­zt diese ver­mehrt auf eine offen ras­sis­tiche und nation­al­is­tis­che Rhetorik. Wenn Gauland von „Umvolkung“ und „der Auflö­sung Deutsch­lands in einem Strom fremder Men­schen“ spricht, ist das ein klares Zeichen, dass der bürg­er­liche Man­tel abgelegt wurde. Am 25.11. gab es erneut einen Auf­marsch gegen gefüchtete Menschen.
Unor­gan­isierte Neonazis
Seien es NPD, Reichis oder AfD: im Umfeld der Ver­anstal­tun­gen dieser Kreise find­en sich immer die gle­ichen Gesichter wieder. Alt­bekan­nte und „neue“ Neon­azis, sei es aus dem Fußbal­lum­feld oder vom ver­bote­nen „Wider­stand Süd­bran­den­burg“ sind auf oder in der Nähe dieser Ver­anstal­tung anzutr­e­f­fen. Es liegt nahe, dass ihnen momen­tan eine poli­tis­che Heimat fehlt und sie in den „Protesten“ dur­chaus Anschlusspunk­te erken­nen. Meist sind diese zurück­hal­tend und fall­en beim ersten Blick nicht weit­er auf, jedoch ist das ver­steck­te Gewalt­poten­zial bei genauer­er Betra­ch­tung klar zu erken­nen. Oft sind Kle­in­grup­pen im Umfeld der Aufmärsche und vor allem im Anschluss in den Stadt­teilen unter­wegs auf der Suche nach „Zie­len“. Diese kön­nen im poli­tis­chen Geg­n­er, Flüchtlin­gen oder „nor­malen“ Bürg­er gefun­den wer­den. Seit dem Beginn der „Proteste“ Anfang Okto­ber kam es im Stadt­ge­bi­et wieder ver­mehrt zu recht­en Übergriffen.
Ereignisse
Nach der Demon­stra­tion am 23.10. in Sach­sendorf kam es zu mehreren recht­en Über­grif­f­en im gesamten Stadtgebiet.

– Auf dem Cam­pus der BTU wur­den Studierende ange­grif­f­en und z.T. schw­er verletzt.
– Die Syn­a­goge wurde zweimal ange­grif­f­en und beschädigt. 
– Es sind im gesamten Stadt­ge­bi­et Aufk­le­ber mit recht­sradikalen Inhal­ten zu sehen.
– Es find­en sich beson­ders in der Nähe von Geflüchtete­nun­terkün­ften Schmier­ereien z.T. mit Hak­enkreuzen o. Runen, gegen die Asylpoli­tik und gegen die Geflüchteten selbst.
– Es wur­den mehrfach geflüchtete Men­schen beschimpft, belei­digt, bedro­ht und angegriffen.
– Es kommt immer wieder zu kleineren Zusam­men­rot­tun­gen von betrunk­e­nen und stark aggres­siv­en Rechten.

– Auch im Fußballm­i­lieu bilden sich neue rechte Ableger.
Faz­it
Wenn Staatsver­sagen insze­niert wird und Geflüchtete in den Medi­en vor allem als Prob­lem erscheinen, gibt dies der recht­en Bewe­gung Auftrieb. Auf der einen Seite verkün­den unter­schiedliche Parteien laut­stark, dass „geflüchtete Men­schen willkom­men sind“ und auf der anderen Seite haben sie erst vor kurzem der Ver­schär­fung des Asyl­rechts zuges­timmt. Hier wird die ide­ol­o­gis­che Aufteilung in „legit­ime“ und „ille­git­ime“ Men­schen zugespitzt.
Aber auch die lokale Poli­tik trägt ihren Teil bei, wenn der Cot­tbuser Bürg­er­meis­ter davon spricht, dass „der Hahn zuge­dreht wer­den muss“ und der Präsi­dent von Energie Cot­tbus einen Eltern­brief gegen die vorüberge­hende Unter­bringung von Geflüchteten in Turn­hallen mitini­ti­iert. So bilden die Schreibtischtäter*innen aus Bun­destag und Bun­desrat, sowie lokale poli­tis­che Größen den Nährbo­den für ras­sis­tis­che Hetze.
Unter diesen Bedin­gun­gen fühlen sich Neon­azis, Reichsbürger*innen und Rechtspopulist*innen als Vertreter*innen des „wahren“ Volk­swil­lens und glauben, selb­st die ver­meintlich bedro­hte Deutsche Sou­veränität vertei­di­gen zu müssen.
Nach der ersten Erre­gung hat sich das Protest­poten­zial in Cot­tbus ger­ade etwas abgeschwächt, was sich im Zuge der Anschläge von Paris aber auch wieder ändern kann. Die Konkur­renz unter­schiedlich­er Parteien und Grup­pierun­gen in Cot­tbus zer­split­tert die rechte Bewe­gung. Die Gemein­samkeit ist der pos­i­tive Bezug auf „das Volk“, doch ob damit das Staatsvolk, ein ras­sisch definiertes Volk oder ggf. die staaten­losen Deutschen gemeint ist, da gehen die Sichtweisen schon weit auseinan­der. Eine weit­ere Gemein­samkeit ist „Merkel muss weg“, doch auch hier ste­hen die NPD und die AfD in direk­ter Konkur­renz zueinan­der und es bleibt unklar, ob lediglich bspw. Die Kan­z­leri aus­ge­tauscht wer­den soll, oder aber ein Regime errichtet wer­den soll.
Trotz der Dif­feren­zen der einzel­nen Akteure sehen wir das Resul­tat auf der Straße. Zwar sind in Cot­tbus die pogro­mar­ti­gen Krawalle wie in Hei­de­nau oder Fre­ital aus­ge­blieben, jedoch mehrt sich die Zahl rechter Angriffe doch immens. Weit­er­hin kam es im Süd­bran­den­burg­er Raum zu Bran­dan­schlä­gen, welche einen recht­en Hin­ter­grund sehr nahe legen.
Gegen­proteste kon­nten in Cot­tbus ihre Wirk­samkeit zeigen, indem sich ver­schiedene Grup­pen frühzeit­ig mit den Geflüchteten sol­i­darisierten. Organ­i­sa­tio­nen und Parteien, welche sich für Geflüchtete stark machen, arbeit­en trotz der Kri­tik an poli­tis­chen Entschei­dun­gen der Stadt­spitze (Unter­bringungskonzept) sowie auf Bun­de­sebene (Asyl­rechtsver­schär­fung) zusam­men. Das bedeutet Stärke und Schwäche zugle­ich, da ras­sis­tis­che Ansicht­en und Meth­o­d­en in den staatlichen Insti­tu­tio­nen hin­ter dem Mob, der sich auf den Straßen formiert, unbe­hel­ligt bleiben.
Ins­ge­samt gilt es, dem ras­sis­tis­chen Grund­ton dieser Tage aktiv ent­ge­gen­zutreten und vor allem Alter­na­tiv­en anzu­bi­eten. Dort wo es weit­er­hin Massen­ab­schiebun­gen, immer höhere Grenz­zäune und ver­schärfte Geset­ze gibt, wo der ras­sis­tis­che Mob ang­ste­in­flößend durch die Straßen zieht und Schlip­sträger das ganze legit­imieren, dort brauchen wir Sol­i­dar­ität. Für ein men­schlich­es Miteinan­der bedarf es nicht viel, lediglich dem Ver­ständ­nis und den Respekt gegenüber den Bedürfnis­sen unser­er Mit­men­schen. Ras­simus ist KEINE Alternative.
[Autonome Antifa Cottbus][November ’15]

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