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Das Feld für die Rechten wurde seit Jahren bestellt”

(ak — analyse + kri­tik — Zeitung für linke Debat­te und Prax­is / Nr. 492 / 18.2.2005)

Seit eini­gen Jahren gibt es in den neuen Bun­deslän­dern und Berlin Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt und Mobile Beratung­steams (MBT), die in Kom­munen Hil­festel­lung geben bei der Bekämp­fung von Recht­sex­trem­is­mus, Ras­sis­mus und Anti­semitismus. Im Zuge des von Bun­deskan­zler Ger­hard Schröder einge­forderten “Auf­s­tands der Anständi­gen” im Som­mer 2001 wer­den diese Pro­jek­te durch Bun­des­gelder teil­fi­nanziert. Wir sprachen mit Dominique John, Opfer­per­spek­tive Bran­den­burg, und Lorenz Korgel von der Berlin­er Mobilen Beratung gegen Recht­sex­trem­is­mus, bei­de Koor­di­na­toren für den jew­eili­gen Bere­ich, über die momen­tane NPD-Diskus­sion, das Erstarken der Recht­en und die Arbeit ihrer Projekte. 

Ihr arbeit­et in Pro­jek­ten, die sich gegen die Aktiv­itäten von Recht­en und Neon­azis richt­en — und zwar mit staatlich­er Unter­stützung im Rah­men des CIV­I­TAS-Pro­gramms. Wie wirken auf euch die aufgeregten Reak­tio­nen der etablierten Poli­tik in den let­zten Wochen nach dem so genan­nten Dres­d­ner Eklat zum Holocaust-Gedenken? 

Dominique John: Wir ver­fol­gen diese Debat­ten teil­weise mit Kopf­schüt­teln, zum Teil aber auch mit einem gewis­sen Schmun­zeln. Kopf­schüt­teln deshalb, weil es offenkündig ist, dass die Poli­tik­er im säch­sis­chen Lan­despar­la­ment aber auch in Bran­den­burg mit der ent­stande­nen Sit­u­a­tion vol­lkom­men über­fordert sind. Schmun­zel­nd deshalb, weil man mit einem gewis­sen Recht sagen kann, dass nun in den Lan­despar­la­menten etwas angekom­men ist, was Aus­druck ein­er poli­tisch-kul­turellen Entwick­lung ist, mit der wir uns auf den Straßen, in den Kom­munen und Land­kreisen schon seit langem auseinan­der set­zen. Ins­beson­dere in Sach­sen hat die NPD eine über Jahre gewach­sene soziale Ver­ankerung. In eini­gen Land­kreisen muss man regel­recht von ein­er kul­turellen Hege­monie recht­sex­tremer Struk­turen sprechen. Wer sich jet­zt schock­iert zeigt über die — wie es heißt — Ent­gleisun­gen recht­sex­tremer Abge­ord­neter, der hat diese Entwick­lung entwed­er nicht wahrgenom­men oder ein­fach nicht ernst genommen. 

Lorenz Korgel: Es ist schon merk­würdig, wenn das “Phänomen NPD” immer wieder als Prob­lem von Protest­wäh­lern dargestellt wird. Ger­ade in den ländlichen Regio­nen, wo die NPD einen Wahlkampf “an der Haustür” führte, wis­sen die Leute sehr genau, wen sie gewählt haben. Ich muss sagen, ich ver­band mit der Tat­sache, dass ein sozial ver­ankert­er Recht­sex­trem­is­mus nun in den Par­la­menten angekom­men ist, die Erwartung, dass dies zu ein­er ern­sthaften Auseinan­der­set­zung der etablierten poli­tis­chen Struk­turen mit den Entwick­lungs­be­din­gun­gen für Recht­sex­trem­is­mus führt. Nun scheint aber ger­ade eine umgekehrter Effekt einzutreten: Die Par­la­men­tari­er der etablierten Parteien schie­len lediglich auf die poli­tisch sym­bol­is­che Auseinan­der­set­zung inner­halb des Par­la­ments. Sie scheinen von der einge­trete­nen Sit­u­a­tion förm­lich absorbiert zu sein. Die Tat­sache, dass beispiel­sweise Bran­den­burg beschlossen hat, die Gelder für das lan­desweite Aktions­bünd­nis gegen Recht­sex­trem­is­mus oder auch für die Beratung von Opfern rechter Gewalt zu kürzen bzw. ganz einzustellen, kann ich mir nur so erk­lären, dass man die Wichtigkeit der­ar­tiger Pro­jek­te zum Auf­bau sozialer Struk­turen gegen Recht­sex­trem­is­mus nicht erkan­nt hat. 

Die NPD im säch­sis­chen Par­la­ment hand­habt eine Strate­gie der kalkulierten Pro­voka­tion — und die Reak­tio­nen zeigen, dass diese Strate­gie aufge­ht. Welche Wirkung hat das auf die organ­isierte Nazi-Szene und ihre Mitläufer? 

L.K.: Die organ­isierte Szene ist z.Z. sehr inten­siv mit der Diskus­sion um die so genan­nte Volks­front, also der Bün­delung aller “nationalen Kräfte” unter dem Dach der NPD beschäftigt. Hier geht es keineswegs immer so har­monisch zu, wie dies die öffentlichen Bekun­dun­gen der recht­sex­tremen Szene sug­gerieren wollen. Wenn sich poli­tis­che Bewe­gun­gen for­mal­isieren, gibt es immer Kon­flik­te, da macht die recht­sex­treme Bewe­gung keine Aus­nahme. Es geht ein­er­seits um das Span­nungsver­hält­nis “Radikalität vs. Realpoli­tik”, ander­er­seits aber auch um sim­ple Besitz­s­tands­fra­gen wie der Vor­wurf der Ämter­häu­fung oder die Frage, ob denn die Dienst­wa­gen der säch­sis­chen NPD-Abge­ord­neten nicht zu fett seien. 

Trotz dieser Stre­it­igkeit­en, die NPD-Erfolge ent­fal­ten auf die recht­sex­tremen Aktivis­ten eine motivierende Wirkung. Die DVU galt ja eher als Lach­num­mer, dage­gen bietet die NPD schon Möglichkeit­en der Identifikation. 

D.J.: Auch ich denke, dass die par­la­men­tarischen Erfolge und die Möglichkeit, sich nun gezielt pro­voka­tiv inner­halb des etablierten Parteien­spek­trums bewe­gen zu kön­nen, die Szene pos­i­tiv bee­in­flusst. Wir bekom­men das insofern konkret mit, als sich organ­isierte Recht­sex­trem­is­ten und ihr Umfeld deut­lich selb­st­be­wusster zu bewe­gen scheinen. Dies bet­rifft das Auftreten auf Demos, aber auch gezielte Pro­voka­tio­nen bis hin zu Angrif­f­en auf tra­di­tionell linke Ein­rich­tun­gen scheinen zuzunehmen. Ich möchte nur an die Sprengstof­fan­schläge auf das Net­zw­erk für demokratis­che Kul­tur im säch­sis­chen Wurzen im Novem­ber let­zten Jahres erin­nern oder kür­zlich an den Anschlag auf ein Jugendzen­trum im bran­den­bur­gis­chen Bernau. 

Wie drückt sich das Erstarken der neon­azis­tis­chen Bewe­gung in eur­er Arbeit aus? 

L.K.: In der unmit­tel­baren Arbeit wirkt sich das in jedem Bun­des­land unter­schiedlich aus. In Sach­sen gelingt es der NPD zunehmend, das poli­tis­che Kli­ma zu vergiften, beson­ders dort, wo sie in den Kom­mu­nal­par­la­menten sitzt und stark lokal ver­ankert ist. Die Beratungs­fälle sind in solchen Sit­u­a­tio­nen oft emo­tion­al aufge­laden, was mögliche Hand­lungss­chritte häu­fig ver­stellt. Die Wahrnehmungskonzen­tra­tion der Öffentlichkeit und der demokratis­chen Parteien­land­schaft auf die Geschehnisse im säch­sis­chen Land­tag ver­stellt oft den Blick auf die ganz alltäglichen Vorgänge in den ländlichen Gebieten. 

In anderen Regio­nen ist die Sit­u­a­tion so schlimm bzw. so gut wie schon vor den NPD-Erfol­gen. Wie gesagt, das poli­tis­che Kli­ma hat sich ja nicht auf einen Schlag zu Gun­sten recht­sex­tremer Akteure verän­dert. Die Ein­stel­lungspoten­ziale bewe­gen sich auf einem ähn­lichen Niveau wie vorher. Es ist jeden­falls vor Ort nichts davon zu spüren, dass sich die NPD selb­st “entza­ubert” und deswe­gen an Zus­pruch ver­liert, wie dies etwas naiv aus Kreisen von SPD und CDU zu hören ist. 

Hat der Erfolg der NPD Auswirkun­gen auf die Arbeit der Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt? 

D.J.: Wir machen keine exak­te Daten­er­he­bung bezüglich der Täter. Aber wir begleit­en die Betrof­fe­nen in aller Regel durch die Prozesse und kön­nen uns daher ein ganz gutes Bild von den Tätern machen. Wir haben es nor­maler­weise nicht mit organ­isierten Recht­sex­trem­is­ten zu tun, son­dern mit Tätern aus einem eher losen recht­en Umfeld der recht­en Skin­head- und Kam­er­ad­schaftsszene. Ins­ge­samt haben die Opfer­ber­atungsstellen in Sach­sen und Bran­den­burg seit den Land­tagswahlen eine Zunahme von Angrif­f­en rechter Schläger reg­istri­ert. In aller Regel han­delt es sich um Tat­en, die aus ein­er Gruppe her­aus began­nen wer­den, oft spielt Alko­hol eine Rolle. Wir beobacht­en übri­gens auch immer öfter, dass Frauen in diesen Grup­pen eine gewichtige Rolle spie­len. Sie beteili­gen sich dann zwar nicht unmit­tel­bar an der Tataus­führung, wirken aber insofern mit, als sie zu den Tat­en ans­pornen oder gar als Ideenge­berin­nen auftreten. 

Sind die Recht­en nicht auch Prof­i­teure ein­er gewan­del­ten Selb­st­wahrnehmung der Deutschen? Bombenkrieg, Flucht und Vertrei­bung sind The­men, die immer “unbe­fan­gener” disku­tiert wer­den. In diesem Diskurs wird die Gren­zen zum Geschicht­sre­vi­sion­is­mus nur zu oft über­schrit­ten und die Recht­en greifen das gezielt auf, wie z.B. am let­zten Woch­enende in Dresden. 

D.J.: Ja, das Feld f
ür die Recht­en wurde seit Jahren bestellt. Es sei nur an den His­torik­er­stre­it der 1980er Jahre erin­nert, die Debat­te um die Neue Wache in Berlin Mitte der 1990er Jahre, also ein­er Gedenkstätte für Opfer und Täter gle­ichzeit­ig, oder eben die Diskus­sio­nen zum Bombenkrieg gegen das faschis­tis­che Deutsch­land. Die poli­tis­che Elite in Deutsch­land scheint einen Kon­sens gefun­den zu haben, der als Nor­mal­isierung beschrieben wird. Wenn Deutsch­land das Ver­hält­nis zur eige­nen Geschichte so einord­nen kann, wie dies auch in anderen Län­dern möglich ist, ste­ht ein­er Führungsrolle Deutsch­lands in Europa und darüber hin­aus nichts mehr im Wege. Vor diesem Hin­ter­grund sind auch die Bemühun­gen der rot-grü­nen Bun­desregierung, die “Rolle Deutsch­lands” im inter­na­tionalen Gefüge zu stärken, zu bewerten. 

L.K.: Für mich ist außer­dem bemerkenswert, dass die Zus­tim­mung zu NPD-Parolen wie “Bomben­holo­caust” über die unmit­tel­bare Anhänger­schaft der NPD hin­aus­re­ichen. Es ist daher inter­es­sant, zu beobacht­en, was sich kul­turell in den ver­gan­genen Jahren verän­dert hat. Gui­do Knopp, Gün­ther Grass, Jörg Friedrich oder Thor Kunkel ste­hen für eine Lust endlich und “befre­it” das “Deutsche Leid” darzustellen. Es han­delt sich bei diesen Pro­tag­o­nis­ten natür­lich nicht um Recht­sex­trem­is­ten, aber ihre Betra­ch­tung des Zweit­en Weltkrieges als “human­itäre Katas­tro­phe” ohne Reflex­ion der Ursachen ent­poli­tisiert den Diskurs um die Geschichte des Nation­al­sozial­is­mus und seine Fol­gen. Es ist dann nicht mehr weit zur Gle­ich­set­zung von “Dres­den, Coven­try (damals) und (heute) Bag­dad”, wie es bürg­er­lich-demokratis­chen Kräften in Dres­den vorgemacht haben. Spätestens hier gerät dieser Diskurs dann zur Steil­vor­lage für die recht­sex­tremen “Predi­ger”.

Zum Glück gibt es ger­ade in Dres­den auch sehr pos­i­tive Gegen­beispiele. Dort haben sich eine Rei­he von Ini­tia­tiv­en zusam­menge­tan, um eine eigene “Erin­nerungskul­tur” zu beschreiben. Sie inter­na­tion­al­isieren den Diskurs und öff­nen so die verengte deutsche Per­spek­tive, sie the­ma­tisieren und benen­nen die deutschen Täter und ver­hin­dern damit die geschichtsvergessende Gle­ich­set­zerei der Opfer. Ich denke, Nazis haben in einem Diskurs unter solchen Rah­mungen keine Chance. 

Macht eure Arbeit unter diesen gesellschaftlichen Rah­menbe­din­gun­gen Sinn? 

L.K.: Wie viele andere auch ver­suchen wir mit unser­er Arbeit, demokratis­che Struk­turen aufzubauen und zu erhal­ten. Mit­tels dieser Struk­turen wollen wir men­schen­rechtliche Stan­dards als Quer­schnittsauf­gabe der gesamten lokalen poli­tis­chen Kul­tur etablieren. Wir sind aber nicht so naiv, gle­ich alles auf ein­mal umkrem­peln zu wollen. Stattdessen sprechen wir von “sozio-kul­turellen Inseln” in ein­er son­st recht tris­ten poli­tis­chen Land­schaft. Wir haben die Hoff­nung, dass diese Inseln wach­sen, sich ver­net­zen und es dadurch gelingt, ein kul­turelles Gegengewicht zu einem recht­en Main­stream zu schaf­fen. Herkömm­liche Vorstel­lun­gen in der Poli­tik zur Eindäm­mung des Recht­sex­trem­is­mus wer­den wir mit einem solchen Konzept ent­täuschen: Wir wer­den nicht ver­hin­dern kön­nen, dass NPD-Anhänger die NPD in die Par­la­mente wählen. Aber die diskur­sive Macht der Recht­sex­trem­is­ten vor Ort lässt sich durch eigene The­menset­zun­gen brechen. 

D.J.: Das mag sich so ein biss­chen daher gere­det anhören. Es gibt aber Beispiele dafür, dass es an eini­gen Stellen dur­chaus gelun­gen ist, Struk­turen zu schaf­fen und zumin­d­est ein­er recht­en Hege­monie etwas ent­ge­gen­zuset­zen. Ich möchte auch behaupten, dass die Sit­u­a­tion weitaus schlim­mer sein würde, gäbe es nicht diese vielfälti­gen Ver­suche ein­er alter­na­tiv­en und linken Pro­jek­te­land­schaft. Übri­gens weit über die staatliche finanzierten CIV­I­TAS-Pro­jek­te hinaus. 

Die Finanzierung eur­er Pro­jek­te ste­ht auf kein­er gesicherten Basis. Wie es nach den Bun­destagswahlen 2006 weit­erge­ht, ist vol­lkom­men offen. Wie seht ihr eure Zukunft? 

D.J.: Wie es nach 2006 mit der Bun­des­fi­nanzierung für die Pro­jek­te aussieht, ste­ht zur Zeit noch in den Ster­nen. Ab und zu ist die Rede von ein­er Bun­dess­tiftung, die diese Arbeit übernehmen kön­nte. Konkrete Entwürfe dazu sind uns aber nicht bekan­nt. Land auf, Land ab ist man sich einig, dass es falsch wäre, nur Sym­bol­poli­tik oder nur “Stro­hfeuer” zu betreiben. In der Real­ität wer­den die Pro­jek­te aber immer nur ein Jahr lang mit sicheren Zusagen aus­ges­tat­tet. Nach­haltige Struk­turen sind damit nur in Ansätzen zu schaffen. 

Inter­view: mb.

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