Schüler aus Potsdam und vom jüdischen Gymnasium Berlin diskutierten in
Gollwitz mit Matthias Platzeck
Irgendwann flog dem Schüler vom jüdischen Gymnasium in Berlin der Draht aus
der Mütze. Die Diskussion, die er und seine Mitschüler mit Ministerpräsident
Matthias Platzeck und Jugendlichen von der Potsdamer Voltaire-Gesamtschule
führe, sei doch überflüssig. Nicht etwa, weil die Standpunkte unüberbrückbar
wären. Im Gegenteil: “Wir sind doch im Grunde einer Meinung. Hier sitzen
doch wieder nur Leute, die Bescheid wissen.” In der Tat: Die Elft- bis
Dreizehntklässler, die gestern zum Meinungsaustausch ins Schloss Gollwitz
gekommen waren, hegen weder Ressentiments gegenüber Juden noch müssen sie
sich erzählen lassen, warum das Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden in
Deutschland immer noch gespalten ist. Er fände es sinnvoller, sich mit
Jugendlichen auseinander zu setzen, die in Springerstiefeln und voller
Vorurteile gegenüber Juden durch die Welt laufen, bekundete ein anderer
Schüler des Berliner Gymnasiums.
Zum nunmehr dritten Mal hat die “Stiftung Begegnungsstätte Gollwitz” Schüler
aus Berlin und dem Land Brandenburg in das Schloss eingeladen, um mit
hochrangigen Politikern über das Verhältnis von Juden und Nichtjuden zu
diskutieren. Nach der CDU-Ikone Heiner Geißler und Bundestagspräsident
Wolfgang Thierse stand gestern Ministerpräsident Matthias Platzeck Rede und
Antwort.
Der Mann verhehlte nicht, dass das Land Brandenburg nach wie vor noch weit
davon entfernt sei, wegen fremdenfeindlicher Attacken aus den Schlagzeilen
zu kommen. Insofern sei das Gollwitzer Schloss ein gutes Beispiel für das
Bemühen um eine Meinungswende. Platzeck erinnerte an die fremdenfeindlichen
Ausfälle der Gemeindevertreter vor einigen Jahren, als der Kreis jüdische
Flüchtlinge aus Ost€pa in dem Schloss unterbringen wollte. Und sich die
Gemeindevertreter mit aller Kraft und vielen antisemitischen Sprüchen
dagegen zu wehren versuchten. In diesem Konflikt “haben wir uns als
Landesregierung aber auch nicht mit Ruhm bekleckert”, räumte Platzeck ein
und kritisierte die seinerzeit miserable Informationspolitik gegenüber den
Gemeindevertretern.
Wie sie das Land Brandenburg wahrnehmen würden, wollte Platzeck von den
jungen Berlinern wissen. Eine Schülerin berichtete, wie ihre aus Namibia
stammende Schwester in Königs Wusterhausen verprügelt worden sei. Ein
anderer Schüler erzählte, wie er bei einer Radtour ins Märkische wegen
seines Aussehens angepöbelt worden sei. Und der Lehrer der Klasse warnte gar
vor längeren Aufenthalten mit Klassen seiner Schule im Brandenburgischen.
Als Jäger, der regelmäßig in Brandenburg sei, habe er die Geisteshaltung
vieler Einwohner in seinem Jagdrevier kennen gelernt. “Ich höre hin, wenn
sich die Leute in der Kneipe unterhalten.”
Auch wenn sie die Übergriffe auf Fremde im Land Brandenburg nicht klein
reden wollten — den Eindruck, den die Berliner gestern in Gollwitz
verbreiteten, konnten die Potsdamer in dieser Schärfe nicht teilen. Wenn er
die Babelsbeger Kicker etwa zum Spiel nach Dresden begleite, erlebe er dort
eine fremdenfeindliche Stimmung, wie er sie aus Potsdam nicht kenne. Auch
sonst verspürten die Jugendlichen aus der Landeshauptstadt in ihrer Stadt
wenig, was eine Angst vor Rechtsextremisten begründen könnte. “Das ist ja
gerade das Phänomen”, warf Platzeck in die Runde. Je geringer der
Ausländeranteil in einem Ort oder einer Region sei, desto stärker seien die
Vorurteile der Einwohner. “Man könnte meinen, dass es in entlegenen Regionen
einen Ausländeranteil von 50 Prozent gebe, so groß sind die Vorbehalte.”
So sehr er bedauere, dass die Übergriffe dem Land immer noch
Negativschlagzeilen einbringe: “Lieber so als sich den Vorwurf gefallen
lassen müssen, wir würden etwas unter den Teppich kehren.”