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Antifaschismus

Der Kick“

Der kleine Ort Pot­zlow liegt in der Uck­er­mark und hat 600 Einwohner_innen. Das Wahrze­ichen ist eine hölz­erne Roland-Fig­ur, die im Mit­te­lal­ter das Stadtrecht sym­bol­isierte. Umgeben von ein­er idyl­lis­chen Natur­land­schaft mit ein­er lebendi­gen Flo­ra und Fau­na, ist die Gegend ein attrak­tiv­er Anlauf­punkt für den san­ften Touris­mus, der in dieser struk­turschwachen Region so manch­es Auskom­men sichert. Der Ort wirbt mit seinen vielfälti­gen Vere­inen und dem intak­ten, authen­tis­chen Leben auf dem Lande. Ober­fläch­lich betra­chtet unter­schei­det diesen Ort nicht viel von anderen Gemein­den in der Umge­bung. Und doch ist vor nun­mehr zehn Jahren etwas passiert, dass dieses Dorf in die weltweite Öffentlichkeit kat­a­pul­tierte und den Namen Pot­zlow bis heute als Syn­onym für beson­ders bru­tale recht­sradikale Gewalt ste­hen lässt.

In der Nacht vom 12. auf den 13. Juli 2002, also vor genau zehn Jahren, wurde Mar­i­nus Schöberl nach bru­taler Folter sein­er drei Peiniger Marko Schön­feld, Mar­cel Schön­feld und Sebas­t­ian Fink in einem ver­lasse­nen Schweinestall am Dor­frand ermordet. Der qualvolle Lei­densweg von Mar­i­nus begann am Abend des 12. Juli in ein­er Woh­nung im Pot­zlow­er Ort­steil Strehlow. Nach­dem er dort zusam­mengeschla­gen, zwangsweise unter Alko­hol geset­zt und auf ihn uriniert wurde, schleppten ihn die drei Täter noch unge­fähr einen Kilo­me­ter durch den Ort, bevor sie ihn mit einem soge­nan­nten Bor­d­stein­kick den Schädel brachen, ihn daraufhin mit Steinen töteten und in der Jauchegrube neben einem Schweinestall verscharrten.

Ans Licht der Öffentlichkeit kam der Mord erst ein halbes Jahr später auf Grund des Hin­weis­es ein­er der Täter. In der Öffentlichkeit löste der Mord Entset­zen aus. Kaum jemand kon­nte sich der Rohheit dieser Tat entziehen. Auch im Dorf selb­st saß der Schock tief und es wurde sich in Erk­lärungsver­suchen geübt. Zu erk­lären ist diese Tat aber nur, führt man sich das ide­ol­o­gis­che Umfeld und das Men­schen­bild der Täter vor Augen. Die vorschnelle Ein­sicht, die Mörder von Mar­i­nus kön­nen keine Recht­sradikalen sein, da es in Pot­zlow keine solche Men­schen gäbe, war wenig erhel­lend und ließ eher auf einen Abwehrmech­a­nis­mus schließen, denn auf tat­säch­lichen Aufarbeitungswillen.

Pot­zlow­er Zustände

Die Real­ität spricht eine andere Sprache: Seit Beginn der 1990er Jahre kam es in der Region immer wieder zu recht­sradikalen Über­grif­f­en und Gewalt­tat­en: Von anti­semi­tis­chen Sprühereien an der Pfar­rhaus­mauer, über das Zusam­men­schla­gen von Jugendlichen, die sich der recht­sradikalen Hege­monie wider­set­zten, bis hin zu einem Angriff auf ein kirch­lich­es Freizei­theim im benach­barten Stern­hagen, wobei ein Sozialar­beit­er ins Koma geprügelt wurde. Diese Vor­fälle ereigneten sich alle unter Beteili­gung von „ganz nor­malen Jugendlichen“ wie die Recht­sradikalen gerne ver­harm­losend genan­nt wur­den aus Potzlow.

Diese Vor­fälle waren aber nur die nach Außen sicht­bare Spitze des Eis­berges. Das alltägliche Kli­ma recht­sradikaler Dom­i­nanz auf den Straßen, in den Schul­bussen und auf Dorffesten sind nicht weit­er doku­men­tiert, außer in den Erin­nerun­gen von Jugendlichen, die sich dem recht­en Main­stream nicht angepasst haben. Liest man mit diesem Wis­sen den Auszug aus einem Inter­view der dor­feige­nen Web­site, scheint es in Pot­zlow einen Hang zum Vedrän­gen zu geben. Auf die Frage, ob vor dem Mord an Mar­i­nus Recht­sradikalis­mus im Dorf aufge­fall­en sei, antwortet der dama­lige Bürg­er­meis­ter, Johannes Weber:

Es gab einzelne Jugendliche, die sich ‘rechts’ gek­lei­det haben und es gab rechte Schmier­ereien. In so einem Dorf glaubt man aber, man kenne seine Pap­pen­heimer. Und hier waren es zwei Jugendliche, die sich präsen­tieren woll­ten, die auf­fall­en woll­ten. So schien es uns. Mitte der 90er hat­ten wir Räume für einen Jugend­club zur Ver­fü­gung gestellt, aber keinen Jugen­dar­beit­er. Da sind dann rechte Jugendliche aus den Nach­barorten gekom­men und haben den Raum für sich beschlagnahmt. Wir haben das rel­a­tiv schnell erkan­nt und den kleinen Club zugemacht.“

Hier wird deut­lich, dass auch frühere Vor­fälle mit recht­sradikalem Hin­ter­grund geleugnet und bagatel­lisiert wur­den. Die Täter selb­st waren nicht nur durch ein­deutige Klei­dung, son­dern auch auf Grund ihrer Vorstrafen­reg­is­ter und ihres Agierens in recht­sradikalen Zusam­men­hän­gen bekan­nt. Beson­ders der damals 23-jährige Marko Schön­feld fiel häu­fig durch Über­griffe auf. Let­ztlich war er bere­its wieder im Gefäng­nis, als sein Brud­er Mar­cel einige Jugendliche des Dor­fes zur Jauchegrube führte und die Leiche von Mar­i­nus frei­legte. Er hat­te in der Zeit nach dem Mord zusam­men mit anderen einen Mann aus Sier­ra Leone ins Kranken­haus geprügelt.

Der Prozess

Vor diesem Hin­ter­grund wirkt es befremdlich, dass ver­sucht wurde, die Tat aus ihrem ide­ol­o­gis­chen Kon­text her­auszulösen. Trotz der schweigen­den Gle­ichgültigkeit von Mar­i­nus Peinigern wurde der Tather­gang während des Prozess­es nahezu lück­en­los rekon­stru­iert. Am ersten nichtöf­fentlichen Prozesstag legten alle drei Beschuldigten schriftliche Geständ­nisse ab. An den fol­gen­den öffentlichen Prozessta­gen eröffnete sich den Anwe­senden im Gerichtssaal ein Bild der Rohheit, Ver­wahrlosung und fehlen­der Sol­i­dar­ität in der Pot­zlow­er Dor­fge­mein­schaft. Die Vertei­di­gung ver­suchte den ganzen Prozess hin­durch ihre Man­dan­ten als während der Tat unzurech­nungs­fähig, nicht recht­sradikal, oder als nicht intel­li­gent genug darzustellen, um ein möglichst mildes Urteil zu erwirken. Die Urteile im Saal des Neu­rup­pin­er Landgerichts blieben 2003 schliesslich alle­samt unter den von der Staat­san­waltschaft geforderten Strafmaßen.

Mar­cel Schön­feld wurde zu ein­er Jugend­strafe wegen Mordes, Kör­per­ver­let­zung und Nöti­gung in Höhe von achtein­halb Jahren verurteilt und 2009 vorzeit­ig ent­lassen. Marko Schön­feld musste für 15 Jahre wegen ver­sucht­en Mordes und gefährlich­er Kör­per­ver­let­zung sowie Nöti­gung ins Gefäng­nis. Sebas­t­ian Fink wurde wegen gefährlich­er Kör­per­ver­let­zung zu zwei Jahren Jugend­strafe verurteilt, durfte den Gerichtssaal aber als freier Mann ver­lassen, da ihm die Zeit der Unter­suchung­shaft bere­its auf die Haft­dauer angerech­net wurde. Zwar hob der Bun­des­gericht­shof in Leipzig die Urteile ein Jahr nach Prozessende wieder auf und sprach den Tätern eine höhere Ver­ant­wor­tung für den Tod Mar­i­nus Schöberls zu, am ursprünglichen Straf­maß änderte das allerd­ings kaum etwas.

Aufar­beitungsver­suche

Da sich die Aufar­beitungsver­suche im Dorf selb­st – mit Aus­nah­men – meist im Bagatel­lisieren der weit­eren Umstände im Ort erschöpften, gab es mehrere Ver­suche außer­halb des Dor­fes, die Tat und ihr gesellschaftlich­es Umfeld zu reflek­tieren. Genan­nt seien hier das The­ater­stück, das Buch und der Film „Der Kick“ von Andres Veiel und Gesine Schmidt und der Film „Zur Falschen Zeit am falschen Ort“ von Tama­ra Milo­se­vic. In diesen Veröf­fentlichun­gen wurde ver­sucht sich dem Ver­brechen anhand der indi­vidu­ellen Gefühls- und Hand­lungswel­ten der Täter, der Freund_innen und Nachbar_innen des Opfers zu nähern.

Aber wo ste­hen der Ort und seine Einwohner_innen heute zehn Jahre nach dem Mord an Mar­i­nus Schöberl? Was hat sich im Dorf verän­dert? Wie ste­ht es um eine „echte“ Aufar­beitung der Geschehnisse vom 12. Juli 2002? Das Ergeb­nis kön­nte pos­i­tiv­er sein. Auf der Inter­net­seite von Pot­zlow find­et sich zwar ein eigen­er Bere­ich, der den Mord in Form von Inter­views mit den bei­den Bürgermeister_innen aus den ver­gan­genen Jahren the­ma­tisiert, aber ist dieser in den Untiefen der Dor­fchronik ver­steckt. Es gibt einen Gedenkstein an der Periph­erie des zen­tralen Dorf­platzes, der nur auf Ini­tia­tive des dama­li­gen Pot­zlow­er Pfar­rers ent­standen ist. Aber selb­st die Auf­stel­lung des Steines lief nicht ohne Wider­stand ab. So war es eini­gen ein Ärg­er­nis, dass der Gedenkstein mit­ten im Dor­fzen­trum aufgestellt wer­den sollte.

Bis heute ist der Mord an Mar­i­nus Schöberl ein The­ma, dass im Dorf gerne beschwiegen wird. Auch in oben erwäh­n­tem Inter­view wird der Kon­text in dem der Mord passierte und die Vorgeschichte von Recht­sradikalis­mus, Ras­sis­mus und alltäglich­er Gewalt geleugnet. Stattdessen ziehen sich der ehe­ma­lige Bürg­er­meis­ter und die spätere Bürg­er­meis­terin auf eine Opfer­rolle zurück und bedauern, dass es nach dem Mord eine Het­ze gegen den Ort Pot­zlow gegeben habe.

Zumin­d­est in der Pot­zlow­er Kirche ist eine Gedenkan­dacht zum zehn­jähri­gen Jahrestag der Ermor­dung von Mar­i­nus Schöberl angekündigt.

 

Am 13. Juli wird es ab 14 Uhr in Pren­zlau eine Fahrrad­de­mo in Gedenken an Mar­i­nus geben. Wie schon im Jahr 2002 sind es antifaschis­tis­che Grup­pen, die Erin­nerung aufrecht erhal­ten. Mehr dazu hier.

Eine Samm­lung von Presseartikel der let­zten 10 Jahre zum The­ma find­et sich hier.

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