(15.04.05) (Berliner Zeitung) POTSDAM. Altbundespräsident Richard von Weizsäcker, der Modeschöpfer
Wolfgang Joop mit seinen Eltern und auch Bundesverkehrsminister Manfred
Stolpe (SPD), die notorischen Preußenfans also, saßen in der ersten Reihe
mitten auf einer Potsdamer Hauptverkehrsschneise. Insgesamt waren etwa 400
Potsdamer zu einem kirchlichen Festakt erschienen. Dazu schrien hinter der
Polizeiabsperrung fünfzig zumeist minderjährige Autonome “Nie wieder
Preußen, nie wieder Deutschland.” In diesem Rahmen legten am Donnerstag
Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), Vize-Regierungschef Jörg
Schönbohm (CDU) und Wolfgang Huber, Ratspräsident der Evangelischen Kirche,
den Grundstein für den Wiederaufbau der Garnisonkirche — genau am 60.
Jahrestag der Zerstörung Potsdams durch britische Bomber.
Vorausgegangen war ein jahrelanger Streit über die Vergangenheit des
Kirchenbaus. Entstehen soll die neue, alte Garnisonkirche nun als
Versöhnungszentrum, in dem über Friedenspolitik debattiert werden soll, und
als offene Stadtkirche. In zwölf Jahren erst, zum 500. Jahrestag der
Reformation am 31. Oktober 2017, soll die einstige Hof- und Garnisonkirche
der preußischen Hohenzollern wiederaufgebaut sein.
In Verruf gekommen ist der barocke Kirchenbau vor allem wegen des “Tages von
Potsdam”, den die Nationalsozialisten dort im März 1933 inszeniert hatten.
Damals gaben sich Adolf Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg in
einer von NS-Propagandaminister Goebbels inszenierten Zeremonie die Hand.
Das sah für viele so aus wie ein Schulterschluss zwischen Preußentum und
Nationalsozialismus.
Obwohl die Kirche 1945 ausgebrannt war, fanden in der Kapelle des Kirchturms
bald wieder Gottesdienste statt — bis Spezialisten des Magdeburger
Autobahnkombinates die beschädigte Kirche auf Geheiß der SED-Spitze
sprengten. Im selben Jahr wurde auch die Leipziger Universitätskirche in die
Luft gejagt woran Bischof Huber noch einmal erinnerte.
Noch aber ist die Garnisonkirche ein Phantom. Nicht nur, weil zunächst ein
auf ihrem alten Standort errichteter DDR-Plattenbau teils abgerissen werden
muss. Vor allem nämlich müssen 65 Millionen Euro aufgetrieben werden. So
viel kostet der Wiederaufbau. Dafür hat Hans-Peter Rheinheimer, Chef des
Potsdamer Industrie-Clubs, eine Fördergesellschaft ins Leben gerufen. Die
Spendenaktion nach dem Vorbild der Dresdner Frauenkirche läuft nun an — so
sollen Ziegel mit Spendernamen verbaut werden.
Erschwert wird das Vorhaben durch Querelen mit der erzkonservativen
Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel, die schon vor Jahren mehr als
fünf Millionen Euro für den Wiederaufbau gesammelt hat. Die Vereinigung
ehemaliger Bundeswehroffiziere lehnt einen Wiederaufbau als
Versöhnungszentrum inklusive der Beratung von Kriegsdienstverweigerern
strikt ab. Gerade haben die Eltern des Modeschöpfers Joop die
Traditionsgemeinschaft aufgefordert, die von ihnen eingezahlte Spende an die
neue Fördergesellschaft zu überweisen.
Grundstein für die Garnisonkirche
Bis 2017 soll das einstige Wahrzeichen der Stadt wieder aufgebaut werden -
Kurze Störung durch linke Demonstranten
(BM)Potsdam — Horst Günther hatte als junger Mann vor 60 Jahren den 88 Meter hoh
en Turm der Garnisonkirche brennen sehen. Gestern nahm der Uhrenfabrikant
aus Pforzheim und einer der Hauptspender für die Dresdner Frauenkirche an
der Grundsteinlegung für die Potsdamer Garnisonkirche teil. Als Geschenk
brachte er große Uhren mit, die künftig für die Garnisonkirche als
Versöhnungszentrum werben sollen. Ein langer Weg, der viel Unterstützung
braucht: Der Bau soll bis 2017, dem 500. Jahrestag der Reformation, wieder
stehen. Finanziert werden soll der Aufbau über Spenden.
Potsdam erhalte mit der Kirche seine gesellschaftliche Mitte zurück, sagte
Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) im Beisein von
Hunderten prominenten Gästen, darunter Alt-Bundespräsident Richard von
Weizsäcker und Prinz Georg Friedrich von Preußen. Gekommen waren auch einige
linksautonome Störer. Mit Rufen wie “Nazis raus” und “Heuchler”
protestierten mehr als einhundert junge Leute gegen die als liturgische
Feier angelegte Veranstaltung. Sie wurden von Polizeibeamten abgedrängt.
Dann konnte der Bischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in
Deutschland, Wolfgang Huber, das rund 65 Millionen Euro teure Bauvorhaben
als Zeichen für einen Bewußtseinswandel in Bezug auf Kirchen und für ein
steigendes Interesse an Religion würdigen. Bürgerschaftliches Engagement,
kirchliche Verantwortung und städtisches Selbstbewußtsein hätten das Projekt
ermöglicht. Das Nutzungskonzept sieht Gottesdienste und Andachten zu
besonderen politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Anlässen vor.
Seit Jahren wird um das Projekt gestritten. Ende März gab es einen
Rückschlag, als die von Ex-Bundeswehroberstleutnant Max Klaar geleitete
Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel (TPG) ihre Mitarbeit
einstellte, weil sie den originalgetreuen Aufbau der Kirche inklusive
Preußenadler auf dem Turm zur Bedingung machte. Innenminister Jörg Schönbohm
(CDU) dankte Klaar, auf dessen Initiative hin der Nachbau des Glockenspiels
anläßlich der 1000-Jahr-Feier Potsdams im Jahr 1993 auf der Plantage
aufgestellt worden war, und gab seiner Hoffnung Ausdruck, daß sich viele
Spender künftig für das Vorhaben engagieren.
Zu den ersten Unterstützern zählt auch die Familie Joop. Die Eltern von
Modedesigner Wolfgang Joop haben ihre an die TPG gezahlte Spende von 2000
Euro inzwischen zurückgefordert, um sie der von Hans Rheinheimer geleiteten
Fördergemeinschaft zur Verfügung zu stellen.