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Die Opfer in den Blickpunkt rücken: Die Opferperspektive

Von der Analyse der Tätergesellschaft
zur Förderung von Sol­i­darisierung­sprozessen mit den Betroffenen

von Mitar­bei­t­erin­nen und Mitar­beit­ern der Opfer­per­spek­tive e.V.

Wir, die Autorin­nen und Autoren dieses Artikels, sind ein vierköp­figes Team mit
dem Namen “Opfer­per­spek­tive”, inzwis­chen arbeit­en sechs Men­schen bei dem Verein.
Unsere Beratungsstelle in Pots­dam arbeit­et noch mit vier weiteren
(Jugend)Projekten in Bran­den­burg zusam­men, die in den jew­eili­gen Regio­nen Opfern
von recht­sex­tremer Gewalt betreuen. Wir beschäfti­gen uns seit Mitte 1998 im
Bun­des­land Bran­den­burg mit der Organ­i­sa­tion von Hil­fe und Unter­stützung für
Men­schen, die Opfer von recht­sex­trem oder ras­sis­tisch motiviert­er Gewalt
gewor­den sind. Aus­gangspunkt dieser Arbeit war die Moti­va­tion, den zum Alltag
gewor­de­nen Zus­tand ein­er per­ma­nen­ten Bedro­hung und Aus­gren­zung bestimmter
Bevölkerungs­grup­pen nicht hin­nehmen zu wollen. 

Fast jede Woche wer­den Men­schen aus recht­sex­trem­istis­chen Motiv­en, aus Hass
gegen alles ver­meintlich “Undeutsche” ange­grif­f­en. Belei­di­gun­gen und Drohungen
gehören zur Tage­sor­d­nung, Angriffe sind nicht sel­ten. Sie sind insbesondere
gegen Men­schen aus anderen Herkun­ft­slän­dern, aber auch gegen Behinderte,
Obdachlose oder alter­na­tive Jugendliche gerichtet. In Poli­tik, Sozialar­beit und
Medi­en wird das Han­deln der recht­sex­trem­istis­chen Täter über­wiegend mit ihren
schlecht­en Beruf­sper­spek­tiv­en, fehlen­den Jugen­dein­rich­tun­gen und Versäumnissen
im Eltern­haus erk­lärt und ein Hand­lungs­be­darf in diesen Bere­ichen verortet.
Demge­genüber ger­at­en die Opfer der Tat­en und dringliche Verän­derun­gen ihrer
Leben­sum­stände allzu häu­fig aus dem Blickfeld. 

Die Arbeit des Pro­jek­tes Opfer­per­spek­tive hat das Ziel, den Betrof­fe­nen zu
helfen, sich nicht in ein­er pas­siv­en Opfer­rolle einzuricht­en, son­dern aktiv zu
wer­den und gemein­sam Per­spek­tiv­en zu entwick­eln. Dazu gehört, über die
Ver­mit­tlung der Leben­sre­al­ität poten­tiell Betrof­fen­er Solidarisierungsprozesse
im sozialen Umfeld auszulösen oder zu fördern. Ziel ist dabei nicht nur, die
Anteil­nahme am Schick­sal Einzel­ner zu ermöglichen. Es geht auch darum, die mit
Aus­gren­zung von Men­schen ver­bun­dene Gefahr für eine demokratische
Zivilge­sellschaft zu erken­nen. Eine Parteinahme für die von rechter Gewalt
Betrof­fe­nen und die gle­ichzeit­ige Entwick­lung von Ini­tia­tiv­en, die sich gegen
Aus­gren­zungs­be­stre­bun­gen richt­en, bieten Hand­lungsalter­na­tiv­en anstelle von
Ohn­macht und Angst. Bünd­nisse gegen Aus­gren­zung zu schaf­fen, ver­min­dert den
Ein­fluss rechter Ide­olo­gie, entzieht rechter Gewalt die ver­meintliche Zustimmung
in der Öffentlichkeit und schwächt rechte Machtpositionen. 

Der gesellschaftliche Kon­text ras­sis­tis­ch­er Angriffe

Im Jahr 1998 zählte die bran­den­bur­gis­che Polizei 100 ras­sis­tis­che und
recht­sex­treme Gewalt­tat­en. Die Dunkelz­if­fer ist hoch, da viele Betrof­fene keine
Anzeige erstat­ten, oder die Polizei diese schlichtweg nicht aufn­immt. Die Täter
sind meist männliche Jugendliche, die recht­sex­tremen Cliquen ange­hören; solche
Angriffe wer­den aber erst in einem gesellschaftlichen Kli­ma, das von Rassismus
und völkischem Nation­al­is­mus bee­in­flusst ist, möglich. Men­schen, die dem
typ­is­chen Quer­schnitt der Bevölkerung Bran­den­burgs entsprechen, ver­weigern den
Ange­grif­f­e­nen Hil­fe oder beteili­gen sich selb­st an ras­sis­tis­chen Pöbeleien. Es
ist die “Mitte der Gesellschaft”, aus der der Ras­sis­mus kommt. Umfra­gen zufolge
ist über die Hälfte der Bevölkerung der Mei­n­ung, Aus­län­der prof­i­tierten vom
sozialen Sys­tem und wür­den den Deutschen die Arbeit­splätze weg­nehmen. Kein
Wun­der, dass sich die recht­sex­tremen Gewalt­täter wie Voll­streck­er des
Volk­sempfind­ens fühlen. 

Ein recht­sex­trem oder ras­sis­tisch motiviert­er Angriff bet­rifft nicht nur das
indi­vidu­elle Opfer. Getrof­fen wird ein Einzel­ner, gemeint sind alle. Alle, die
zu den Feind­bildern der Recht­sex­trem­is­ten passen: Migranten, alter­na­tive und
linke Jugendliche (im Nazi-Jar­gon “Zeck­en”), Behin­derte, Obdachlose, Schwule und
Les­ben. Angst macht sich bre­it, viele sind eingeschüchtert. Gefährliche Orte
wer­den gemieden. Das kann ein Bahn­hof nach Anbruch der Dunkel­heit oder ein Platz
vor dem Einkauf­szen­trum sein. Das Land wird durch­zo­gen von “No-Go Areas”. Viele
kön­nen sich nicht mehr frei bewe­gen, manche, beson­ders Flüchtlinge in Heimen,
leben wie im Gefäng­nis, andere, etwa Migranten in Berlin, fahren nicht mehr nach
Brandenburg. 

Gewalt und rechte Hegemonie

Organ­isierten Recht­sex­trem­is­ten kommt diese Entwick­lung gele­gen. Was aus der
Sicht der Opfer “No-Go Areas” sind, nen­nen sie “nation­al befre­ite Zonen”. Die
Recht­en, nicht mehr staatliche Insti­tu­tio­nen, üben damit die soziale Kontrolle
aus. Sie haben die Hege­monie vor Ort, sei es kul­turell, indem sie Vorreiter
eines völkisch-nation­al­is­tis­chen Lebensstils sind, sei es repres­siv, indem sie
Abwe­ich­ler von diesem Lebensstil ver­fol­gen und ein­schüchtern. Der Kampf um die
Hege­monie wird in fast jed­er Schule, jedem Jugend­club, in vie­len Dör­fern und
Stadt­teilen geführt, und die Recht­sex­trem­is­ten erobern sich immer mehr Terrain.
An vie­len Orten in Bran­den­burg ist der recht­sex­treme Main­stream alternativlos.
Rechts zu sein, ist nor­mal. Wer keinen Ärg­er will, passt sich an. Gewalt spielt
bei der Durch­set­zung und Aufrechter­hal­tung rechter Hege­monie eine zentrale
Rolle. Durch Dro­hung mit Gewalt und geziel­ten Angrif­f­en wird versucht,
Jugendliche, die sich dem recht­en Kurs nicht anpassen, zu verdrängen. 

Es gibt viele Beispiele für diesen Prozess: Ein “neu­traler” Jugend­club, in dem
monatliche “Independent”-Diskos stat­tfind­en, wird regelmäßig von Grup­pen rechter
Skin­heads besucht, die das Pub­likum bedro­hen und regel­rechte Angriffe auf den
Jugend­club organ­isieren. Der Jugend­clubleit­er will der Gewalt begeg­nen, indem er
ver­sucht, die recht­en Skin­heads in die Klubar­beit einzu­binden. Ihre Präsenz
verän­dert die Sit­u­a­tion in der Ein­rich­tung. Die Umgangs­for­men der Recht­en, ihre
Sprüche und die Stärke der Gruppe führen dazu, dass anders denk­ende Jugendliche
vor die Wahl gestellt sind, sich anzu­passen oder weg zu bleiben. Mangels
Inter­esse bei den verbliebe­nen Besuch­ern wer­den die Independent-Diskos
eingestellt. Öffentliche Kri­tik der ange­grif­f­e­nen Jugendlichen am
Jugend­clubleit­er, der inner­halb der Stadt sehr ange­se­hen ist, wird nicht
zuge­lassen. Leser­briefe wer­den nicht abge­druckt. Die Jugendlichen fühlen sich
von der Stadt allein gelassen und ziehen sich schließlich zurück. Ein bisher
“neu­traler” Jugend­club wird zunehmend rechts dominiert. 

Die Reak­tion der Öffentlichkeit und ihre Folgen

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Anhand dieses Beispiels wird noch ein ander­er Aspekt deut­lich: Der
Ver­drän­gung­sprozess spielt sich qua­si unter den Augen der Öffentlichkeit ab,
wird aber von dieser nicht wahrgenom­men. Die Ver­suche der angegriffenen
Jugendlichen, sich Gehör zu ver­schaf­fen, scheit­ern. Nie­mand scheint sich für die
in Bedräng­nis ger­ate­nen Jugendlichen einzuset­zen. Sie wer­den als links(extrem)
abgestem­pelt. Die Bedro­hung der einen und das Wegse­hen und Ignori­eren der
anderen bewirken let­z­tendlich die erfol­gre­iche Ver­drän­gung von Jugendlichen, die
demokratis­che, emanzi­pa­torische Ansätze vertreten. Zurück bleiben Jugendliche,
die das Gefühl haben, sich bess­er gar nicht zu posi­tion­ieren — und rechts
ori­en­tierte Jugendliche. 

Die Auswirkun­gen eines Angriffs auf das soziale Umfeld des Opfers

Vor dem Hin­ter­grund öffentlich­er Igno­ranz wirkt ein recht­sex­trem motivierter
Angriff über die konkrete Ver­let­zung und Bedro­hung Einzel­ner hin­aus auf das
anvisierte Kollek­tiv. Die Betrof­fe­nen ver­ste­hen sehr genau, dass der Angriff,
vo
n sel­te­nen Racheak­tio­nen abge­se­hen, nicht ihnen per­sön­lich galt. Die Einzelnen
wer­den stel­lvertre­tend für alle ange­grif­f­en, die sich dem recht­en Kon­sens nicht
beu­gen wollen. Das Gefühl der Bedro­hung ver­bre­it­et sich schnell. 

Das Fehlen von Sol­i­darisierung mit den Opfern

Gewalt als Mit­tel zur Durch­set­zung und Aufrechter­hal­tung rechter Hege­monie hat
nur Erfolg, weil so viele pas­siv bleiben und weg sehen. Nichtangepasste
Jugendliche, Aus­län­der, Aussiedler etc. wer­den nicht nur zusammengeschlagen,
son­dern sowohl während der Tat als auch danach allein gelassen. Bei einem
Angriff auf einen Flüchtling wird gefragt, warum “solche” nachts auf der Straße
sind. Ein Lehrer, der sich gegen rechts engagiert und dafür von rechten
Skin­heads kranken­haus­reif geprügelt wird, wird wed­er von seinen Kol­le­gen noch
von seinen Vorge­set­zten besucht. Als er schon am Boden liegt, wird ihm gesagt,
er solle sich bei der Antifa raushal­ten. Die Gewalt­tat bein­hal­tet die
Auf­forderung, sich im Sinne der Täter zu ver­hal­ten. Allen soll klar gemacht
wer­den, dass sie gegen die Täter keine Chance haben, weil sie von niemandem
unter­stützt wer­den. Mit der fehlen­den Sol­i­dar­ität bestätigt sich diese Aussicht.
Das Aus­bleiben von Sol­i­darisierung­sprozessen mit den Ange­grif­f­e­nen hat auch eine
Wirkung auf die Täter. Es bestätigt ihre Vorstel­lung von der heimlichen
Zus­tim­mung der Bevölkerung für ihre Tat­en. Die Gle­ichgültigkeit und der Mangel
an Sol­i­dar­ität mit den Ange­grif­f­e­nen hat noch andere Fol­gen: Es wird der
Ein­druck erweckt, dass die Gesellschaft Angst vor den recht­en Schlägern hat. Es
scheint, als ob sich nie­mand mit ihnen anle­gen mag, als ob sie unangreifbar
wären. Der “Erfolg” ver­schafft ihnen Zulauf. Wer möchte nicht auf Seit­en der
Gewin­ner ste­hen? Macht ist attrak­tiv. Auf der Straße wird ihnen mit Respekt
begeg­net. Mit gesellschaftlich­er Äch­tung müssen sie nicht rechnen. 

Wie gehen die Ange­grif­f­e­nen mit diesen Erleb­nis­sen um?

Für die Ange­grif­f­e­nen ist das Nichtver­hal­ten “unbeteiligter” Mitmenschen
während, aber auch nach der Tat die zweite Ver­let­zung. Auch sie empfind­en die
Gle­ichgültigkeit als Zus­tim­mung zu den recht­sex­trem­istis­chen Tätern. Ausländer
und ander­s­denk­ende Jugendliche fühlen sich noch mehr aus­ge­gren­zt und in ihrem
Mis­strauen gegen die deutsche Gesellschaft bestätigt. Ein Angriff führt bei dem
Opfer zu Verun­sicherung. Anhal­tende Gefüh­le eigen­er Ver­let­zlichkeit und eigenen
Beschädigt­seins sind die Folge. Abhängig von der indi­vidu­ellen psychischen
Kon­sti­tu­tion und der sozialen Einge­bun­den­heit, dauert die psychische
Ver­ar­beitung der Ver­let­zun­gen meist länger als die rel­a­tiv schnell abheilenden
kör­per­lichen Schä­den. Für ange­grif­f­ene Flüchtlinge, die der anhaltenden
Bedro­hung auf­grund geset­zlich­er Ein­schränkun­gen nicht auswe­ichen kön­nen und die
sich in ein­er ihnen feindlich gesin­nten Umge­bung befind­en, kön­nen schon einfache
sym­bol­is­che Gesten viel bedeuten: eine spon­tane Anteil­nahme, eine öffentliche
Sol­i­dar­itäts­bezeu­gun­gen, eine Blu­mensendung ins Kranken­haus, all das kann ihnen
helfen, ihr Selb­stver­trauen und ihre Selb­st­sicher­heit wiederzugewin­nen. Eine
demokratisch ori­en­tierte Jugend­szene wird gefördert, indem die Ange­bote in den
Jugen­dein­rich­tun­gen auf sie aus­gerichtet sind. So kann ihnen deut­lich gemacht
wer­den, dass auch sie Teil dieser Gesellschaft sein sollen. Ange­grif­f­e­nen wie
auch recht­sex­trem­istis­chen Schlägern wird klar gezeigt wer­den, dass diese Taten
nicht geduldet wer­den und erst recht nicht erwün­scht sind. Wenn jedoch
Aus­gren­zung gesellschaftliche Real­ität bleibt, wird der Auf­bau einer
demokratis­chen Zivilge­sellschaft zwangsläu­fig scheitern. 

Lern­prozesse bei den Bera­terin­nen und Beratern

Ein Ein­greifen in Form von konkreter Hil­fe für Opfern recht­sex­tremer Gewalt ist
für die Mitar­bei­t­erin­nen und Mitar­beit­er der Opfer­ber­atungsstellen eine
Möglichkeit, ihr anti­ras­sis­tis­ches und antifaschis­tis­ches Engage­ment praktisch
wer­den zu lassen. Es eröffnet die Möglichkeit, das Prob­lem Rechtsextremismus
nicht nur von der ratio­nal-ana­lytis­chen Seite zu betra­cht­en, son­dern durch die
Auseinan­der­set­zung mit den Fol­gen recht­sex­tremer Gewalt Empathie mit den
Betrof­fe­nen zu schaf­fen und eine stärkere emo­tionale Verwurzelung
antifaschis­tis­ch­er Überzeu­gun­gen zu bewirken. Oft sind es die Men­schen, die
selb­st auf­grund ihres gesellschaftlichen Engage­ments oder ihrer nicht
angepassten kul­turellen Ori­en­tierung von rechter Gewalt bedro­ht sind, die vor
Ort für eine weit­er­führende Sol­i­dar­ität mit Opfern recht­sex­tremer Gewalt
gewon­nen wer­den kön­nen. Sich mit anderen Opfern recht­sex­trem­istis­ch­er Gewalt
auszu­tauschen hil­ft, den Zusam­men­hang der ver­schiede­nen Feind­bilder in der
recht­sex­tremen Ide­olo­gie zu erken­nen. Gemein­sam ist einem Angriff auf Ausländer
oder auf so genan­nte “Zeck­en”, dass das Indi­vidu­um in der Gewalt­tat nicht mehr
zu erken­nen ist. Jede Gewalt­tat gegen Einzelne ist objek­tiv gese­hen Teil einer
recht­en Strate­gie der Aus­gren­zung und Vertrei­bung missliebiger Personenkreise.
In der Auseinan­der­set­zung mit der Sit­u­a­tion ange­grif­f­en­er Flüchtlinge wird
darüber hin­aus der Gesamtzusam­men­hang zwis­chen ras­sis­tis­ch­er Gewalt,
ras­sis­tis­chen Ein­stel­lun­gen und insti­tu­tion­al­isiert­er Diskri­m­inierung deutlich.
Wenn man sich das bewusst macht, bietet das konkrete Engage­ment für die
Ange­grif­f­e­nen auch die Chance, den gesellschaftlichen Diskurs von der isolierten
Betra­ch­tung der (rechter) Gewalt, wie sie in der öffentlichen Diskussion
vorherrscht, wegzuführen und den Recht­sex­trem­is­mus als gesamtgesellschaftliches
Prob­lem zu sehen. 

Hin­ter­grund all dieser strate­gis­chen Über­legun­gen ist auch die Frage, wie das
Engage­ment gegen rechts motiviert ist und wie es sich umset­zen und
aufrechter­hal­ten lässt. Für viele antifaschis­tis­che Jugendliche war die eigene
Kon­fronta­tion mit recht­sex­trem­istis­ch­er Gewalt Aus­gangspunkt ihres politischen
Engage­ments gegen rechts. Fällt diese direk­te Kon­fronta­tion weg bzw. sind nicht
sie selb­st oder der eigene Jugend­club betrof­fen, sinkt häu­fig auch ihre
Moti­va­tion, sich weit­erge­hend kon­tinuier­lich zu engagieren. Die konkrete
Unter­stützung von Opfern ras­sis­tis­ch­er und recht­sex­trem­istis­ch­er Gewalt kann das
poli­tis­che Engage­ment der Jugendlichen erweit­ern und darüber hin­aus Brück­en zu
anderen Lebenswel­ten schla­gen. In der prak­tis­chen Arbeit kön­nen neue
Bünd­nis­part­ner gefun­den und eine ver­bre­it­ete Selb­st- und Fremdisolation
über­wun­den werden. 

Für eine demokratisch ori­en­tierte Jugend­szene Noch ein weit­er­er Aspekt der Unter­stützung von Opfern recht­sex­tremer Gewalt als
antifaschis­tis­che Strate­gie soll hier her­vorge­hoben wer­den. Es geht um die
Sta­bil­isierung ein­er demokratisch ori­en­tierten Jugend­szene, die der
recht­sex­trem­istisch ori­en­tierten Jugend­kul­tur eine emanzi­pa­torische Alternative
ent­ge­genset­zt. Eine alter­na­tive Jugend­kul­tur zum recht­en Main­stream bedeutet,
dass die Jugendlichen der ver­schiede­nen Szenen immun gegen die rechte
Men­schen­ver­ach­tung, den faschis­tis­chen Kult der Stärke, gegen die kollektiven
Mythen der Recht­en wer­den. Sie schaf­fen sich selb­st eine Alter­na­tive, eine
gelebte Gegen­po­si­tio­nen gegen rechts. Selb­st­bes­timmtes Engage­ment der
Jugendlichen, Eigen­ver­ant­wor­tung und Selb­stor­gan­isierung sind hier­bei wichtige
Möglichkeit­en, demokratis­che Umgangsweisen zu ler­nen und umzusetzen.
Antifaschis­mus wird so in ein gesellschaftlich­es emanzipatives
Demokratiev­er­ständ­nis einge­bet­tet. Denn dieser sollte nicht nur Gegen­pol gegen
rechts, son­dern pos­i­tiv­er Aus­druck demokratis­chen zivilgesellschaftlichen
Selb­stver­ständ­niss­es sein.
(siehe auch D‑A-S‑H Dossier #3 “Jugen­dar­beit und
Recht­sex­trem­is­mus” — Anm. d. Red.) 

Ele­mente ein­er demokratis­chen Strate­gie Wir vers
tehen die Unter­stützung von Opfern recht­sex­tremer Gewalt als einen Teil
ein­er möglichen antifaschis­tis­chen Strate­gie gegen Recht­sex­trem­is­mus und möchten
anstelle eines Faz­its die in unseren Augen zen­tralen Ele­mente umreißen: 

Erstens sollte eine gesellschaftliche Sol­i­darisierung mit den Opfern
recht­sex­tremer Gewalt mobil­isiert wer­den, die zu einem großen Teil aus einer
prak­tis­chen Unter­stützung für die Opfer beste­ht. Die Sol­i­darisierung hat zum
Ziel, die Fol­gen der Angriffe für die Opfer etwas erträglich­er zu machen und
dabei vor allem der Ein­schüchterung ent­ge­gen­zuwirken. Außer­dem kann sich über
die Unter­stützung von Opfern ein sozialer Zusam­men­hang bilden, der vor weiteren
Angrif­f­en schützt und für gegen­seit­ige Unter­stützung sorgt. Die Unterstützer
wer­den mit der Per­spek­tive der Opfer kon­fron­tiert. Die Angriffe wer­den in
Zusam­men­hänge alltäglich­er, insti­tu­tioneller wie nichtinstitutioneller
Diskri­m­inierung und Aus­gren­zung gestellt — und so kann die Gewalt ger­ade in
ihrem gesellschaftlichen Kon­text begrif­f­en wer­den. Lern­prozesse wer­den mit dem
Erken­nen des Zusam­men­hangs von Gewalt mit bes­timmten ide­ol­o­gis­chen Mustern wie
z.B. völkischem Nation­al­is­mus, Sozial­dar­win­is­mus, Autori­taris­mus und
patri­ar­chalem Dom­i­nanzver­hal­ten, vollzogen. 

Zweit­ens ist eine aktive Bünd­nis­ar­beit notwendig und lohnenswert. Dabei hat sich
als eine wichtige Erfahrung gezeigt, dass antifaschis­tis­che Grup­pen, wenn sie an
lokalen Bünd­nis­sen gegen rechts teil­nehmen, ihre eigen­ständi­ge Posi­tion und
Strate­giebil­dung nicht aufgeben und an ein Bünd­nis delegieren sollten.
Ander­er­seits beste­ht in Bünd­nis­pro­jek­ten die Chance der Auseinan­der­set­zung mit
anderen Argu­menten und Strate­gien. Den­noch dienen manche Bünd­nisse den
Stadtver­wal­tun­gen und Parteien als Alibiveranstaltungen. 

Drit­tens kön­nen über die lokalen Bünd­nisse gegen rechts die Stadtver­wal­tung, die
Parteien und die Polizei gedrängt wer­den, das Prob­lem Recht­sex­trem­is­mus nicht
weit­er zu negieren oder zu ver­harm­losen. Dazu ist es nötig, die relativierenden
und negieren­den Diskurse über Recht­sex­trem­is­mus zu kritisieren.
Recht­sex­trem­istis­che und ras­sis­tis­che Angriffe als Rand­prob­lematik zu
disku­tieren — beispiel­sweise in Kon­tex­ten wie rechter oder link­er Extremismus,
Jugendge­walt, Rand­grup­pen, Einzeltäter, Täter als Modernisierungsverlierer -,
behin­dert eine wirk­liche Auseinan­der­set­zung mit gesellschaftlichen Ursachen und
damit ein inhaltlich­es Begreifen. 

Viertens kön­nen Entsol­i­darisierung­sprozesse mit den Tätern und ihrem Umfeld
gefördert wer­den, in dem den Opfern Unter­stützung zukommt und Bünd­nisse gegen
ihre Aus­gren­zung gefes­tigt wer­den. Nötig ist nicht Ver­ständ­nis für die Täter,
son­dern ein Entzug jeglichen Respek­ts. Sie müssen durch soziale Nachteile für
ihr Leben erfahren, dass ras­sis­tis­che Gewalt keinen Platz in ein­er Gesellschaft
mit demokratis­chem Anspruch haben kann. 


(Infori­ot) Der hier doku­men­tierte Beitrag der Opfer­per­spek­tive stammt aus einem ger­ade erschiene­nen Dossier zur Kam­pagne “Bleiberecht für Opfer ras­sis­tis­ch­er Gewalt”.

Das Dossier ist online unter d‑a-s‑h.org zu lesen. Die weit­eren Texte enthal­ten unter anderem umfassende Argu­mente zur Stützung der Forderung nach Bleiberecht für Opfer ras­sis­tis­ch­er Gewalt, ein Inter­view mit den Tagesspiegel-Fachjour­nal­is­ten Frank Jansen sowie Berichte über die Arbeit ver­schieden­er Beratungseinrichtungen.

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