Von der Analyse der Tätergesellschaft
zur Förderung von Solidarisierungsprozessen mit den Betroffenen
von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Opferperspektive e.V.
Wir, die Autorinnen und Autoren dieses Artikels, sind ein vierköpfiges Team mit
dem Namen “Opferperspektive”, inzwischen arbeiten sechs Menschen bei dem Verein.
Unsere Beratungsstelle in Potsdam arbeitet noch mit vier weiteren
(Jugend)Projekten in Brandenburg zusammen, die in den jeweiligen Regionen Opfern
von rechtsextremer Gewalt betreuen. Wir beschäftigen uns seit Mitte 1998 im
Bundesland Brandenburg mit der Organisation von Hilfe und Unterstützung für
Menschen, die Opfer von rechtsextrem oder rassistisch motivierter Gewalt
geworden sind. Ausgangspunkt dieser Arbeit war die Motivation, den zum Alltag
gewordenen Zustand einer permanenten Bedrohung und Ausgrenzung bestimmter
Bevölkerungsgruppen nicht hinnehmen zu wollen.
Fast jede Woche werden Menschen aus rechtsextremistischen Motiven, aus Hass
gegen alles vermeintlich “Undeutsche” angegriffen. Beleidigungen und Drohungen
gehören zur Tagesordnung, Angriffe sind nicht selten. Sie sind insbesondere
gegen Menschen aus anderen Herkunftsländern, aber auch gegen Behinderte,
Obdachlose oder alternative Jugendliche gerichtet. In Politik, Sozialarbeit und
Medien wird das Handeln der rechtsextremistischen Täter überwiegend mit ihren
schlechten Berufsperspektiven, fehlenden Jugendeinrichtungen und Versäumnissen
im Elternhaus erklärt und ein Handlungsbedarf in diesen Bereichen verortet.
Demgegenüber geraten die Opfer der Taten und dringliche Veränderungen ihrer
Lebensumstände allzu häufig aus dem Blickfeld.
Die Arbeit des Projektes Opferperspektive hat das Ziel, den Betroffenen zu
helfen, sich nicht in einer passiven Opferrolle einzurichten, sondern aktiv zu
werden und gemeinsam Perspektiven zu entwickeln. Dazu gehört, über die
Vermittlung der Lebensrealität potentiell Betroffener Solidarisierungsprozesse
im sozialen Umfeld auszulösen oder zu fördern. Ziel ist dabei nicht nur, die
Anteilnahme am Schicksal Einzelner zu ermöglichen. Es geht auch darum, die mit
Ausgrenzung von Menschen verbundene Gefahr für eine demokratische
Zivilgesellschaft zu erkennen. Eine Parteinahme für die von rechter Gewalt
Betroffenen und die gleichzeitige Entwicklung von Initiativen, die sich gegen
Ausgrenzungsbestrebungen richten, bieten Handlungsalternativen anstelle von
Ohnmacht und Angst. Bündnisse gegen Ausgrenzung zu schaffen, vermindert den
Einfluss rechter Ideologie, entzieht rechter Gewalt die vermeintliche Zustimmung
in der Öffentlichkeit und schwächt rechte Machtpositionen.
Der gesellschaftliche Kontext rassistischer Angriffe
Im Jahr 1998 zählte die brandenburgische Polizei 100 rassistische und
rechtsextreme Gewalttaten. Die Dunkelziffer ist hoch, da viele Betroffene keine
Anzeige erstatten, oder die Polizei diese schlichtweg nicht aufnimmt. Die Täter
sind meist männliche Jugendliche, die rechtsextremen Cliquen angehören; solche
Angriffe werden aber erst in einem gesellschaftlichen Klima, das von Rassismus
und völkischem Nationalismus beeinflusst ist, möglich. Menschen, die dem
typischen Querschnitt der Bevölkerung Brandenburgs entsprechen, verweigern den
Angegriffenen Hilfe oder beteiligen sich selbst an rassistischen Pöbeleien. Es
ist die “Mitte der Gesellschaft”, aus der der Rassismus kommt. Umfragen zufolge
ist über die Hälfte der Bevölkerung der Meinung, Ausländer profitierten vom
sozialen System und würden den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen. Kein
Wunder, dass sich die rechtsextremen Gewalttäter wie Vollstrecker des
Volksempfindens fühlen.
Ein rechtsextrem oder rassistisch motivierter Angriff betrifft nicht nur das
individuelle Opfer. Getroffen wird ein Einzelner, gemeint sind alle. Alle, die
zu den Feindbildern der Rechtsextremisten passen: Migranten, alternative und
linke Jugendliche (im Nazi-Jargon “Zecken”), Behinderte, Obdachlose, Schwule und
Lesben. Angst macht sich breit, viele sind eingeschüchtert. Gefährliche Orte
werden gemieden. Das kann ein Bahnhof nach Anbruch der Dunkelheit oder ein Platz
vor dem Einkaufszentrum sein. Das Land wird durchzogen von “No-Go Areas”. Viele
können sich nicht mehr frei bewegen, manche, besonders Flüchtlinge in Heimen,
leben wie im Gefängnis, andere, etwa Migranten in Berlin, fahren nicht mehr nach
Brandenburg.
Gewalt und rechte Hegemonie
Organisierten Rechtsextremisten kommt diese Entwicklung gelegen. Was aus der
Sicht der Opfer “No-Go Areas” sind, nennen sie “national befreite Zonen”. Die
Rechten, nicht mehr staatliche Institutionen, üben damit die soziale Kontrolle
aus. Sie haben die Hegemonie vor Ort, sei es kulturell, indem sie Vorreiter
eines völkisch-nationalistischen Lebensstils sind, sei es repressiv, indem sie
Abweichler von diesem Lebensstil verfolgen und einschüchtern. Der Kampf um die
Hegemonie wird in fast jeder Schule, jedem Jugendclub, in vielen Dörfern und
Stadtteilen geführt, und die Rechtsextremisten erobern sich immer mehr Terrain.
An vielen Orten in Brandenburg ist der rechtsextreme Mainstream alternativlos.
Rechts zu sein, ist normal. Wer keinen Ärger will, passt sich an. Gewalt spielt
bei der Durchsetzung und Aufrechterhaltung rechter Hegemonie eine zentrale
Rolle. Durch Drohung mit Gewalt und gezielten Angriffen wird versucht,
Jugendliche, die sich dem rechten Kurs nicht anpassen, zu verdrängen.
Es gibt viele Beispiele für diesen Prozess: Ein “neutraler” Jugendclub, in dem
monatliche “Independent”-Diskos stattfinden, wird regelmäßig von Gruppen rechter
Skinheads besucht, die das Publikum bedrohen und regelrechte Angriffe auf den
Jugendclub organisieren. Der Jugendclubleiter will der Gewalt begegnen, indem er
versucht, die rechten Skinheads in die Klubarbeit einzubinden. Ihre Präsenz
verändert die Situation in der Einrichtung. Die Umgangsformen der Rechten, ihre
Sprüche und die Stärke der Gruppe führen dazu, dass anders denkende Jugendliche
vor die Wahl gestellt sind, sich anzupassen oder weg zu bleiben. Mangels
Interesse bei den verbliebenen Besuchern werden die Independent-Diskos
eingestellt. Öffentliche Kritik der angegriffenen Jugendlichen am
Jugendclubleiter, der innerhalb der Stadt sehr angesehen ist, wird nicht
zugelassen. Leserbriefe werden nicht abgedruckt. Die Jugendlichen fühlen sich
von der Stadt allein gelassen und ziehen sich schließlich zurück. Ein bisher
“neutraler” Jugendclub wird zunehmend rechts dominiert.
Die Reaktion der Öffentlichkeit und ihre Folgen
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Anhand dieses Beispiels wird noch ein anderer Aspekt deutlich: Der
Verdrängungsprozess spielt sich quasi unter den Augen der Öffentlichkeit ab,
wird aber von dieser nicht wahrgenommen. Die Versuche der angegriffenen
Jugendlichen, sich Gehör zu verschaffen, scheitern. Niemand scheint sich für die
in Bedrängnis geratenen Jugendlichen einzusetzen. Sie werden als links(extrem)
abgestempelt. Die Bedrohung der einen und das Wegsehen und Ignorieren der
anderen bewirken letztendlich die erfolgreiche Verdrängung von Jugendlichen, die
demokratische, emanzipatorische Ansätze vertreten. Zurück bleiben Jugendliche,
die das Gefühl haben, sich besser gar nicht zu positionieren — und rechts
orientierte Jugendliche.
Die Auswirkungen eines Angriffs auf das soziale Umfeld des Opfers
Vor dem Hintergrund öffentlicher Ignoranz wirkt ein rechtsextrem motivierter
Angriff über die konkrete Verletzung und Bedrohung Einzelner hinaus auf das
anvisierte Kollektiv. Die Betroffenen verstehen sehr genau, dass der Angriff,
vo
n seltenen Racheaktionen abgesehen, nicht ihnen persönlich galt. Die Einzelnen
werden stellvertretend für alle angegriffen, die sich dem rechten Konsens nicht
beugen wollen. Das Gefühl der Bedrohung verbreitet sich schnell.
Das Fehlen von Solidarisierung mit den Opfern
Gewalt als Mittel zur Durchsetzung und Aufrechterhaltung rechter Hegemonie hat
nur Erfolg, weil so viele passiv bleiben und weg sehen. Nichtangepasste
Jugendliche, Ausländer, Aussiedler etc. werden nicht nur zusammengeschlagen,
sondern sowohl während der Tat als auch danach allein gelassen. Bei einem
Angriff auf einen Flüchtling wird gefragt, warum “solche” nachts auf der Straße
sind. Ein Lehrer, der sich gegen rechts engagiert und dafür von rechten
Skinheads krankenhausreif geprügelt wird, wird weder von seinen Kollegen noch
von seinen Vorgesetzten besucht. Als er schon am Boden liegt, wird ihm gesagt,
er solle sich bei der Antifa raushalten. Die Gewalttat beinhaltet die
Aufforderung, sich im Sinne der Täter zu verhalten. Allen soll klar gemacht
werden, dass sie gegen die Täter keine Chance haben, weil sie von niemandem
unterstützt werden. Mit der fehlenden Solidarität bestätigt sich diese Aussicht.
Das Ausbleiben von Solidarisierungsprozessen mit den Angegriffenen hat auch eine
Wirkung auf die Täter. Es bestätigt ihre Vorstellung von der heimlichen
Zustimmung der Bevölkerung für ihre Taten. Die Gleichgültigkeit und der Mangel
an Solidarität mit den Angegriffenen hat noch andere Folgen: Es wird der
Eindruck erweckt, dass die Gesellschaft Angst vor den rechten Schlägern hat. Es
scheint, als ob sich niemand mit ihnen anlegen mag, als ob sie unangreifbar
wären. Der “Erfolg” verschafft ihnen Zulauf. Wer möchte nicht auf Seiten der
Gewinner stehen? Macht ist attraktiv. Auf der Straße wird ihnen mit Respekt
begegnet. Mit gesellschaftlicher Ächtung müssen sie nicht rechnen.
Wie gehen die Angegriffenen mit diesen Erlebnissen um?
Für die Angegriffenen ist das Nichtverhalten “unbeteiligter” Mitmenschen
während, aber auch nach der Tat die zweite Verletzung. Auch sie empfinden die
Gleichgültigkeit als Zustimmung zu den rechtsextremistischen Tätern. Ausländer
und andersdenkende Jugendliche fühlen sich noch mehr ausgegrenzt und in ihrem
Misstrauen gegen die deutsche Gesellschaft bestätigt. Ein Angriff führt bei dem
Opfer zu Verunsicherung. Anhaltende Gefühle eigener Verletzlichkeit und eigenen
Beschädigtseins sind die Folge. Abhängig von der individuellen psychischen
Konstitution und der sozialen Eingebundenheit, dauert die psychische
Verarbeitung der Verletzungen meist länger als die relativ schnell abheilenden
körperlichen Schäden. Für angegriffene Flüchtlinge, die der anhaltenden
Bedrohung aufgrund gesetzlicher Einschränkungen nicht ausweichen können und die
sich in einer ihnen feindlich gesinnten Umgebung befinden, können schon einfache
symbolische Gesten viel bedeuten: eine spontane Anteilnahme, eine öffentliche
Solidaritätsbezeugungen, eine Blumensendung ins Krankenhaus, all das kann ihnen
helfen, ihr Selbstvertrauen und ihre Selbstsicherheit wiederzugewinnen. Eine
demokratisch orientierte Jugendszene wird gefördert, indem die Angebote in den
Jugendeinrichtungen auf sie ausgerichtet sind. So kann ihnen deutlich gemacht
werden, dass auch sie Teil dieser Gesellschaft sein sollen. Angegriffenen wie
auch rechtsextremistischen Schlägern wird klar gezeigt werden, dass diese Taten
nicht geduldet werden und erst recht nicht erwünscht sind. Wenn jedoch
Ausgrenzung gesellschaftliche Realität bleibt, wird der Aufbau einer
demokratischen Zivilgesellschaft zwangsläufig scheitern.
Lernprozesse bei den Beraterinnen und Beratern
Ein Eingreifen in Form von konkreter Hilfe für Opfern rechtsextremer Gewalt ist
für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Opferberatungsstellen eine
Möglichkeit, ihr antirassistisches und antifaschistisches Engagement praktisch
werden zu lassen. Es eröffnet die Möglichkeit, das Problem Rechtsextremismus
nicht nur von der rational-analytischen Seite zu betrachten, sondern durch die
Auseinandersetzung mit den Folgen rechtsextremer Gewalt Empathie mit den
Betroffenen zu schaffen und eine stärkere emotionale Verwurzelung
antifaschistischer Überzeugungen zu bewirken. Oft sind es die Menschen, die
selbst aufgrund ihres gesellschaftlichen Engagements oder ihrer nicht
angepassten kulturellen Orientierung von rechter Gewalt bedroht sind, die vor
Ort für eine weiterführende Solidarität mit Opfern rechtsextremer Gewalt
gewonnen werden können. Sich mit anderen Opfern rechtsextremistischer Gewalt
auszutauschen hilft, den Zusammenhang der verschiedenen Feindbilder in der
rechtsextremen Ideologie zu erkennen. Gemeinsam ist einem Angriff auf Ausländer
oder auf so genannte “Zecken”, dass das Individuum in der Gewalttat nicht mehr
zu erkennen ist. Jede Gewalttat gegen Einzelne ist objektiv gesehen Teil einer
rechten Strategie der Ausgrenzung und Vertreibung missliebiger Personenkreise.
In der Auseinandersetzung mit der Situation angegriffener Flüchtlinge wird
darüber hinaus der Gesamtzusammenhang zwischen rassistischer Gewalt,
rassistischen Einstellungen und institutionalisierter Diskriminierung deutlich.
Wenn man sich das bewusst macht, bietet das konkrete Engagement für die
Angegriffenen auch die Chance, den gesellschaftlichen Diskurs von der isolierten
Betrachtung der (rechter) Gewalt, wie sie in der öffentlichen Diskussion
vorherrscht, wegzuführen und den Rechtsextremismus als gesamtgesellschaftliches
Problem zu sehen.
Hintergrund all dieser strategischen Überlegungen ist auch die Frage, wie das
Engagement gegen rechts motiviert ist und wie es sich umsetzen und
aufrechterhalten lässt. Für viele antifaschistische Jugendliche war die eigene
Konfrontation mit rechtsextremistischer Gewalt Ausgangspunkt ihres politischen
Engagements gegen rechts. Fällt diese direkte Konfrontation weg bzw. sind nicht
sie selbst oder der eigene Jugendclub betroffen, sinkt häufig auch ihre
Motivation, sich weitergehend kontinuierlich zu engagieren. Die konkrete
Unterstützung von Opfern rassistischer und rechtsextremistischer Gewalt kann das
politische Engagement der Jugendlichen erweitern und darüber hinaus Brücken zu
anderen Lebenswelten schlagen. In der praktischen Arbeit können neue
Bündnispartner gefunden und eine verbreitete Selbst- und Fremdisolation
überwunden werden.
Für eine demokratisch orientierte Jugendszene Noch ein weiterer Aspekt der Unterstützung von Opfern rechtsextremer Gewalt als
antifaschistische Strategie soll hier hervorgehoben werden. Es geht um die
Stabilisierung einer demokratisch orientierten Jugendszene, die der
rechtsextremistisch orientierten Jugendkultur eine emanzipatorische Alternative
entgegensetzt. Eine alternative Jugendkultur zum rechten Mainstream bedeutet,
dass die Jugendlichen der verschiedenen Szenen immun gegen die rechte
Menschenverachtung, den faschistischen Kult der Stärke, gegen die kollektiven
Mythen der Rechten werden. Sie schaffen sich selbst eine Alternative, eine
gelebte Gegenpositionen gegen rechts. Selbstbestimmtes Engagement der
Jugendlichen, Eigenverantwortung und Selbstorganisierung sind hierbei wichtige
Möglichkeiten, demokratische Umgangsweisen zu lernen und umzusetzen.
Antifaschismus wird so in ein gesellschaftliches emanzipatives
Demokratieverständnis eingebettet. Denn dieser sollte nicht nur Gegenpol gegen
rechts, sondern positiver Ausdruck demokratischen zivilgesellschaftlichen
Selbstverständnisses sein.
(siehe auch D‑A-S‑H Dossier #3 “Jugendarbeit und
Rechtsextremismus” — Anm. d. Red.)
Elemente einer demokratischen Strategie Wir vers
tehen die Unterstützung von Opfern rechtsextremer Gewalt als einen Teil
einer möglichen antifaschistischen Strategie gegen Rechtsextremismus und möchten
anstelle eines Fazits die in unseren Augen zentralen Elemente umreißen:
Erstens sollte eine gesellschaftliche Solidarisierung mit den Opfern
rechtsextremer Gewalt mobilisiert werden, die zu einem großen Teil aus einer
praktischen Unterstützung für die Opfer besteht. Die Solidarisierung hat zum
Ziel, die Folgen der Angriffe für die Opfer etwas erträglicher zu machen und
dabei vor allem der Einschüchterung entgegenzuwirken. Außerdem kann sich über
die Unterstützung von Opfern ein sozialer Zusammenhang bilden, der vor weiteren
Angriffen schützt und für gegenseitige Unterstützung sorgt. Die Unterstützer
werden mit der Perspektive der Opfer konfrontiert. Die Angriffe werden in
Zusammenhänge alltäglicher, institutioneller wie nichtinstitutioneller
Diskriminierung und Ausgrenzung gestellt — und so kann die Gewalt gerade in
ihrem gesellschaftlichen Kontext begriffen werden. Lernprozesse werden mit dem
Erkennen des Zusammenhangs von Gewalt mit bestimmten ideologischen Mustern wie
z.B. völkischem Nationalismus, Sozialdarwinismus, Autoritarismus und
patriarchalem Dominanzverhalten, vollzogen.
Zweitens ist eine aktive Bündnisarbeit notwendig und lohnenswert. Dabei hat sich
als eine wichtige Erfahrung gezeigt, dass antifaschistische Gruppen, wenn sie an
lokalen Bündnissen gegen rechts teilnehmen, ihre eigenständige Position und
Strategiebildung nicht aufgeben und an ein Bündnis delegieren sollten.
Andererseits besteht in Bündnisprojekten die Chance der Auseinandersetzung mit
anderen Argumenten und Strategien. Dennoch dienen manche Bündnisse den
Stadtverwaltungen und Parteien als Alibiveranstaltungen.
Drittens können über die lokalen Bündnisse gegen rechts die Stadtverwaltung, die
Parteien und die Polizei gedrängt werden, das Problem Rechtsextremismus nicht
weiter zu negieren oder zu verharmlosen. Dazu ist es nötig, die relativierenden
und negierenden Diskurse über Rechtsextremismus zu kritisieren.
Rechtsextremistische und rassistische Angriffe als Randproblematik zu
diskutieren — beispielsweise in Kontexten wie rechter oder linker Extremismus,
Jugendgewalt, Randgruppen, Einzeltäter, Täter als Modernisierungsverlierer -,
behindert eine wirkliche Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Ursachen und
damit ein inhaltliches Begreifen.
Viertens können Entsolidarisierungsprozesse mit den Tätern und ihrem Umfeld
gefördert werden, in dem den Opfern Unterstützung zukommt und Bündnisse gegen
ihre Ausgrenzung gefestigt werden. Nötig ist nicht Verständnis für die Täter,
sondern ein Entzug jeglichen Respekts. Sie müssen durch soziale Nachteile für
ihr Leben erfahren, dass rassistische Gewalt keinen Platz in einer Gesellschaft
mit demokratischem Anspruch haben kann.
(Inforiot) Der hier dokumentierte Beitrag der Opferperspektive stammt aus einem gerade erschienenen Dossier zur Kampagne “Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt”.
Das Dossier ist online unter d‑a-s‑h.org zu lesen. Die weiteren Texte enthalten unter anderem umfassende Argumente zur Stützung der Forderung nach Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt, ein Interview mit den Tagesspiegel-Fachjournalisten Frank Jansen sowie Berichte über die Arbeit verschiedener Beratungseinrichtungen.