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Ein rechtes Geflecht

VELTEN/HENNIGSDORF (23.08.2007) Drei Vel­tener ste­hen am Dien­stag vor dem Amts­gericht Oranien­burg. Vor fast genau einem Jahr haben sie einen türkischen Imbiss-Mitar­beit­er schw­er ver­let­zt. Doch die Anklage lautet nur auf gefährliche Körperverletzung.
Nach Durch­suchun­gen in sieben Woh­nun­gen in Krem­men, Vel­ten und Oranien­burg, die der Gruppe “Sturm Oranien­burg” zuge­ord­net wor­den waren, präsen­tierte die Polizei im Dezem­ber 2006 Fah­nen, Schlagstöcke und Wurfmesser. 

Der damals 25-Jährige will Feier­abend machen und das Lokal am Hen­nigs­dor­fer Post­platz schließen. Plöt­zlich ver­lan­gen drei junge Män­ner noch Getränke, doch er ver­weigert den Auss­chank. Die Män­ner ziehen von dan­nen. Das hätte es sein kön­nen, keinen Ärg­er mehr, endlich den Tag beschließen. Doch für den Mann vom Dön­er-Imbiss sollte es anders kommen. 

Die drei Män­ner — der älteste Jahrgang 1974, der jüng­ste Jahrgang 1988 — kehren zurück. Laut Polizeibericht von damals wer­fen sie mit einem Stuhl die Imbis­stür ein. Schnell schaut der erschrock­ene Angestellte nach und kann einen Täter noch ergreifen. Aber der wehrt sich und schlägt ihm eine Bier­flasche an den Kopf. Die let­zten Gäste des Lokals eilen ihm zu Hil­fe und wer­den von den drei Angeklagten eben­falls mit Bier­flaschen attackiert. 

Für den Imbiss-Angestell­ten endet die Nacht im Kranken­haus. Tage­lang ist der Schw­erver­let­zte nicht vernehmungs­fähig — wegen ein­er Frak­tur an der Schläfe. Zum Ver­dacht des ver­sucht­en Totschlags ermit­telt dann die Polizei, einen recht­sex­trem­istis­chen Hin­ter­grund schließen die Ermit­tler schnell aus. Dabei ist min­destens ein­er der Angeklagten ein­schlägig bekannt. 

Dieser Fall wirft ein Schlaglicht auf recht­sex­treme Struk­turen im Süden Ober­havels; auch auf Verbindun­gen zu anderen brisan­ten Fällen, etwa den gescheit­erten Anschlag auf die Kreis­geschäftsstelle der PDS in Oranien­burg im Juni 2007 oder die Ende 2006 von der Polizei zer­schla­gene “Inter­es­sen­ge­mein­schaft Sturm Oranienburg”.

Chris­t­ian W. ist eine zen­trale Fig­ur in diesem Geflecht. Bei dem 19-jähri­gen Vel­tener kommt noch der Ver­stoß gegen das Ver­samm­lungs­ge­setz hinzu, für den er sich am Dien­stag eben­falls ver­ant­worten muss. 

Nach Recherchen dieser Zeitung hat­ten ihn Polizis­ten am 21. Okto­ber 2006 in Berlin auf dem Weg zu einem Protestzug der NPD aufge­grif­f­en. In szene­typ­is­ch­er Mon­tur mit Bomber­jacke, Springer­stiefeln und Abwehrspray war Chris­t­ian W. offen­bar auf dem Weg zur Jus­tizvol­lzugsanstalt in Berlin-Tegel. 

Dort demon­stri­erte die recht­sex­treme Partei für die Freilas­sung des wegen Volksver­het­zung und Bil­dung ein­er krim­inellen Vere­ini­gung verurteil­ten Sängers der ver­bote­nen Recht­srock­band “Landser”, Michael Regen­er, Spitz­name “Lunikoff”.

Die Spur der Regen­er-Anhänger wiederum führt nach Hen­nigs­dorf. Es ist ein weit­eres Puz­zleteil, das sich ins Bild von den recht­sradikalen Struk­turen in Ober­hav­el fügt. 

In der Berlin­er Straße 34 befind­et sich der rechte Szeneladen “On the Streets” von Alexan­der Gast, der Sänger und Gitar­rist in der Berlin­er Rechts-Rock­band “Spreegeschwad­er” ist. Über ihn läuft auch der Ver­trieb von Musik und Fanar­tikeln der Band “Die Lunikoff Verschwörung”. 

Regen­er hat­te diese Gruppe nach einem Ende 2003 ergan­genen Urteil gegen ihn gegrün­det. Er war bis zum Antritt sein­er restlichen Haft­strafe im Jahr 2005 zwis­chen­zeitlich auf freiem Fuß und soll Mit­glieder von “Spreegeschwad­er” in seine neue Band einge­bun­den haben. Man ken­nt sich in der Szene. 2004 brachte “Lunikoff” ein erstes Album her­aus. Vor seinem Haft antritt im April 2005 soll “Lunikoff” bei einem NPD- Lan­desparteitag im thüringis­chen Pöß­neck noch ein Konz­ert gegeben haben. 

Zahlre­iche Alben dieser Bands lan­de­ten wegen Jugendge­fährdung auf dem Index. In den Tex­ten geht es um Nation­al­stolz, Ras­sis­mus und Ver­schwörungs­the­o­rien. Bezüge zur Ide­olo­gie der Nation­al­sozial­is­ten lassen sich auch find­en. Lieder von “Spreegeschwad­er” gelangten auch auf eine Wahlkampf-CD der NPD

Neon­azis bietet der Laden “On the Streets” szene­typ­is­che Devo­tion­alien. Im Dezem­ber 2004 durch­suchte das Lan­deskrim­i­nalamt Berlin das Geschäft — wegen des Ver­triebs ver­boten­er Neon­azi-CDs. Die Beamten beschlagnahmten drei Umzugskar­tons voller CDs und Klei­dung. Sie ermit­tel­ten wegen des Straftatbe­stands der Volksver­het­zung im Umfeld von “Spreegeschwad­er”.

Doch das ist nur ein Teil der Geschichte von Chris­t­ian W. Neben dem anste­hen­den Prozess läuft ein weit­eres Anklagev­er­fahren gegen ihn. Der selb­st­ständi­ge Web­de­sign­er war ein­er der Köpfe bei “Sturm Oranienburg”. 

Die Staat­san­waltschaft Neu­rup­pin wirft ihm Ver­stoß gegen das Uni­for­mver­bot vor. Geld­strafen oder Frei­heitsstrafen von bis zu zwei Jahren kann es dafür geben. Mit dieser Regelung im Ver­samm­lungsrecht wird das Tra­gen von Uni­for­men oder uni­for­mähn­lich­er Klei­dung bei Demon­stra­tio­nen ver­boten. Denn dabei geht es nicht nur um den Aus­druck ein­er gemein­samen Gesin­nung, son­dern zugle­ich um die mil­i­tante Ein­schüchterung ander­er. Diese Lehre hat der Geset­zge­ber aus der deutschen Geschichte gezogen. 

Am 6. Dezem­ber 2006 hat die Polizei “Sturm Oranien­burg” zer­schla­gen. Sieben Woh­nun­gen in Oranien­burg, Vel­ten und Krem­men wur­den durch­sucht. Sieben Her­anwach­sende im Alter 18 bis 19 Jahren, darunter eine junge Frau, standen im Visi­er der Ermit­tler. Sie hat­ten sich als so genan­nter “Sturm Oranien­burg” zusam­menge­fun­den. Einige waren polizeilich wegen Staatss­chutz- und Gewalt­de­lik­ten bekannt. 

Bei der Durch­suchung stell­ten die Beamten Teleskop­schlagstöcke, Base­ballschläger, Wurfmess­er, eine Arm­brust sowie mehrere Fah­nen sich­er. Aufmerk­sam gewor­den waren sie auf die Gruppe, weil diese in der Öffentlichkeit in ein­heitlich­er Bek­lei­dung auf­trat. Auf T‑Shirts, Jack­en und Base­caps waren laut Polizei in alt­deutsch­er Schrift die Worte “Sturm Oranien­burg” und ein Adler abge­bildet. “Dies lässt einen ein­deuti­gen Rückschluss auf eine recht­sex­trem­istis­che Gesin­nung zu”, hieß es in ein­er Pressemitteilung. 

Doch von den sieben Verdächti­gen dro­ht nur zweien eine Anklage zum Uni­for­mver­bot. Den übri­gen fünf kann die Staat­san­waltschaft nicht zweifels­frei nach­weisen, dass sie ihre T‑Shirts offen zur Schau getra­gen haben. Das zumin­d­est wirft auch ein schlecht­es Licht auf die Arbeit der Polizei. Bran­den­burgs Innen­min­is­ter Jörg Schön­bohm hat­te die Aktion eiligst als ein “erneutes wichtiges Sig­nal Bran­den­burgs gegen den Recht­sex­trem­is­mus” gelobt. “Recht­sex­trem­is­ten wer­den auch in Zukun­ft in Bran­den­burg keinen Raum zur Organ­i­sa­tion erhal­ten”, sagte er. 

Zurück zu den zwei verbliebe­nen Ankla­gen im Fall von “Sturm Oranien­burg”: Chris­t­ian W. wurde schon erwäh­nt. Der zweite sitzt bere­its in Haft, es ist der Oranien­burg­er Patrick Sch. 

Ende Juli 2007 hat­te ihn das Amts­gericht Oranien­burg zu einem Jahr und acht Monat­en Haft ohne Bewährung verurteilt. Der 19-Jährige war an dem ver­sucht­en Bran­dan­schlag auf die PDS-Geschäft­stelle in der Kreis­stadt beteiligt — als Rädels­führer. Vier Mit­täter waren bere­its zwei Tage nach der Tat Anfang Juni in einem beschle­u­nigten Ver­fahren zu Bewährungsstrafen verurteilt wor­den. Bere­its im Feb­ru­ar 2007 war Sch. wegen Ver­wen­dens von Kennze­ichen ver­fas­sungswidriger Organ­i­sa­tio­nen und Wider­standes gegen Voll­streck­ungs­beamte verurteilt worden. 

Wann Chris­t­ian W. und Patrick Sch. wegen der Formierung von “Sturm Oranien­burg” angeklagt wer­den, ist nach Auskun­ft des Oranien­burg­er Amts­gericht­es offen. 

Der Vel­tener W. war auch ver­ant­wortlich für die inzwis­chen abgeschal­tete Inter­net­seite der Gruppe. Antifaschis­tis­che Ini­tia­tiv­en ver­bre­it­eten zwar, ein gewiss­er Johann Mey­er habe als Anführer die Auflö­sung des “Sturm Oranien­burg” verkün­det. Doch hin­ter diesem Namen ver­birgt sich nie
mand anderes als Chris­t­ian W., der die Seite angemeldet und gestal­tet hat. Ein­träge ins Gäste­buch offen­barten vielfältige Kon­tak­te zu Neon­azis und zur gewalt­bere­it­en Bik­er-Szene im gesamten Bundesgebiet. 

Auf der Start­seite im Inter­net hieß es: “Das Ziel unseres Daseins ist die Verbesserung der Leben­sum­stände in unserem Vater­land. Auf welche Art oder mit welchen Mit­teln dies geschieht, behal­ten wir uns natür­lich vor. Aber eins sei gesagt, die poli­tis­chen Aktiv­itäten gehen voran.” Zudem ste­he dem Land­kreis Ober­hav­el “nun ein umfan­gre­ich­er ‚Brauner Bund’ zur Seite, welch­er nun das übern­immt, was der Staat nicht schafft — für Recht und Ord­nung sorgen”. 

Was das bedeuten kann, musste der Imbiss-Mitar­beit­er vom Hen­nigs­dor­fer Post­platz schmerzhaft erfahren.

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