Im Bus der Linie 4 wurde er von einem 23-jährigen Cottbuser angegriffen: In
der RUNDSCHAU sprechen Kamdisch Ahmadi, 18 Jahre alt, und seine afghanische
Familie über die nächtliche Attacke und über ihr Leben in Cottbus.
Im Wohnzimmer steht ein schlichter Esstisch, vom Balkon geht der Blick
hinaus auf die Sachsendorfer Wiesen, Kamdisch Ahmadi teilt sich ein Zimmer
mit seinem Bruder. Eben hat der 18-Jährige einen Freund beim Kauf einer
Digitalkamera begleitet, und alles sähe nach klassischer deutscher Familie
aus, wären da nicht die indischen Bollywood-Videos im Schrank und ein
Koran-Zitat an der Wand. Leicht blau schimmert die Haut unter dem rechten
Auge des Jungen. Spuren der vergangenen Samstagnacht (die RUNDSCHAU
berichtete).
Er erinnert sich an die Heimfahrt mit dem Nachtbus der Linie 4. Aus dem Klub
«CB» sei er gekommen, mit drei Freunden und fünf Mädchen, und in der Nähe
der Zuschka seien vier junge Deutsche zugestiegen. Einer, mit kurzen Haaren,
Bomberjacke und Schuhen der Marke «New Balance» , habe ihn verwundert
angeschaut: «Was ist das denn« Wo kommt ihr denn her»» Kamdisch Ahmadi habe
ihn böse angesehen. Reaktion des Deutschen: «Was guckst du so« Deine Mutter
arbeitet wohl auf einem Fischkutter.» — «Deine auch.» Nun habe sich der
Deutsche erst recht provoziert gefühlt: «Ihr Türken, was wollt ihr hier» In
eurer Heimat dürft ihr nicht mit Frauen ins Bett gehen, bevor ihr heiratet,
und hier benehmt ihr euch, wie ihr wollt«» Darauf habe Kamdisch Ahmadi
zuerst nichts entgegnet — bis zur nächsten Provokation. «Habt ihr deutsche
Schlampen aufgerissen» Wir geben euch noch zwei Jahre, bis wir euch
steinigen.» Die Antwort des Afghanen: «Ihr habt doch keine Ahnung.» Und dann
sei es passiert: «Ich höre Gebrüll, drehe mich nach rechts und sehe Sterne.
Blut läuft aus meiner Nase, ich schlage zurück.»
Dem Vater, Nasir Ahmadi, 50 Jahre alt, missfällt es, dass sich sein Sohn
gewehrt hat. Er sitzt auf dem Sofa im Wohnzimmer und schüttelt den Kopf.
«Ich sage immer: Fass keine fremden Leute an, gehe nicht diese Straße
entlang — ich will nicht, dass meine Kinder Ärger kriegen.» Kamdisch, der
Sohn, fällt ihm ins Wort: «Es tut mehr weh, wenn ich nichts mache, als wenn
ich mich wehre. Ich will so nicht leben.»
Ende des Jahres 1995 kam die Familie nach Deutschland. Vater, Mutter, fünf
Kinder. Der Cottbuser Ausländerbeauftragte Michael Wegener sagt: «Sie hatten
in der Heimat einen hervorragenden sozialen Status. Den hätten sie ohne Not
nicht aufgegeben.» So schildert Nasir Ahmadi, wie er für die afghanische
Regierung als Flugzeugingenieur arbeitete und so viel Geld verdiente, dass
er sich ein eigenes Haus leisten konnte, ein eigenes Auto. «Einmal im Jahr
durften wir mit der Familie auf Firmenkosten in ein fremdes Land fliegen,
zum Beispiel nach Indien.» Dann kam der Regierungswechsel: Nasir Ahmadi sei
aus politischen Gründen im Gefängnis gelandet, später habe er über Pakistan
fliehen können, wo seine Familie bereits auf ihn wartete.
Und nun hoffen sie seit mehreren Jahren auf die Bestätigung ihres
Asylantrages. Die 17-jährige Mudjda lernt wie ihr Bruder am
Spreeland-Gymnasium, «da habe ich tolle Freunde» . Sie spricht fast
akzentfrei deutsch, «unser Vater will, dass wir gut sind» , nach dem
Abschluss will sie studieren, und noch heute fürchtet sie sich, wenn nachts
ein Gewitter aufzieht. «Das erinnert mich an die Bombeneinschläge in unserer
Heimat.» Sie sagt, sie fürchte sich davor, vielleicht eines Tages
zurückgehen zu müssen. «Frauen gelten in Afghanistan nicht als Menschen,
sondern als Eigentum. Sie dürfen nicht einmal zur Schule gehen. Dabei finde
ich, Bildung gehört zum Leben.» Bei ihrem aktuellen Status darf sie aber
weder studieren noch eine Ausbildung beginnen. Auch ihr Vater und die
Mutter, eine Lehrerin, sind nach eigenen Worten wider Willen arbeitslos.
«Ich darf einfach nicht» , sagt Nasir Ahmadi, «dabei hat mir ein Freund
schon eine Stelle als Hausmeister in Berlin angeboten.»
Bis vor einem Jahr lebte die Familie in Vetschau. Mudjda Ahmadi berichtet,
ihre Schwester sei dort auf dem Weg zum Handballtraining von Neonazis
geohrfeigt worden, mehrere Rechte hätten einen ihrer Brüder verprügelt: «Ich
hätte nicht gedacht, dass uns in Deutschland so etwas passiert. Eine kleine
Gruppe macht den Ruf des ganzen Landes kaputt.»
Erst einmal freut sich ihr Bruder Kamdisch über die
Torschützenkönig-Urkunde, die ihm in der Schule überreicht wurde. «Meine
Aggressionen lasse ich im Sport raus. Daran sollten sich manche Leute ein
Beispiel nehmen.»
Hintergrund Angriff im Bus
Die Ermittlungen zum Fall sind nach Angaben des Polizeipräsidiums noch nicht
abgeschlossen. Roland Kamenz von der Pressestelle: «Es stehen noch ein paar
Vernehmungen an.» Erst dann werde der Fall an die Cottbuser
Staatsanwaltschaft übergeben.