Kategorien
Uncategorized

Familie spielt in der Spaßgesellschaft keine Rolle”

(Berlin­er Zeitung, 14. August 2003) Jörg Schön­bohm hat mit seinen 65 Jahren das Alter erre­icht, in dem andere
Men­schen in Rente gehen. Doch Innen­min­is­ter Schön­bohm, zugle­ich märkischer
CDU-Lan­deschef, denkt nicht ans Aufhören. 2004 zieht er noch ein­m­mal in den
Land­tagswahlkampf. Nun mis­cht sich der Ex-Gen­er­al auch in die Debat­te um die
Gen­er­a­tio­nen­gerechtigkeit ein. 

Bran­den­burg ist bald das Bun­des­land mit der durch­schnit­tlich ältesten
Bevölkerung in Deutsch­land. Bere­its 2015 wird jed­er vierte Brandenburger
über 65 Jahre alt sein. Kann da das Gemein­we­sen noch funktionieren?

Ich denke ja, aber das ver­langt Mut zu Verän­derun­gen. Mit der Überalterung
geht eine erhe­blich Abwan­derung der Bevölkerung in Teilen Brandenburgs
ein­her. Das ist das eigentliche Prob­lem, denn das hat Kon­se­quen­zen für die
Schul­ver­sorgung, für Kranken­häuser, für die Feuer­wehr und für die Sicherheit
der Bürg­er. Diese Entwick­lung wird forciert durch eine rot-grüne
Bun­de­spoli­tik, die dafür sorgt, dass sich die Schere zwis­chen Ost und West
seit Jahren wieder öffnet. 

Hört in den Berlin-fer­nen Regio­nen der Staat bald auf Staat zu sein, weil er
sich dort ein­fach nicht mehr flächen­deck­end organ­isieren kann?

Diese Gefahr sehe ich nicht. Der Staat wird seine Auf­gaben wie Sicherheit
und Schul­bil­dung aufrecht erhal­ten. Aber er muß seine Bürg­er zuweilen mehr
in die Ver­ant­wor­tung nehmen. 

Den­noch: Verteilungskämfe zwis­chen den Regio­nen des Lan­des, auch zwischen
Jung und Alt sind pro­gram­miert. Bil­dungsauf­gaben wer­den kün­ftig womöglich
gegen die zunehmenden Kosten für die Altersver­sorgung aufgerech­net. Der
Vor­sitzende der Jun­gen Union, Philipp Mißfelder, hat bere­its öffentlich
darüber nachgedacht, ob die Krankenkasse einem 85-Jähri­gen noch ein
kün­stlich­es Hüft­ge­lenk bezahlen soll…

Mißfelders Aus­sagen sind töricht und zynisch. Die Diskus­sion um die
Gen­er­a­tio­nen­gerechtigkeit ist über­fäl­lig, aber jet­zt wird sie emotional
über­lagert und dadurch nicht forciert, son­dern ver­hin­dert. Ältere Mitbürger
sagen zu Recht, wir waren Flüchtlinge und wir haben Deutsch­land wieder
aufge­baut, und jet­zt wollt Ihr uns noch nicht ein­mal einen würdigen
Lebens­abend genehmigen. 

Ihr alter Parteifre­und Kurt Biedenkopf ist da ander­er Mei­n­ung. Er hat den
Jung­poli­tik­er Mißfelder in einem Inter­view gelobt.

Klar ist: Das jet­zige Sozial­sys­tem ist an sein­er Leis­tungs­gren­ze. Doch es
ist ethisch nicht zu recht­fer­ti­gen, das Hüft­ge­lenk des 85jährigen gegen die
Zahn­be­hand­lung des 23jährigen aufzurech­nen. Es darf nicht sein, dass
Men­schen ab einem bes­timmten Alter keine medi­zinis­chen Leis­tun­gen mehr
bekom­men. Die Men­schen, die in der DDR gelebt haben, wis­sen ja noch, dass
die medi­zinis­che Ver­sorgung sehr stark davon abhing, wie alt man war. Über
65 gab es keine Dial­yse-Behand­lung mehr. 

Muss nicht auch die ältere Gen­er­a­tion in der jet­zi­gen Lage stärk­er Verzicht
üben?

Sich­er. Vielle­icht muss aber auch die jün­gere Gen­er­a­tion weniger Ansprüche
stellen. Ich bin zu ein­er Zeit zur Schule gegan­gen, da gab es kein
Kindergeld und kein Bafög. Ich habe mir in der Ober­stufe mein Geld während
der Ferien auf dem Bau ver­di­ent. Die nach­fol­gen­den Gen­er­a­tio­nen hingegen
machen eine län­gere Aus­bil­dung und kriegen finanzielle Unter­stützung vom
Staat. 

Worauf wollen Sie hinaus?

Wir alle müssen mehr leis­ten und weniger fordern. Wir wer­den diesen
Wohl­stand nicht mehr durch­hal­ten: Möglichst wenig arbeit­en, möglichst viel
Freizeit und Geld. Das ist nicht mehr drin. 

Viele junge CDU-Poli­tik­er bekla­gen eine gewisse Vol­lka­sko-Men­tal­ität der
älteren Gen­er­a­tion. Zu Recht?

Nein. Ich gehöre auch der älteren Gen­er­a­tion an. Ich glaube, dass ein großer
Teil der jün­geren Gen­er­a­tion eine viel größere Vol­lka­sko-Men­tal­ität hat. Im
West­en wird die Renten­ver­sicherung seit Mitte der 50er Jahre vom
Gen­er­a­tio­nen­ver­trag getra­gen. Damals hat man es nicht für möglich gehalten,
dass die Geburten­rate der näch­sten Gen­er­a­tion wesentlich niedriger ausfallen
wird. Ich habe ja selb­st drei Kinder zwis­chen 30 und 40 Jahren. 

Was sagen die dazu?

Die sagen, sie müssen sich pri­vat ver­sich­ern, weil sie nicht mehr daran
glauben, dass dieser Gen­er­a­tio­nen­ver­trag funk­tion­iert. Während mein­er Zeit
als Offizier hat darüber nie­mand geredet. 

Hat die Poli­tik ger­ade in West­deutsch­land das Kinderkriegen in den
ver­gan­genen Jahrzehn­ten zu wenig begünstigt?

Die Poli­tik hat sich viel zu sehr an die Spaßge­sellschaft angebiedert.
Kinder und Fam­i­lien spie­len darin keine Rolle. Aktive Bevölkerungspolitik
wurde in Deutsch­land lange Zeit tabuisiert — wegen des Nationalsozialismus
und dem damit ein­herge­hen­den Mut­terkult. Es gab die dum­men Sprüche wie
Kinder für den Führer. In der west­deutschen Umbruchssi­t­u­a­tion von 68 und
danach ist dann eine Insti­tu­tion ver­teufelt wor­den, die mit Kindern doch
sehr viel zu tun hat: Die Fam­i­lie. Heutzu­tage heißt es nun, dass die
Kindertages­be­treu­ung nicht aus­re­icht. Wenn das zuträfe, müsste Brandenburg
dank seines Betreu­ungsange­bots ger­adezu einen Baby­boom erleben, doch die
Geburten­rate steigt nur langsam wieder an. Die Frage ist für mich vielmehr,
ob nicht die Fam­i­lie mehr im Mit­telpunkt der Poli­tik ste­hen muss. Die
Investi­tion in Kinder ist wirk­lich das Wichtig­ste, aber dabei geht es nicht
nur um Geld, son­dern auch um per­sön­lich­es Engagement. 

Sie wür­den lieber ein wesentlich­es höheres Fam­i­lien­geld zahlen als das
herkömm­liche Kindergeld?

Ja. Wir haben eine unglaublich hohe Kitagläu­bigkeit. Eltern lieben ihre
Kinder mehr als Erzieherin­nen — warum sollen sie dann nicht die finanzielle
Frei­heit erhal­ten, für ihre Kinder die richtige Betreu­ungs­form auszuwählen?
Heutzu­tage ist mir vieles zu beliebig. Wenn etwa der Regierende
Bürg­er­meis­ter von Berlin sich out­et, ist das seine Sache. Wenn er aber beim
Christo­pher Street Day demon­stra­tiv auf dem ersten Wagen mit­fährt, ohne
dafür zu sor­gen, dass in Berlin auch mal etwas anderes geschieht, nämlich
ein Fest für die Fam­i­lien, dann halte ich das für falsch. Hier wird
missver­standene Tol­er­anz und Akzep­tanz ja bald zum Pflicht­pro­gramm. Auch die
Homo-Ehe halte ich in diesem Zusam­men­hang für nicht richtig, weil sie die
Fam­i­lie als Ver­ant­wor­tungs­ge­mein­schaft von Eltern und ihren Kindern
untergräbt. 

Das Gespräch führten Mar­tin Kles­mann und Andrea Beyerlein.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Inforiot