Gewalttaten von Neonazis gehören in Cottbus zum Alltag. Vor kurzem wurde ein
Jugendzentrum überfallen.
Der Cottbusser Stadtteil Sachsendorf bietet wenig Attraktives. Mehrspurige
Straßen, bunt sanierte Neubaugebiete, Billigsupermärkte. Er ist das, was
Plattenbausiedlungen in der Regel sind: trist und leer.
Wie ganz Cottbus verfügt auch Sachsendorf mit seinen Kneipen, Tankstellen,
großen Plätzen und Bushaltestellen über diverse Treffpunkte für rechte
Jugendliche. All das hat Geschichte. Wie in anderen ostdeutschen Städten kam
es dort zu Angriffen auf Migranten und das Asylbewerberheim. In den
neunziger Jahren blühte der Rechtsextremismus, der der Stadt und
insbesondere dem Stadtteil Sachsendorf einen einschlägigen Ruf bescherte.
In der kulturellen Ödnis, die für derartige Stadtteile typisch ist, wurde,
finanziert von der Stadt, in den neunziger Jahren ein Veranstaltungsort ins
Leben gerufen, der zum Treffpunkt für linke Jugendliche wurde. Nach
anfänglichen Schwierigkeiten und nach mehr oder weniger organisierten
Angriffen der örtlichen rechten Szene konnte sich der »Klub Südstadt« im
Laufe der Jahre etablieren. Von Vorteil war dabei immer der pluralistische
Anspruch der Betreiber. Er zeigte sich insbesondere kurz vor der Schließung
im Jahr 2003, als stadtbekannte Neonazis, die sonst Konzerte in Cottbus
veranstalteten und sich an Angriffen auf die Band Mothers Pride
beteiligten, dort ein und aus gingen oder teilweise gar als
Sicherheitspersonal engagiert wurden.
Da blieb wenig von der hoch gelobten »Stadtteilkulturpolitik«. Streichungen
im Haushalt taten ein Übriges, woraufhin das Kulturamt dem »Klub Südstadt«
die Unterstützung entzog. Die Räume wurden dem bereits seit sechs Jahren
existierenden Verein »Fragezeichen« überlassen. Er hatte von Beginn an das
Konzept, in Sachsendorf Angebote für eine andere, selbstbestimmte linke
Stadtteil- und Kulturpolitik zu machen und so den Jugendlichen Alternativen
zu bieten.
Seitdem organisierten die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Vereins zahlreiche
Veranstaltungen, Konzerte, Partys etc. und entwickelten das »Fragezeichen«
zu einem dezidierten Ort der Gegenkultur in der Sachsendorfer Tristesse.
Am 14. Mai 2005 plante der Verein gemeinsam mit der örtlichen Antifa und dem
Berliner Antifaschistischen Pressearchiv eine Informationsveranstaltung, der
sich ein Konzert anschließen sollte. Als sich gegen 17 Uhr die ersten Gäste
einfanden, waren darunter auch zwei dem rechten Spektrum zuzuordnende
Personen. Eine von ihnen war der szenebekannte Neonazi Marcel Forstmeier.
Der 25jährige ist seit Jahren im südlichen Brandenburg aktiv. Unter anderem
outete er sich in einer Talkshow des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) zum
Thema »Was tun gegen rechte Gewalt?« als Nationalist. Darüber hinaus ist er
nach Angaben der Lausitzer Rundschau für den Internetauftritt der »Bewegung
Neue Ordnung« verantwortlich, die sich zum Teil aus ehemaligen Anhängern der
NPD zusammensetzt, denen die Partei zu »multikulturell« geworden ist. Auch
mischen dort ehemalige Angehörige der »Gesinnungsgemeinschaft Süd-Ost
Brandenburg« mit, die mit der Verteilung von CDs mit rechtsextremistischem
Inhalt auf sich aufmerksam machte.
Als den Rechten am Samstag der vergangenen Woche der Zutritt
zum »Fragezeichen« verwehrt wurde, riefen sie per Handy Verstärkung. Wenige
Augenblicke später stürmten 20 zum Teil vermummte rechte Schläger die Räume
und schlugen und traten wahllos auf die Jugendlichen ein. Sie zerstörten
Instrumente und andere Teile des Equipments der Bands. Nur wenige Minuten
später verließen sie den Ort. Drei Besucher mussten sich anschließend in
ambulante Behandlung begeben. Der Angriff kann als der gewalttätigste in den
vergangenen Jahren in Cottbus bezeichnet werden.
Besonders in den letzten Monaten kam es wiederholt zu Attacken auf Migranten
und ausländische Studenten, vor allem in den Abendstunden und in
öffentlichen Verkehrsmitteln. So wurde am 8. Mai ein 57jähriger Inder in
einem Nachtbus von zwei Männern in rassistischer Weise beleidigt, verfolgt
und zusammengeschlagen. Nur zwei Tage vorher schlug ein Deutscher in einer
Diskothek einem 26jährigen Studenten aus Kamerun ins Gesicht. Anfang April
wurde ein 16jähriger afghanischer Jugendlicher ebenfalls in einem Nachtbus
von vier Männern beschimpft und mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Auch
nicht rechte Jugendliche sind verbalen, aber auch physischen Attacken
ausgesetzt. Seit Jahren kommt es, vor allem in den wärmeren Monaten, im
Cottbusser »Puschkinpark«, einem Treffpunkt der örtlichen Punkszene, zu
Angriffen in der Absicht, nicht nur Einzelne zu verletzen, sondern die
Gruppen ganz aus diesem innerstädtischen öffentlichen Raum zu vertreiben.
Beobachtungen der lokalen Antifa zufolge nahmen die Neonazis aus Cottbus an
diversen überregionalen rechtsextremen Veranstaltungen teil. Sie fuhren zum
so genannten Heldengedenken nach Halbe, zu Demonstrationen nach Leipzig und
Berlin, organisierten wiederholt Kranzniederlegungen zum Jahrestag der
Bombardierung von Cottbus und beteiligten sich im Jahr 2004
als »Kameradschaft Cottbus« an Anti-Hartz-Demonstrationen.
Wie gut sie organisiert sind, stellten sie öffentlich bereits im Dezember
2003 unter Beweis, als an der ersten rechten Demonstration in Cottbus unter
dem Motto »Keine EU-Osterweiterung! Deutsche Arbeitsplätze erhalten und neue
schaffen!« ca. 150 Neonazis teilnahmen.
Allerdings sind derartige Veranstaltungen nicht unbedingt notwendig, um die
regionale Bedeutung der rechten Szene zu veranschaulichen. Im Alltag der
Stadt sind rechte Codes und die, die sie benutzen, allgegenwärtig. Der
Verfassungsschutz und die Polizei observieren das rechte Milieu. Derzeit
ermitteln sieben Beamte des Staatsschutzes gegen die Täter des Überfalls auf
das Jugendzentrum. Elf von ihnen konnten bisher gefasst werden.
Der Trägervein des »Fragezeichen e.V.« bittet wegen des entstandenen
Sachschadens von 3 500 Euro um Spenden. Fragezeichen e.V., Konto: 313 10 76, BLZ: 120 965 97
Am 28. Mai organisiert die Antifa Cottbus eine Demonstration, um 14 Uhr,
Stadthalle Cottbus.