WITTSTOCK Das erste Anhörungsverfahren zum Schießplatz Kyritz-Ruppiner Heide endete gestern im Wittstocker Rathaus mit einem Eklat. Als Bundewehroffiziere einen Werbefilm der Streitkräfte vorf¨¹hrten, verließen die Vertreter der Gemeinden nahezu geschlossen die Anhörung. Das teilte Landrat Christian Gilde (SPD) dem RA mit. Zuvor hatte bereits der Anwalt der B¨¹rgerinitiative Freie Heide, der Berliner Rechtsanwalt Dr. Reiner Geulen, gefordert, das Anhörungsverfahren einzustellen. Geulen begr¨¹ndete seinen Antrag damit, dass die Bundeswehr bisher nicht nachgewiesen hat, welche Flächen in der Heide ihr tatsächlich gehören. Zudem kritisierte er, das die Bundeswehr den Anrainergemeinden des Schießplatzes f¨¹r das Anhörungsverfahren nur unzureichende Unterlagen zur Verf¨¹gung gestellt hat.
Eine weitere Anhörung soll heute in Neuruppin stattfinden.
Politplakat und Bibelvision
Anhörung: Pro Bundeswehr und Freie Heide waren auf Wittstocker Markt präsent
WITTSTOCK “Scharping, schick?Soldaten her, Wittstock braucht die Bundeswehr”, forderte ein Plakat. Daneben flatterte ein Transparent mit der biblischen Vision, “Schwerter zu Pflugscharen.”
Vertreter der Initiative Pro Bundeswehr und der B¨¹rgerinitiative (BI) Freie Heide standen sich gestern auf dem Marktplatz Auge in Auge gegen¨¹ber. Die erste Anhörung zum Truppen¨¹bungsplatz nutzten beide Seiten, um ihren Standpunkt öffentlich darzustellen.
Rein zahlenmäßig besaß die Freie Heide eindeutig das Übergewicht. Die Anhänger von Pro Bundeswehr hatten allerdings zwei Gestelle mit Losungen optisch wirksam vor dem Rathaus postiert. Bundeswehr und Tourismus — kein Problem, versicherte eines ihrer Plakate. Inge und Wilhelm Hoffmann aus Preußisch Oldendorf in Westfalen sahen das anders. Wenn hier ein Bombenabwurfplatz eingerichtet werde, w¨¹rden sie Wittstock nicht mehr besuchen, so das Rentnerehepaar. Auch Reiner Kruse aus Ganz bei Herzsprung glaubt nicht daran, dass sich Tourismus und Bundeswehr miteinander vertragen w¨¹rden. Er habe in Ganz ein größeres Anwesen gekauft, das er später touristisch nutzen wolle. “Aber wenn die Berliner mitbekommen, das sie mit Fluglärm konfrontriert sind, rechne ich mir keine Perspektive aus”, sagte Kruse.
Horst Bredlow aus Basdorf ist strikt gegen die Bundewehrpläne. “Die wollen uns zur¨¹ckbomben in die Russenzeit”, glaubt er. Damals seien die Jagdbomber Tag und Nacht ¨¹ber die Dächer des Dorfes gedröhnt. Nicht mal zu Weihnachten hätten die Snowjets den Flugbetrieb eingestellt. “Als meine Kinder noch klein waren, kamen sie manchmal weinend angelaufen, wenn die Bomben oder Granaten zu nahe an unserem Dorf explodierten. Sie hatten solche Angst” erinnert sich Bredlow. Er sei trotz Stasi¨¹berwachung am 9. November 1989 mit anderen Basdorfern zur großen Demonstration nach Berlin gefahren, “weil wir das in unserem Dorf nicht mehr aushalten konnten”.
Politische Unterst¨¹tzung darf der Basdorfer von Monika Böhme und Johannes Oblaski erwarten, die als Vertreter der Großgemeinde Temnitzquell zur Anhörung nach Wittstock gekommen waren. Temnitzquell wende sich geschlossen gegen jegliche Schießplatz-Pläne, versicherten die Gemeinderäte.
Während sich die Anhänger der Freien Heide auf dem Platz vor dem Rathaus zu einem Kreis formierten, flatterten vom Balkon bunte Flugblätter. Auf einem stand zu lesen: “Das sagt mal später Euren Kindern, die Freie Heide wollt´s verhindern: Die riesige Investition im Umfang hunderter Millionen”. “Euch gehts nur ums Geld” ruft eine Anhängerin der Freien Heide empört zum Balkon hinauf.
Politischen R¨¹ckhalt findet Pro Bundeswehr beim Wittstocker B¨¹rgermeister Lutz Scheidemann (FDP). Der zählt auf, was er sich von der Armee erhofft: Eine Garnison mit etwa 800 Soldaten, dazu etwa 150 Zivilbeschäftigte, Investitionen im Umfang von rund 120 Millionen Mark sowie 400 bis 600 Arbeitsplätze f¨¹r zehn bis zwölf Jahre f¨¹r die von der Bundeswehr angek¨¹ndigte Beräumung des Schießplatzes von Blindgängern. Scheidemann f¨¹hlt sich durch den Ausgang der B¨¹rgermeisterwahl in der Dossestadt am 11.November bestätigt. Mit 53,16 Prozent der Wählerstimmen hatte sich der Amtsinhaber, der sich im Wahlkampf f¨¹r den Truppen¨¹bungsplatz aussprach, klar gegen die Konkurrenten durchgesetzt. Mitbewerber Pierre Schwering, der sich ebenso eindeutig gegen den Schießplatz ausgesprochen hatte, blieb mit 26,93 Prozent Stimmenanteil hinter Scheidemann zur¨¹ck. “Wittstock hat gewählt: Bundeswehr”, verk¨¹ndete denn auch ein Transparent, das Anwohner an einem Balkon gegen¨¹ber dem Rathaus befestigt hatten. Während der Neuruppiner Heide-Aktivist Wolfgang Freese ¨¹ber seine Verstärkeranlage den Marktplatz mit ohrenbetäubendem Fluglärm erf¨¹llte, begaben sich um 14 Uhr die Vertreter der Gemeinden und der Bundeswehr zur Anhörung ins Rathaus. Die Dienste der Polizei, die vorsorglich mit einigen Uniformierten vor Ort war, wurden nicht gebraucht.
Heute wird es in Neuruppin eine weitere nichtöffentliche Anhörung geben. Sie beginnt um 13 Uhr im Neuen Rathaus.