Kranzniederlegung an den Massengräbern — Beirat will mehr finanzielle Unterstützung
(BM) Oranienburg — Mit mehreren Veranstaltungen haben die KZ-Gedenkstätten
Sachsenhausen in Oranienburg und Ravensbrück bei Fürstenberg/Havel gestern
an den 59. Jahrestag der Befreiung der Häftlinge erinnert. Zu den
Kranzniederlegungen und Ansprachen waren rund 100 Überlebende sowie
Angehörige aus verschiedenen Ländern gekommen.
In Ravensbrück verlasen Schüler des Gymnasiums Gransee auf dem Platz vor dem
Zellengebäude die Namen von Frauen, die in der Gaskammer umgebracht wurden.
Zudem wurde die in Israel als “Gerechte unter den Völkern” geehrte
Professorin Hildegard Schaeder (1902–1984) gewürdigt. Die 2003 posthum
verliehene Ehrenurkunde und die Medaille der israelischen Gedenkstätte Yad
Vashem in Jerusalem wurden der Gedenkstätte Ravensbrück übergeben. Die
Theologin und Slawistin hatte seit 1934 als Mitglied der Bekennenden Kirche
in der Gemeinde Martin Niemöllers in Berlin-Dahlem verfolgte Juden betreut.
1943 wurde sie denunziert, verhaftet und 1944 in das Frauen-KZ Ravensbrück
verschleppt, erlebte aber dessen Befreiung.
In der Gedenkstätte Sachsenhausen hielten Länder-Komitees und andere
Opfervertretungen Veranstaltungen ab. Die zentrale Kranzniederlegung fand an
den Massengräbern bei den Krankenrevierbaracken statt.
Der Vizepräsident des Internationalen Sachsenhausen-Komitees, Zdislaw Jasko,
sagte, das 20. Jahrhundert werde nicht als Jahrhundert des technischen
Fortschritts, sondern als Jahrhundert des größten moralischen Verfalls im
Gedächtnis bleiben. Die modernsten Errungenschaften der Wissenschaft seien
gegen den Menschen angewendet worden, anstatt ihm zu dienen. Das 21.
Jahrhundert bringe neue Gefahren in Anbetracht der “unglaublichen
Möglichkeiten” der Nutzung der Elektronik. Die alten Konflikte entflammten
neu, und es entstünden neue durch Spaltungen, denen man hätte vorbeugen
sollen. Statt Abermilliarden für die Rüstung auszugeben, sollten die reichen
Großmächte die “angewachsenen Probleme” lösen, bevor es keinen Ausweg mehr
gebe.
Wilfried Grolig vom Auswärtigen Amt sagte, was in Orten wie Sachsenhausen
und Auschwitz passiert sei, dürfe nicht in Vergessenheit geraten. Die
Erinnerung an die Schrecken des SS-Staats und der Konzentrationslager müsse
bewahrt werden. “Denn nur, wenn wir die Erinnerung wach halten, verhindern
wir, dass die Zukunft wieder ein Albtraum wird”, fügte Grolig hinzu.
Der internationale Beirat der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten
forderte unterdessen mehr Geld für die KZ-Gedenkstätten in der Mark. Seit
Jahren sei die inhaltliche Arbeit der Stiftung unterfinanziert. Dadurch
drohten erhebliche Beeinträchtigungen. Die Kontinuität der Forschungs‑,
Sammlungs- und Bildungsarbeit sei jedoch die Voraussetzung für ein würdiges
Gedenken.
Das kommende Jahr werde im Zeichen des 60. Jahrestags der Befreiung der
KZ-Häftlinge von Ravensbrück und Sachsenhausen stehen. Dieses Ereignis solle
mit möglichst vielen Überlebenden aus aller Welt begangen werden. Die
Bundesregierung und die Landesregierungen von Brandenburg und Berlin seien
in der Pflicht, die Feierlichkeiten möglichst großzügig zu unterstützen.
Wider das Vergessen
Ehemalige Ravensbrückerin mahnte am 59.Jahrestag der Befreiung
(MAZ) FÜRSTENBERG “Stellen wir uns eine wunderbare, mit Mondschein erfüllte
Augustnacht vor, mit dem Silber auf dem See…In einer solchen Nacht bin
ich mit etwa 100 Frauen aus einem Warschauer Gefängnis hier angekommen”,
begann Krystyna Usarek aus Polen gestern während der Gedenkfeier zum 59.
Jahrestag der Befreiung in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück ihren
mahnenden Rückblick.
In ihrer Episode über die Schreckenszeit in Nazi-Gefangenschaft weicht die
Romantik des ersten Moments in Ravensbrück sehr schnell der Realität: Die
Viehwagen, aus denen die Gefangenen springen müssen, die beißwütigen
Schäferhunde und die SS-Frauen, die “in ihre schwarzen Pelerinen gehüllt”
brutal durchgreifen, reißen Krystyna Usarek und die anderen Gefangenen aus
ihren Sekundenträumen, machen ihnen deutlich, dass sie inmitten des Grauens,
im gefürchteten Konzentrationslager Ravensbrück, angekommen sind.
Polnische, russische, ukrainische, französische, italienische, slowakische,
deutsche, dänische und holländische Frauen — ganz Europa ist im Lager
Ravensbrück gefangen. “Für viele von uns die letzte Station ihres Lebens”,
gedachte sie der unzähligen Opfer von Nationalsozialismus und
Schreckensherrschaft. Ein Entrinnen scheint damals aussichtslos, erinnerte
sich die Polin der Hölle.
Werde sie heute aus dem Schlaf gerissen, wisse sie noch immer ihre
Häftlingsnummer 49439 und die ihrer Mutter 49440. Die Polin spricht damals
ein wenig deutsch, hat eine ausgezeichnete Handschrift, wird deshalb zur
Befragung der Häftlinge ausgewählt und schließlich eingesetzt.
Was ihr blieb, sind Erinnerungen an Frauen, die sie sterben sah, an
Leichenberge, die vor der Leichenhalle “mit deutscher Genauigkeit”
aufgeschichtet lagen.
Genau so aber, so berichtete sie gestern vor hunderten Gästen aus ganz
Deutschland und halb Europa, erinnere sie sich an einen jungen namentlich
unbekannten deutschen Förster, der Häftlingsbriefe ins Ausland schmuggelte,
der half, das reale Grauen aus dem Lageralltag der Welt mitzuteilen.
Krystyna Usarek überlebte die Nazizeit. Heute engagiert sie sich unter
anderem als Vizepräsidentin des Internationalen Ravensbrück-Komitees dafür,
dass die Erinnerung an die Schreckensherrschaft der Nazis niemals verblasst,
der Kampf gegen Unrecht, Völkermord und Faschismus mit aller Kraft
weitergeführt wird.
“Wir hoffen, dass das vereinigte Europa die alten Kriege und die Gewalt
eliminieren. Ihr, heute hier Anwesende, müsst dafür kämpfen, dass der Name
Deutsch nicht Henker bedeutet, sondern ein friedlicher Mensch… Wir
ehemaligen Häftlinge der Hölle von Ravensbrück — die Lebenden und die
Toten — setzen Vertrauen in euch. In diesem Kampf müssen die deutschen
Menschen ihren Anteil haben. So ist es eure Aufgabe”, mahnte sie die
Anwesenden zum unverminderten Kampf gegen Menschenverachtung und Krieg.
Eine Welt der Paradoxien und Verbrechen
Zum 59.Jahrestag der Befreiung der Häftlinge des Konzentrationslagers Sachsenhausen
(MAZ) ORANIENBURG — Adam König war seit 1939 im Konzentrationslager Sachsenhausen,
wurde 1942 nach Auschwitz verschleppt. Befreit wurde er im
Konzentrationslager Bergen-Belsen; der Todesmarsch zwang ihn dorthin. Auch
davon erzählt er an diesem Sonntagnachmittag. Immer mehr Besucher der
Gedenkstätte, die zu den Feierlichkeiten zum 59. Jahrestag der Befreiung der
Häftlinge des Konzentrationslagers gekommen sind, scharen sich um ihn.
Doch eigentlich ist ihm eine ganz andere Erinnerung wichtig: König berichtet
vom jüdischen Widerstand im Konzentrationslager Sachsenhausen. Am 22.
Oktober 1942 wehrten sich 18 politische und junge jüdische Häftlinge gegen
die drohende Erschießung, indem sie in den Abendstunden aus der
Isolierbaracke ausbrachen und zum Appellplatz rannten. Dort wurden sie von
den Posten niedergeknüppelt. Der Befehl zur Erschießung kam nicht.
Stattdessen wurden die Aufständler nach Auschwitz abtransportiert.
Von der “Welt der Paradoxien und Verbrechen von Sachsenhausen” berichtet
auch Zdzislaw Jasko. Der Vizepräsident des Internationalen
Sachsenhausen-Komitees eröffnet den Gedenknachmittag mit dem Hinweis, dass
der 19. April der 61.
Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto sei:
“Lasst auch uns der Kämpfer gedenken, die in Einsamkeit, ohne Hoffnung auf
die Hilfe der Mitmenschen sich erhoben”, ruft er auf.
Auch um “eine Antwort auf die schrecklichen Verbrechen zu geben, die
Deutsche zwischen 1933 und 1945 der Welt und sich selbst angetan haben”, sei
am 18. April 1951 der Grundstein zur Europäischen Union gelegt worden,
erinnert Wilfried Grolig, Leiter der Abteilung für Auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik im Auswärtigen Amt. Die Überlebenden sollen den Jungen
berichten, bittet er. Bei den Gedenkveranstaltungen, die nach der
offiziellen Eröffnung auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers
stattfinden, kommen immer wieder Besucher mit den früheren Häftlingen ins
Gespräch.