POTZLOW/POTSDAM — “Hier bei uns in Potzlow ist Unfassbares verbrochen worden.” Die grausame Mordtat an dem Schüler Marinus Schöberl müsse mit “Wertmaßstäben wie aus der Vorsteinzeit” gemessen werden, sagte Pfarrer Johannes Reimer gestern in der voll besetzten Kirche des Uckermark-Dorfes. Der traditionelle Abendmahls-Gottesdienst zum Totensonntag wurde zugleich zu einer beeindruckenden Gedenkveranstaltung an den ermordeten 17-Jährigen. Unter den rund 250 Teilnehmern des Gottesdienstes sowie eines anschließenden Schweigemarsches zum ehemaligen LPG-Gelände, wo Jugendliche die Leiche des Jungen gefunden hattenim Sommer Ermordeten gefunden hatten, waren auch Ministerpräsident Matthias Platzeck und Uckermark-Landrat Klemens Schmitz (beide SPD).
Drei als rechtsextrem eingestufte Tatverdächtige sitzen in Untersuchungshaft.Von ihnen haben zwei 17-Jährige ein Geständnis abgelegt. Sie gaben zu, Marinus zu Tode geprügelt zu haben, weil sein Haar blond gefärbt und seine Hose nicht nach ihrem Geschmack war. Ein 23 Jahre alter Mann schweigt bislang zu den Vorwürfen.
Pfarrer Reimer verwies darauf, dass derzeit in Potzlow alle nach Halt suchen, “in einer Situation, in der alle Dämme zu brechen scheinen”. Jugendsozialarbeiterin Petra Freiberg forderte die Zuhörer auf, nach dem viel zu großen Opfer endlich aufzuwachen und “das Wort Liebe einfach wieder größer zu schreiben.” Und unter Tränen setzte Freiberg hinzu: “Vor allem müssen wir den Kindern wieder mehr Liebe schenken.” Mit Blick auf die vollbesetzte Kirche ergänzte ihre Kollegin Liane Klützke, dass das schreckliche Ereignis offenbar in der ganzen Gemeinde Oberuckersee “die Chance für einen Anfang bietet, näher zu rücken, wie eine Gemeinde zu fühlen und hoffentlich auch wie eine Gemeinde zu handeln”.
Bereits am Sonntagmorgen hatten Jugendliche vor der Einfahrt zum ehemaligen LPG-Gelände, wo sie vor einer Woche in einer stillgelegten Jauchegrube die sterblichen Überreste von Marinus fanden, ein Holzkreuz zum Gedenken aufgestellt. Hierher führte nach dem Gottesdienst ein Schweigemarsch. Potzlows Bürgermeister Johannes Weber kleidete vor dem schlichten Kreuz in Worte, was offenbar viele dachten: “Unsere Gefühle fahren Achterbahn. Auch noch eine Woche nach der schrecklichen Entdeckung sitzt der Schock tief.”
Ministerpräsident Platzeck legte sagte: “Wir gestehen uns ein, dass wir nicht nur entsetzt sind angesichts der grausamen Tat, sondern auch fassungslos und ratlos.” Trotz des grauenvollen Rückschlages seien die Mühen bei der Jugendarbeit der letzten Jahre aber nicht umsonst gewesen. Platzeck versprach, der Familie des ermordeten Schülers zu helfen, wo immer es geht und auch die jungen Menschen nicht allein zu lassen, die den grausamen Fund machten. Dann erinnerte er an Regine Hildebrandt, die einmal gesagt habe, immer daran zu denken, dass “der tiefere Sinn des Lebens im Miteinander liegt”.
Der “Spiegel” berichtet in seiner neuen Ausgabe, der mutmaßliche 17-jährige Haupttäter habe stark unter dem rechtsextremen Einfluss seines älteren Bruders gestanden. Der 23-Jährige war seit 1999 wegen zahlreicher rechtsextrem motivierter Delikte mehrmals ins Gefängnis gekommen und am 17. August erneut verhaftet worden, weil er in Prenzlau einen Flüchtling aus Sierra Leone brutal zusammengeschlagen hatte.
Wie das Blatt weiter schreibt, hatte sein 17-jähriger Bruder Mitte November zwei Bekannte für 25 Euro zu der Jauchegrube geführt, wo Marinus verscharrt war. Als er den Toten fand, habe er mit einem Beil zwei Mal auf den Schädel eingeschlagen, der aus der Grube ragte.