Wir sehen diese Preisverleihung nicht nur als Anerkennung ihres Engagements, sondern auch als Ermutigung für alle Flüchtlinge und Initiativen in Oberhavel, die sich für eine solidarische Gesellschaft ohne Rassismus einsetzen.
Eine der großen Stärken des Protests gegen das Gutscheinsystem in Hennigsdorf waren die Kommunikations- und gemeinsamen Lernprozesse unter den beteiligten Akteur_innen. Sie schlossen dauerhafte Bündnisse, in denen Flüchtlinge, die sich für ihre Rechte einsetzen, und Initiativen, die sich seit Jahren für Flüchtlingsrechte engagieren, gemeinsam agieren und auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Zum Beispiel in der Initiative u.r.i., in der sich Tannaz Bidary, Patrick Kizito, andere Flüchtlinge und antirassistische Gruppen gemeinsam gegen das diskriminierende Gutscheinsystem engagieren.
Dies und die überwältigende Unterstützung, die der Boykott erfuhr, hatte Auswirkungen im ganzen Land Brandenburg: Zum Beispiel starteten Flüchtlinge in Cottbus im Sommer 2011 eine Unterschriftenaktion gegen das Gutscheinsystem, Flüchtlinge aus der Uckermark, aus dem Landkreis Oberspreewald-Lausitz und aus anderen Kreisen demonstrierten in Oranienburg mit und zum Beispiel in der Uckermark wurde mit Verweis auf die Proteste in Hennigsdorf auf Bargeld umgestellt.
Dass ausgerechnet Ministerpräsident Matthias Platzeck Bidary und Kizito diese Ehrung überreicht, sehen viele Engagierte gegen das Gutscheinsystem als Ironie des Schicksals: “Wir fragen uns oft, ob die Landesregierung außer Presserklärungen und ‘Empfehlungen’ nichts zur Abschaffung des Gutscheinsystems in Brandenburg beitragen konnte oder nicht wollte.” So Tobias Becker, von der Initiative u.r.i. (United against Racism and Isolation). “Wir hoffen, dass die Landesregierung die Preisverleihung zum Anlass nimmt, ihre halbherzige Rolle zu überdenken und endlich Anstrengungen unternimmt, durch einen eindeutigen Erlass das Gutscheinsystem im ganzen Land abzuschaffen.”
Die Situation in Oberhavel, in Havelland und Oberspreewald-Lausitz, den letzten drei Landkreisen in Brandenburg, in denen noch Gutscheine ausgegeben werden, dokumentiert aber auch die undemokratische Macht von Landräten in Brandenburg. Absurd lange Amtszeiten bieten Menschen wie zum Beispiel Landrat Schröter die Möglichkeit, sich eine loyale Verwaltung aufzubauen und institutionellen Rassismus in seinem kleinen Königreich auszuleben. Für die ‘Verwaltungskommandantur’ in Oranienburg scheint jeder humanitäre Aufenthalt eine persönliche Niederlage zu sein, jede Abschiebung ein Erfolg.
Eine demokratische Zivilgesellschaft muss solche Landräte nicht nur abwählen. Sie muss auch auf eine demokratische Umgestaltung der Kommunalverwaltung drängen, sowie – natürlich – auf die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Bis dies erreicht ist, werden Tannaz Bidary und Patrick Kizito, zahlreiche Flüchtlingsaktivist_innen, Menschen-und Bürgerrechtsinitiativen und der Flüchtlingsrat Brandenburg sich weiter für die Abschaffung des diskriminierenden Gutscheinsystems einsetzen. Nicht nur in den Landkreisen, sondern auch von der Landesregierung werden wir gemeinsam und laut fordern: Gutscheine abschaffen! Gleiche soziale Rechte für alle !
Der Flüchtlingsrat hat anlässlich der Preisverleihung eine Dokumentation des Gutscheinboykotts herausgegeben, die hier heruntergeladen werden kann: http://www.fluechtlingsrat-brandenburg.de/materialienabschiebungen/leistungen/gutscheine