In den frühen Abendstunden des 7. Juli 2006 haben antirassistische AktivistInnen in
die Eröffnungsfeierlichkeiten des Hansefestes „Bunter Hering“ eingegriffen. Die
AntirassistInnen aus Deutschland, Polen und der Schweiz haben sowohl zu Lande als
auch zu Wasser in dem Ruderboot „Oury Jalloh“ mit Spruchchören, Flugblättern, einem
Redebeitrag und Transparenten auf die rassistische deutsche Migrationspolitik mit
ihren Lagern, Sonderbehörden, Deportationen und Sonderbehandlungen aufmerksam
gemacht.
Nach der offiziellen Eröffnung des Hansestadtfests durch den Oberbürgermeister
sollte ein Ruderwettbewerb zwischen drei Fakultätsbooten der Universität
stromaufwärts — von der nördlichen Oderpromenade bis zum Holzmarkt – stattfinden.
Zur Überraschung aller Anwesenden tauchte ein viertes Ruderboot auf und lud die
Menschen zu einer antirassistischen Gegenveranstaltung ein. Durch das Megaphon
forderten die drei RuderInnen die Einhaltung elementarster Menschenrechte in
Deutschland und die Abschaffung der Grenzen. Unterdessen verteilten an Land
DemonstrantInnen Flugblätter und eine Dokumentation über die tödlichen Folgen der
bundesdeutschen Flüchtlingspolitik. In dieser heißt es: „ Seit dem 1. Januar 1993
starben mindestens 162 von insgesamt 412 Flüchtlingen auf dem Wege in die
Bundesrepublik Deutschland oder an deren Grenzen. Davon allein 121 an den deutschen
Ostgrenzen. (…) Die politischen Verantwortlichen und intellektuellen Karikaturen
beider Länder verschleiern die Gewalt und den Rassismus des Schengen-Systems, die
Deportationen und die Ausgrenzung der MigrantInnen, das Töten und Verletzen von
Flüchtlingen.“
Anlass der Aktion war der tragische Unfall des kenianischen Flüchtlings Joseph M. Am
23.03.2006 sprang er aus Angst vor der Abschiebung aus dem ersten Stock der
Frankfurter Ausländerbehörde und stürzte auf die Betonplatten am Boden. Dabei zog er
sich so schwere Verletzungen zu, dass er jetzt querschnittsgelähmt ist.
Die DemonstrantInnen verlasen in Gegenwart von Elke H., der langjährigen Freundin
Josephs M., ihren Redebeitrag : „Jüngste Vorkommnisse beweisen wieder einmal, dass
Frankfurt (Oder) doch nicht so weltoffen und ausländerfreundlich ist, wie uns die
Werbung „Freundliches Frankfurt“ weismachen will! (…) Deutschland zeigt in diesen
Tagen wieder Flagge für „unsere“ Fußball – Elf. Zeigen Sie dem behördlichen Vorgehen
gegen Joseph M. und dem damit verbundenem Slogan „freundliches Frankfurt“ die „rote
Karte“!“.
„Deutschland und Polen spielen eine besondere Rolle bei der Bekämpfung der
transnationalen Migration nach Europa. Mit seiner neuen EU-Außengrenze Polen
markiert Polen einen entscheidenden Knotenpunkt der €päischen
Migrationskontrolle. Europäische Lager, Internierungs- und Haftzentren stellen ein
wesentliches Element dar, um Menschen aus Ost€pa, Afrika und Asien gewaltsam und
effektiv aus der Festung Europa herauszuhalten. Ein selbstgerechtes Fest wie der
„Bunte Hering“ lenkt von diesem Zustand ab und unterstützt somit die Fortsetzung der
Apartheid-Grenzen-Logik. Während die Viadrina zusammen mit der Stadt Frankfurt den
Grenzfluss Oder als Grund zum Feiern betrachtet und eine Regatta veranstaltet,
versuchen täglich Menschen diese Grenze unter Einsatz ihres Lebens zu überwinden.“
sagte Michał ein polnischer Teilnehmer der Aktion.
Elke H. und Joseph M. hatten für den 18. März einen Hochzeits-Termin im Standesamt
erhalten. Doch die Behörden bestellten bereits am 15. März ein Ticket nach Kenia um
die Abschiebung zu vollziehen. „Nur bürokratische Hürden hatten eine Terminsetzung
für die Hochzeit verhindert. Für das Standesamt fehlte eine schriftliche Bestätigung
der Gültigkeit seines Reisepasses, obwohl die Ausländerbehörde diesen bereits als
gültig anerkannt hatte. Die MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde wiederum wussten
von der Verlobung, trieben die Abschiebung aber weiter voran. Sie sind
verantwortlich.” erklärt Ute, Steuerfrau des antirassistischen Ruderbootes. „Joseph
wurde zur Behörde bestellt, dort erhielt er die Abschiebeverfügung, die Polizei
sollte ihn mitnehmen. Eine Minute für den Abschied mit seiner Verlobten Elke H.
wurde Joseph M. nicht gewährt. Aus Verzweiflung über die Rechtlosigkeit und
Unmenschlichkeit sprang er durch das geschlossene Fenster der Ausländerbehörde.
Seitdem ist er vom Bauch ab querschnittsgelähmt.” sagte Jochen, der ebenfalls im
antirassistischen Boot mitruderte.
Rassismus ist in unserer Stadt ein Alltagsproblem. Ob nun bei bekennenden Nazis, bei
Behörden, PolitikerInnen oder PolizeibeamtInnen – Angriffe auf die Menschenrechte
sind für eine demokratische Gesellschaft nicht hinnehmbar.
Was für die meisten hier lebenden Menschen zur Realität gehört, nämlich nach
Belieben den Wohnort zu verlassen, zu reisen, Bekannte und Verwandte in anderen
Orten besuchen zu können, ist AsylbewerberInnen verwehrt. Sie unterliegen der
Residenzpflicht und müssen bei der zuständigen Ausländerbehörde Urlaubsscheine
beantragen. Über deren Vergabe entscheiden die MitarbeiterInnen sehr willkürlich.
Rassistische Personenkontrollen finden in der gesamten Grenzregion statt. Ertappen
die BeamtInnen vom BGS einen so Illegalisierten, wird er bestraft und unter
Umständen misshandelt.
Sich frei bewegen zu können, ist aber ein Recht, das es zu teilen gilt.
Die DemonstrantInnen fordern die Auflösung sämtlicher rassistischer Sonderbehörden
und Abschiebelager, die Abschaffung der Residenzpflicht und gleiche Rechte für alle.
Kein Mensch ist illegal! — Żaden człowiek nie jest nielegalny!
gez. Henry Morgenthau
International Human Rights & Migration Monitoring Center
Fotos von der Aktion gibt es im ostblog.