(MAZ, 15.9.04) Ist eine gute Nachbarschaft mit Ausländern möglich? Diese durchaus heikle Frage wurde auf dem 4. Mieterstammtisch in Hennigsdorf-Nord diskutiert. Weil das Thema immer unterschwellig angeklungen war, setzte es Wohnungsverwalterin Angela Schlegel von der Hennigsdorfer Wohnungsbaugesellschaft (HWB) nun ganz offen auf die Tagesordnung.
Prompt war der Raum im Gemeinschaftshaus an der Marwitzer Straße 62a fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Murrend akzeptierten es einige Mieter, dass ihnen die städtische Gleichstellungsbeauftragte Kerstin Gröbe Statistik vortrug. Danach sind 3,2 Prozent der Hennigsdorfer Ausländer. Es handelt sich um 867 Menschen, die 64 Nationalitäten angehören. Von ihnen wohnen 295 Personen im Asylbewerberheim in Stolpe-Süd. Außerdem leben etwa 250 Spätaussiedler in Hennigsdorf. In Hennigsdorf-Nord machen sie etwa 13,11 Prozent der Haushalte aus.
“Ich habe immer das Gefühl, hier leben 80 Prozent Russen. Ich höre nur russisch und das so laut”, klagte eine Mieterin und fügte hinzu: “Die sollen deutsch lernen, damit sie einbezogen werden können.” Ihre Nachbarin meinte: “Die wollen doch gar nicht einbezogen werden.”
“Von wollen kann keine Rede sein”, hakte Simone Tetzlaff ein. Sie leitet die soziale Beratungs- und Begegnungsstelle des Kirchenkreises Oranienburg in Hennigsdorf, eine vom €päischen Flüchtlingsfonds geförderte Einrichtung, und ist Referentin für Flüchtlingsfragen bei der Kirche. Sie erklärte den Mietern, dass erwachsene Flüchtlinge keine Deutschkurse finanziert bekommen. “Dann sollen die Eltern doch von den Kindern lernen und zu Hause nicht mehr ihre Muttersprache sprechen”, konterte die eingangs erwähnte Mieterin.
Nun traute sich ein Kurde, seine Meinung zu sagen. Er wolle ja deutsch lernen, aber er habe zwei Jahre auf den Deutschkurs warten müssen. Deutsch sei eine schwere Sprache und die Deutschen würden einen Bogen um die Ausländer machen. Er wolle seine Kultur bewahren. Zu Hause durfte er nicht kurdisch sprechen und sei verfolgt worden.
Eine deutsche Mieterin nahm nun die Ausländer in Schutz. Das seien sehr nette und hilfsbereite Leute. Zu den schimpfenden deutschen Frauen gewandt, sagte sie: “Die Leute, die sich über Ausländer aufregen, lassen nur ihren Frust ab und fahren aber ins Ausland in den Urlaub.”
Ein Mann wollte dann wissen, woher die Spätaussiedler so gute Möbel und ihre Autos hätten. Die Möbel seien aus zweiter Hand, erklärte Kerstin Gröbe und ansonsten funktioniere der Familienverband unter den Spätaussiedlern.
Nach hitzigen Wortgefechten gab es den Vorschlag, Deutsche und Ausländer mal zu einem gemütlichen Kaffeenachmittag einzuladen. Vielleicht könne man mehr voneinander erfahren und sich gegenseitig helfen. “Ein guter Vorschlag”, sagte ein älterer deutscher Mieter, der zuvor erzählt hatte, dass er 1939 aus Lettland nach Deutschland geflohen war.