Erneut wollen Neonazis am Volkstrauertag die Toten auf dem Soldatenfriedhof in Halbe für ihre Ziele missbrauchen. Dagegen protestiert der heute in Berlin lebende Heinz Maether auf seine Weise. Als 17-Jähriger war er bei der Kesselschlacht von Halbe dabei. Maether berichtet darüber, wie es zu diesem Massengrab kam.
Wir waren verlaust und verdreckt. Viele hatten die Krätze, auch ich. In einer Kampfpause meldete ich mich daher von meiner Einheit ab, um das Lazarett aufzusuchen. Aber es gab so viele Verwundete, dass eine Behandlung nicht möglich war. Ich bekam daher auch nicht die übliche Bestätigung, dass ich tatsächlich im Lazarett gewesen war.
Bevor ich zu meiner Truppe zurückkehren konnte, setzten wieder heftige Kämpfe ein. Kompanien, ja ganze Regimenter gingen zugrunde oder wurden in alle Himmelsrichtungen versprengt. Jeder versuchte, in Autos und Pferdewagen unterzukommen, um der anrückenden Roten Armee zu entkommen. Auch meine Kompanie war nicht mehr auffindbar. In Steinsdorf (Oder) erfuhr ich schließlich, dass sich Reste der aufgelösten Kompanie sowie der Regimentsstab im nächsten Dorf befanden.
Ein verwundeter Soldat, dem ich mich anschloss, ging in Richtung dieses Dorfes. Der Weg wurde unterbrochen, weil eine entgegenkommende Wagenkolonne hielt. In einem offenen Wagen saß ein General mit seinem Stab und fragte, was wir hier auf der Chaussee zu suchen hätten. Der andere Soldat, der einen Armschuss bekommen hatte und im Lazarett medizinisch versorgt worden war, konnte seine Bestätigung vorweisen, ich jedoch nicht. Der General packte mich und zog mich in sein Auto, fuhr mit mir in ein Haus in Steinsdorf. Dieser General war der Kommandierende General der 9. Armee, Theodor Busse. Nachdem ich ihm die Zusammenhänge der Kämpfe und mein Entfernen von diesem Chaos geschildert hatte, antwortete er, dies sei nicht stichhaltig, ich wäre geflüchtet. Der General ging in eine Besprechung, kam wieder raus, sah mich und sagte: “Ich werde Sie erschießen.” Er ging zurück in sein Zimmer und telefonierte mit einigen Befehlshabern. Durch sein lautes Organ erfuhr ich den Zustand der Front. Er war erbärmlich. Der General schilderte Generaloberst Heinrici die Lage der Front als in Auflösung begriffen, mit schweren Verlusten, nicht mehr imstande, größere Kampfhandlungen zu führen, und es drohe eine Einschließung der Armee.
Nach diesem Gespräch eilte der General wie ein Wahnsinniger durch mehrere Zimmer, sah mich und sprach zum Adjutanten, sie sollten mich abführen. Über Nacht war ich in einer Scheune untergebracht. Morgens wurde ich von der Feldgendarmerie — das waren teilweise fliegende Feldgerichte, Zubringer für Todesurteile — zu meinem Regimentsstab geführt, der im nächsten Dorf lag. Der Befehl lautete: Das kriegsgerichtliche Verfahren sei einzustellen, ich soll aber sofort zum Bewährungsbataillon im vordersten Fronteinsatz gebracht werden. Vorher sollte ich 20 Stockhiebe wegen angeblicher Entfernung vom Truppenteil erhalten. Dies unterblieb aber, weil der Adjutant, der mir den Befehl zeigte, das unter den Tisch fallen ließ.
So begann der große Marsch über Guben, Müllrose in Richtung Teupitz. Inzwischen war die 9. Armee eingeschlossen. Wir wurden von der Luftflotte der Roten Armee mit Bomben belegt. Unserem Armeetreck hatten sich Zehntausende von Flüchtlingen angeschlossen: Frauen, Kinder, alte Leute. Wir erfuhren, dass es Aufgabe war, einen Durchbruch zu machen, und wurden dann informiert, dass Berlin fast eingeschlossen wäre und wir zusammen mit der 12. Armee von General Wenck Berlin entlasten sollten. Von dieser Armee hörten wir aber nichts mehr. Wir fanden uns wieder im Wald und erlebten eine Kanonade nach der anderen. Wir verloren immer mehr die Orientierung.
Von Befehlen galt nur einer: Wir müssen durch. Wir haben die Aufgabe, Berlin zu entlasten. Wir müssen aber erst den Kessel aufsprengen, in dem wir uns befanden. Das war der große Kessel, wo sich die 9. Armee befand: Teupitz, Halbe, Märkisch Buchholz. Ich befand mich hinter den Panzern dieser Armeetruppe. Es hieß auf einmal: Alles Stopp! Parlamentär nach vorn! Es war ein Oberstleutnant, der ausersehen war, Verhandlungen mit dem Stab der Roten Armee zu führen. Die Russen boten uns an, zu kapitulieren und das Leben der Menschen zu schonen. Wir erfuhren das aus einem Gespräch mit einem Begleiter des Parlamentärs.
Nach kurzer Zeit erfolgte die Ablehnung von General Busse und der Feuerzauber begann erneut. Tausende von Menschen wurden sinnlos geopfert. Soldaten, Frauen und Kinder starben in dieser Feuerhölle. SS-Einheiten mit Vierlingsflakgeschützen trieben uns zum Sturmangriff mit der Androhung, uns bei Nichtbefolgung niederzuschießen. General Busse selbst durchbrach mit überschweren Tigerpanzern die Panzersperre bei Halbe. Der einzige Betrieb im Ort, ein Sägewerk, brannte lichterloh. Busses Panzer durchbrachen die Straße, die voll gestopft war mit Menschen und Fahrzeugen aller Art. Menschen wurden wie Briefmarken plattgewalzt. Menschenleiber wurden durch Granaten zerrissen und in die Luft gewirbelt. Busse konnte seine überschweren Panzer zu den amerikanischen Linien durchstoßen und sich dort ergeben.
Die Reste dieser Armee gingen jämmerlich in dieser Schlacht zugrunde. 20 000 deutsche Soldaten sind auf dem Friedhof in Halbe begraben worden. Davon wurden viele Menschen, die nicht mehr identifiziert werden konnten, in Massengräbern beigesetzt. Die Gesamtverluste betrugen weit über 40 000…