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Hass, zwangsläufig

Kairat B. ist erschla­gen wor­den. Er ist Rus­s­land­deutsch­er, und am Tatort gibt es eine rechte Szene, aber die Täter gehörten nicht dazu. In Witt­stock ist ein Kli­ma der Gewalt ent­standen. Weil die Polizei nichts tut, üben die Aussiedler jet­zt Selbstjustiz.

Von Han­na Kolb, Wittstock 

In der Schrankwand ste­hen zwis­chen den Porzel­lan­tassen die bei­den Fotos. Eins ist vom Pass­bild­for­mat ver­größert und deshalb unscharf. Ernst blickt der junge Mann mit den dun­klen, kurzen Haaren in die Kam­era. Auf dem anderen Bild ist zu sehen, wie er mit geschlosse­nen Augen auf glänzen­den Stoff gebet­tet liegt, umgeben von Blu­men. Viele Fotos gibt es nicht von Kairat B., denn wer aus Kasach­stan in ein neues Leben reist, nimmt nur wenig Gepäck mit. Im Novem­ber war der 24-jährige Aussiedler mit sein­er Fam­i­lie nach Deutsch­land gekom­men. Sieben Monate später war er tot. 

Zu Acht sind sie aus Kasach­stan gekom­men, eine nation­al gemis­chte Fam­i­lie. Jet­zt sind sie noch sieben. Ohne Anlass geht kein­er von ihnen mehr aus dem Haus, auch wenn draußen auf der Dorf­s­traße die Sonne scheint. Freyen­thal ist ein hüb­sch­er Ort in Nord­bran­den­burg, und die Leute sind fre­undlich. Doch wenn man fremd ist, kann es hier furcht­bar sein. 

Kairat B. ist nicht in Freyen­thal zu Tode gekom­men, son­dern 20 Kilo­me­ter weit­er, in Witt­stock, Ort­steil Alt Daber. Dor­thin, ins Über­gangswohn­heim für Aussiedler, waren Kairat und sein Fre­und Max­im K. gefahren, um Fre­unde zu besuchen. Noch ermit­teln die Behör­den, was genau in der Nacht vom 3. auf den 4. Mai passierte. Nur so viel gibt die Polizei bekan­nt: Zwei Aussiedler und mehr als hun­dert Ein­heimis­che besucht­en eine Tech­no-Par­ty in ein­er ehe­ma­li­gen Gast­stätte. Die bei­den Aussiedler lan­de­ten im Kranken­haus. Kairat B. erlag nach drei Wochen im Koma seinen Ver­let­zun­gen. Ein 15 Kilo schw­er­er Feld­stein war ihm auf die Brust gewor­fen wor­den. Max­im K. über­lebte. Drei Tatverdächtige hat die Polizei festgenom­men, ein­er davon ist als Schläger bekan­nt und vorbe­straft. Der recht­en Szene gehört kein­er von ihnen an. 

War das Ganze also nur eine Kneipen­prügelei, an der der Alko­hol schuld war? Das ist die Ver­sion, die die Witt­stock­er am lieb­sten erzählen. Von den Aussiedler-Jugendlichen wisse man, dass sie sowieso nicht nach Deutsch­land woll­ten, und gehauen habe man sich schließlich schon immer hier, von Straße zu Straße, von Dorf zu Dorf. 

Die Aussiedler erzählen ihre eigene Geschichte. Es sei eines der ersten Male über­haupt gewe­sen, dass die bei­den jun­gen Män­ner abends aus­ge­gan­gen seien, es bot sich an: Die Par­ty fand nur einige Schritte von dem Über­gangswohn­heim statt. In der Gast­stätte habe eine feind­selige Stim­mung geherrscht. Sie hät­ten dann den Schluss der Ver­anstal­tung abge­wartet, und als sie gegen drei Uhr nachts gegan­gen seien, habe eine Gruppe von 20 bis 30 Ein­heimis­chen sie bei ihren Fahrrädern erwartet und sofort niedergeschla­gen. Der Neu­rup­pin­er Staat­san­walt spricht von Frem­den­feindlichkeit als Motiv. 

Kairat B. ist der erste Rus­s­land­deutsche, der auf diese Weise zu Tode kam – nach mehr als hun­dert Obdachlosen, Far­bigen und Linken, die in den let­zten zehn Jahren von jun­gen Män­nern erschla­gen wur­den. Nicht immer tru­gen diese jun­gen Män­ner Springer­stiefel und Bomber­jack­en. Doch der Hass gegen die anderen, geboren aus Frust und Langeweile, war immer derselbe. 

1200 Men­schen leben noch in dem Dorf Freyen­thal, und jedes Jahr wer­den es weniger. Von 300 Arbeit­splätzen, die die bei­den LPGs einst boten, sind 30 geblieben. Zum Arbeit­en fährt man nach Ham­burg, einein­halb Stun­den auf der nahen Auto­bahn. Wenn man Arbeit hat. In dieses Dorf also hat man drei rus­s­land­deutsche Fam­i­lien gebracht. Sie beka­men Woh­nun­gen gestellt, und sie durften nicht woan­ders hinziehen. So sind die Regelun­gen für Aussiedler: Wer von Sozial­hil­fe abhängt – das sind prak­tisch alle –, muss die ersten drei Jahre dort bleiben, wo ihn das Amt hinschickt. 

Diejeni­gen, die erst noch Fuß fassen müssen, schickt man zu denen, die den Boden unter den Füßen ver­loren haben. Eine gemein­same Sprache haben sie nicht, und kein­er ist da, um zu ver­mit­teln. Kein Ansprech­part­ner in den Ämtern und keine Arbeit, bei der man einan­der ken­nen ler­nen kön­nte. Kein Anreiz für die Neuankömm­linge, sich für länger einzuricht­en, denn wo es keine Arbeit gibt, da will man schnell weg. Seit­dem Kairat tot ist, gehen die Rus­s­land­deutschen von Freyen­thal noch weniger raus als vorher. 

„Rus­sis­che Schweine“

„Viele Kon­tak­te gibt es nicht“, sagt die Frau, die an der Dorf­s­traße Eis und Getränke verkauft. „Sie sprechen ja kaum Deutsch. Als das passiert ist, haben wir hier aus der Nach­barschaft Beileid gewün­scht, natür­lich. Was ich aber schlecht finde, ist, dass sie untere­inan­der Rus­sisch reden. Wenn sie doch Deutsche sein wollen.“ 

Kaum ein­er der Aussiedler, die jet­zt kom­men, hat Deutsch noch in der Fam­i­lie gesprochen. In speziellen Kursen haben sie sich auf die Tests der Bun­desregierung vor­bere­it­et. Der beste Sta­tus in einem fein abgestuften Sys­tem von staatlichen Leis­tun­gen ist der nach Para­graf 4 des Bun­desver­triebe­nenge­set­zes. Deutsche Abstam­mung plus Sprachken­nt­nisse. Para­graf-4-Aussiedler haben Anspruch auf Sozial­hil­fe, auf Rente und Pass. Ein Vier­tel der Neuankömm­linge hat Para­graf 4, in jed­er Aussiedler­fam­i­lie min­destens ein­er, das ist Pflicht. 

Jeden Tag fahren die Para­graf-4-Aussiedler mit ihren Ver­wandten von Freyen­thal nach Witt­stock zur Sprach­schule. Wenn der Kurs um drei Uhr nach­mit­tags endet, has­ten sie in die Geschäfte, um einzukaufen, denn der let­ze Bus geht um vier. Nach sechs Monat­en endet der Sprachkurs, und das Warten begin­nt. Warten, bis die drei Jahre vor­bei sind und sie dor­thin ziehen dür­fen, wo es Arbeit gibt und wo die Fre­unde und Ver­wandten leben: nach Baden-Würt­tem­berg, nach Nieder­sach­sen oder Bayern. 

Die Sprach­schule am Rande von Witt­stock ist ein Tre­ff­punkt der Aussiedler, für die 400 aus der Stadt und für die anderen aus den umliegen­den Dör­fern. Auch die Neon­azis tre­f­fen sich in Witt­stock; die Stadt gilt als Hochburg der Recht­en. Und beim Schweige­marsch für Kairat B. marschierte eine Abor­d­nung der NPD mit – seit der Partei das Ver­bot dro­ht, gibt sie sich staat­stra­gend. „Das ist ein Deutsch­er, und wir verurteilen jeden Mord“, habe ein­er der lokalen Führer zu ihm gesagt, erin­nert sich Witt­stocks Polize­ichef Peter Benedikt. 

Ras­sis­mus oder nicht – die Fam­i­lie des Toten hat ihre Erfahrun­gen gemacht. „Die Älteren sind sehr nett. Von den Jugendlichen sind einzelne nor­mal“, sagt die Tante des Toten, eine junge Frau mit asi­atis­chen Gesicht­szü­gen. Beto­nung auf „einzelne“. Kro­nko­rken und Bier­flaschen wür­den ihr hin­ter­herge­wor­fen, wenn sie mit ihrer sech­sjähri­gen Tochter auf die Straße geht. Und die Kleine liefe jet­zt so schnell sie kann in den Kinder­garten. Auch die ältere Tochter, die aufs Gym­na­si­um geht, kann im ger­ade gel­ern­ten Deutsch viel erzählen. Von der gängi­gen Beschimp­fung „rus­sis­che Schweine“ oder von dem Jun­gen, der ihr mit den Worten „Iss, du Arschloch“ Gum­mibärchen ins Gesicht warf. „75 Prozent der Schüler in mein­er Schule sind Faschis­ten“, sagt die 14-Jährige. 

Auf die Fäuste vertrauen

„Witt­stock ist über­stra­paziert“, sagt Sabine Stein­bach, Direk­torin der Gesamtschule Num­mer 5, wo 15 von 400 Schülern Aussiedler sind. Und sie sagt, dass sie in jed­er Klasse von Katha­ri­na der Großen erzählt, die die Deutschen an die Wol­ga holte. Dass sie genug habe von Schuldzuweisun­gen und der Presse und dass die Schüler nach „Auschwitz und so“ fahren, und aus Ameri­ka waren schon Leute zum A
ntige­walt­train­ing da. Inte­gra­tion müsse von bei­den Seit­en laufen, sagt sie, und eine öffentliche Diskus­sion mit den Schülern möchte sie lieber nicht, denn die müsse sie „vor sich selb­st schützen“. Weil sie ihre Vorurteile kund­tun wür­den. „Frau Stein­bach ist eine der Engagiertesten, die wir hier haben“, sagen die Leute in der Stadt. „Die Schule da in dem Neubauge­bi­et? Nir­gend­wo wer­den unsere Kinder schlim­mer gequält“, sagen die Aussiedler. 

Kairats Brud­er hat seine eige­nen Erleb­nisse. Drei Mal sei er auf dem Fahrrad im Nach­bar­dorf von Jugendlichen angepö­belt wor­den, erzählt der hochaufgeschossene 19-Jährige – angepö­belt mit Worten, die er nicht ver­stand, aber Gesten, die ihn nicht zweifeln ließen. „Als ob ich nicht durch ihr Dorf fahren darf, als ob ich dreck­ig bin oder was.“ Als sich ihm beim let­zten Mal 15 Leute in den Weg stell­ten, habe er per Handy eine Bekan­nte gebeten, die Polizei zu rufen. Die sei gekom­men und habe gefragt, was denn los sei. Dann hät­ten die Beamten seine Per­son­alien aufgenom­men – nur seine. Und ihm gesagt: „Sie kön­nen gehen.“ Das war eine Woche vor der Gewalt­tat in Alt Daber. Und seit­dem ver­lässt er sich lieber auf seine Fäuste als auf deutsche Polizis­ten, sagt er. 

Früher in Kasach­stan wur­den die Nation­al­itäten wild durcheinan­dergewirbelt. Stal­in schick­te alle, die ihm nicht passten, in das unwirtliche Land: Deutsche, Polen, Tschetsch­enen. Die Not einte die Entwurzel­ten, die kom­mu­nis­tis­che Ide­olo­gie tat ein Übriges. „Uns hat man von Kind auf beige­bracht: Es gibt keine Nation. Wir haben Deutsche, Juden, Kasachen, Tataren und Ukrain­er in der Fam­i­lie“, sagt Kairats Tante. „Mir ist es egal, wie ein­er aussieht. Aber hier guck­en sie mich an, als ob ich vom Mars gekom­men wäre.“ Und die Groß­mut­ter sagt, „wir dacht­en, Deutsch­land ist ein zivil­isiertes Land“. Sie ist aus Kasach­stan gekom­men, um zum Begräb­nis des Enkels zu gehen. 

Dass der Tote in seinem Dorf wohnte, hat Freyen­thals Bürg­er­meis­ter Dieter Tret­tin aus der Zeitung erfahren. Als ehre­namtlich­er Bürg­er­meis­ter sitzt er nicht im Rathaus, son­dern im Garten. Von dort aus sieht er zu, wie sein Dorf stirbt. Wie die Läden schließen, die Fam­i­lien wegziehen und die Jugendlichen außer Kon­trolle ger­at­en. Bänke wer­den nicht mehr aufgestellt, weil sie kurz und klein geschla­gen wer­den. Papierkörbe wer­den nicht mehr aufgestellt, weil sie angezün­det wer­den. Früher, in den 60er Jahren, da wehrte sich das Dorf gegen jeden Frem­den, erin­nert sich der Bürg­er­meis­ter, der selb­st aus Pom­mern stammt. Da wollte man noch nicht mal einen im Gesangsvere­in, der erst zehn Jahre da war. „So ist es heute nicht mehr.“ Der Bürg­er­meis­ter sagt: „Das ist kein Rassismus.“ 

Er ist kein Ver­harm­los­er, er will dif­feren­zieren. Der Bürg­er­meis­ter glaubt, es sei nur das Gefühl, zu kurz gekom­men zu sein, und die Suche nach einem, der schuld daran sein muss. Die Gle­ichgültigkeit der Erwach­se­nen und die Beobach­tung der Jugendlichen, schnell und genau, dass da jemand ist, der sich nicht vertei­digt und für den auch nie­mand anders in die Bresche springt. Doch was soll das sein, wenn Men­schen auf der Straße als „rus­sis­che Schweine“ beschimpft wer­den? Was ist dann Rassismus? 

Hier eine Prügelei, dort eine Messer­stecherei zwis­chen Aussiedlern und Ein­heimis­chen – ins­ge­samt sei die „Inte­gra­tion unauf­fäl­lig ver­laufen“, sagt Polize­ichef Peter Benedikt, „bis zum 4. Mai in Alt Daber“. Man sei zu sehr mit den Recht­en beschäftigt gewe­sen, sagt er, habe sich zu wenig um die Prob­leme der Aussiedler geküm­mert. Nun hat sich die Stim­mung aufge­heizt, von Hass in der Stadt sprechen auch die Gemäßigten, und den Hass haben sie jet­zt alle. 

In Witt­stock ist offen­bar ein rechts­freier Raum ent­standen. In der Papageien­sied­lung, einem Neubauge­bi­et am Rande der Stadt mit bunt ange­mal­ten Häusern, leben viele Rus­s­land­deutsche. Hier hat die Polizei einen harten Kern aus­gemacht: fünf bis zehn junge Aussiedler, die schon länger in Witt­stock sind, sich aber „nur in ihrem Kul­turkreis aufhal­ten“. Der Polizei trauen sie nicht. Nach dem Trauer­marsch für Kairat übten sie Selb­stjus­tiz: Fünf fuhren im Auto zur Elf-Tankstelle, dem Tre­ff­punkt der Recht­en, und schlu­gen zwei junge Män­ner zusam­men. Als die Polizei später in der Papageien­sied­lung vor­fuhr, „explodierte die Stim­mung“, sagt Benedikt. „Selb­st die Eltern der Jugendlichen haben die Polizei beschimpft und bespuckt.“ Auch Kairats Brud­er sei dabei gewesen. 

Anmerkung von Infori­ot: Anstatt “Freyen­thal” muss es “Freyen­stein” heißen.

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