Alkohol und große Wut
(MAZ) NEURUPPIN Im Prozess um die Tötung eines Russlanddeutschen in Wittstock (Landkreis Ostprignitz-Ruppin) hat das Landgericht Neuruppin heute langjährige Haftstrafen gegen drei Männer verhängt. Der 22-jährige Hauptverdächtige Patrick S. soll nach dem Willen der Richter wegen
Totschlags, versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zehn Jahre hinter Gitter. Zwei Komplizen im Alter von 22 und 21 Jahren müssen wegen Totschlags bzw. versuchter Körperverletzung sieben und sechs Jahre
Haft verbüßen. Zwei weitere Angeklagte erhielten zwei Jahre und sechs Monate sowie ein Jahr Haft auf Bewährung. Damit blieb das Gericht unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft.
In dem Prozess waren fünf junge Deutsche im Alter zwischen 20 und 23 Jahren angeklagt. Sie hatten laut Anklage im Mai vergangenen Jahres zwei Aussiedler vor einer Diskothek in Wittstock brutal attackiert und unter anderem auf den
am Boden liegenden 24-jährigen Kajrat Batesov einen 17 Kilogramm schweren Stein geschleudert. Er starb drei Wochen später im Koma. Sein Begleiter überlebte den Angriff schwer verletzt. Das Gericht sah eine rechtsextreme Motivation der Täter für nicht erwiesen an, konnte aber nach eigenen
Angaben das eigentliche Motiv nicht aufklären. Die Staatsanwaltschaft hatte für die drei Haupttäter acht, neun und zwölf Jahre Haft gefordert.
Gewaltsamer Tod eines Russlanddeutschen in Wittstock
(MOZ) Neuruppin (ddp-lbg). Im Prozess um die Tötung eines kasachischen Aussiedlers in Wittstock wurden am Montag die Urteile gesprochen. Die Nachrichtenagentur ddp dokumentiert die Geschehnisse seit der Tat im Mai 2002:
4. Mai 2002 — In den Morgenstunden werden zwei kasachische Aussiedler vor einer Tanzgaststätte im Wittstocker Ortsteil Alt Daber zusammengeschlagen.
Auf den schon am Boden liegenden 24-jährigen Kajrat Batesov wird ein 17 Kilogramm schwerer Feldstein geworfen. Sein Begleiter kommt mit leichten Verletzungen davon. 23. Mai — Batesov erliegt im Krankenhaus seinen inneren Verletzungen. 7. Juni — Schweigemarsch von 200 Menschen zum Gedenken
an den Getöteten durch Wittstock.
4. Oktober — Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage wegen Totschlags gegen vier Beschuldigte und wegen gefährlicher Körperverletzung gegen einen fünften Mann.
8. Januar 2003 — Prozessbeginn vor dem Landgericht Neuruppin. Die fünf Angeklagten machen an den ersten Verhandlungstagen keine Aussagen darüber, wer den Stein geworfen hat.
20. Februar — Wende im Prozess: Der in der Anklage als Steinewerfer benannte Marko F. erklärt, dass Patrick S. den Stein geworfen habe.
24. Februar — Der Staatsanwalt fordert vier bis zwölf Jahre Haft für vier Angeklagte und eine anderthalbjährige Bewährungsstrafe für den fünften Beschuldigten. Einen Tag später plädieren die Verteidiger auf Freispruch
oder geringe Strafen.
3. März — Das Landgericht Neuruppin verurteilt den 23-jährigen Patrick S. als Steinewerfer wegen Totschlags zu 10 Jahren Haft. Weitere zwei Mittäter müssen wegen Totschlags oder versuchten Totschlags für sechs und sieben Jahre hinter Gitter. Ein vierter Angeklagter erhält wegen Vollrauschs zweieinhalb Jahre. In einem Fall spricht die Kammer eine einjährige Bewährungsstrafe aus.
Zehn Jahre Haft für Steinewerfer von Wittstock
Hohe Strafen im Prozess um Tod eines Aussiedlers
(Berliner Zeitung) NEURUPPIN. Regungslos und mit gesenktem Blick vernimmt Patrick S. das
Urteil: Für zehn Jahre muss der 23-jährige Wittstocker hinter Gitter. Das
Neuruppiner Landgericht verurteilte ihn am Montag wegen Totschlags und
versuchten Totschlags. Nach Überzeugung der Kammer war er es, der in der
Nacht zum 4. Mai 2002 vor einer Diskothek im Wittstocker Ortsteil Alt-Daber
einen 17 Kilogramm schweren Stein auf zwei kasachische Aussiedler warf. Er
und seine vier Kumpane, die Strafen zwischen einem und sieben Jahren
erhielten, hatten die beiden Männer zuvor zusammengeschlagen.
Die Tat hatte weithin für Entsetzen gesorgt. Zunächst war von einem
rechtsextremistischen Hintergrund ausgegangen worden. Doch die fünf Männer
sind keine Skinheads. Dass “normale, intelligente junge Menschen” so eine
Tat begehen, habe die Öffentlichkeit besonders erschüttert, sagte die
Vorsitzende Richterin Gisela Thaeren-Daig. Freilich habe unterschwellig auch
eine “diffuse Fremdenfeindlichkeit” mitgeschwungen.
Ein echtes Motiv für die Tat konnte die Kammer aber nicht ausmachen. Nach
der Disko habe sich zwischen den heute 20 bis 23 Jahre alten Angeklagten und
den beiden Russlanddeutschen ein Streit entwickelt, sagte die Richterin.
Mehrere der Beschuldigten hätten die späteren Opfer dann angegriffen,
geschlagen und — als die Männer schon am Boden lagen — noch immer
zugetreten. Patrick S. habe dann den Gesteinsbrocken genommen und in
Tötungsabsicht nacheinander auf die Opfer geworfen. Den 24-jährigen Kajrat
Batesov traf der Stein auf Brust oder Bauch und zerriss Magen und Leber. Der
Mann erlag drei Wochen später seinen Verletzungen. Sein drei Jahre jüngerer
Freund Maxim K. hatte mehr “Glück”, er kam mit einer Hüftprellung davon.
Die Angeklagten und auch die zahlreichen Zeugen vor der Disko bauten eine
“Mauer des Schweigens” auf. So war in der Anklage noch Marko F. (21) als
Steinewerfer beschuldigt worden. Erst am zwölften Prozesstag benannte Marko
F. seinen Freund Patrick als den wahren Täter. Die Kammer hielt die Aussage
für glaubwürdig, hatte doch der Prozessverlauf schon einige Indizien in
diese Richtung gebracht.
Das Gericht hielt Patrick S. vor, er habe sich immer wieder in Widersprüche
verwickelt sowie Zeugen und seine Mitbeschuldigten zu beeinflussen versucht.
Mindestens fünf der Zeugen warf Richterin Thaeren-Daig zudem Falschaussage
vor.
Patrick S. bestritt bis zuletzt seine Schuld. Sein Anwalt kündigte
unmittelbar nach der Urteilsverkündung Revision an.
Die Wahrheit von Sebnitz heißt Wittstock
(Berliner Zeitung) Erinnert sich noch jemand, was vor ein paar Jahren in Sebnitz nicht
geschehen ist? Weiß noch einer, dass damals ein kleiner Junge nicht vor den
Augen der Gäste eines Freibads von einer Horde Neonazis ermordet wurde,
sondern unbemerkt ertrunken ist? Wer das noch weiß, der erinnert sich auch
an die Erleichterung, die nach der Aufklärung des vermeintlichen Verbrechens
als Unfall die Gesellschaft erfasste: Die Schande von Sebnitz war in
Wahrheit eine Schande der Medien, die für wirklich erklärten, was in
Deutschland unmöglich ist — die Hinrichtung eines Menschen durch tobsüchtige
Jugendliche in aller — teilnahmslosen — Öffentlichkeit. Aber Sebnitz hat
tatsächlich stattgefunden, nur heißt es Wittstock. Ertränkt wurde kein Kind,
mit einem 17 Kilogramm schweren Feldstein wurde der 23 Jahre alte
Russlanddeutsche Kajrat Batesov zerschmettert. Nicht Badegäste haben
schweigend zugesehen, sondern einige Dutzend Diskothekenbesucher.
“Es kann nicht sein, wie uns hier eine ganze Stadt wie gedruckt belügt und
auf der Nase herumtanzt.” Doch eben so — wie es die Anwältin der Mutter
Batesovs beklagte — ist es während des gesamten Prozesses gegen die fünf
angeklagten Jugendlichen gewesen. Gestern hat das Landgericht Neuruppin die
Täter zu teilweise langjährigen Freiheitsstrafen wegen Totschlags
verurteilt. Die Justiz kann nur die Täter belangen. Was aber soll mit den
verschwiegenen Bewohnern Wittstocks geschehen, was mit den
Diskothekenbesuchern, die ungerührt die Tötung Karjat Batesows verfolgten?
Soweit die neuesten Nachrichten aus der deutschen Zivilges
ellschaft.
Die “sozial angepassten” Männer haben brutal zugeschlagen
Gericht verurteilt Haupttäter wegen der Tötung eines jungen Aussiedlers in
Wittstock zu zehn Jahren Haft
(Frankfurter Rundschau) Für die Tötung eines Russlanddeutschen im brandenburgischen Wittstock sind
fünf junge Männer zu Haftstrafen bis zu zehn Jahren verurteilt worden.
Obwohl die Täter ihr Opfer als “Scheiß-Russe” beschimpft hatten, sah das
Gericht Fremdenfeindlichkeit nicht als zentrales Tatmotiv an. Mehrere
Verteidiger kündigten Revision an.
Das Neuruppiner Landgericht hat den Totschlag an dem
24-jährigen Aussiedler Kajrat Batesov vom vorigen Mai aufgeklärt, obwohl
zahlreiche Zeugen die Täter zu decken versuchten. Der 23-jährige frühere
Dachdecker-Lehrling Patrick Sch. wurde am Montag als Haupttäter zu zehn
Jahren Haft verurteilt. Er soll nach den Erkenntnissen des Gerichts einen
fast 18 Kilogramm schweren Feldstein auf den bereits am Boden liegenden
Batesov geworfen haben. Der Aussiedler starb drei Wochen später an seinen
schweren inneren Verletzungen. Sch. warf den Stein auch auf Batesovs Freund
Maxim K., der am Leben blieb.
Drei der Angeklagten hatten die beiden Aussiedler nach einer
Disco-Veranstaltung bereits krankenhausreif geschlagen und getreten, ehe
Sch. den Stein heranschleppte. Sie erhielten Haftstrafen zwischen
zweieinhalb und sieben Jahren. Der fünfte Angeklagte hatte versucht, eines
der Opfer zu schlagen, und die Mittäter nicht aufgehalten. Er kam mit einem
Jahr Haft auf Bewährung davon und muss 500 Euro an Maxim K. zahlen.
Mindestens zwei der Verurteilten wollen beim Bundesgerichtshof in die
Revision gehen.
Auf 14 Zeugen des Prozesses kommen Verfahren wegen falscher Aussagen zu.
Ihnen drohen Strafen bis zu drei Jahren Haft. Obwohl mehrere Dutzend
Menschen der Tat zugesehen hatten, wollte vor Gericht keiner der
Discobesucher die Steinwürfe beobachtet haben. In einer Kneipe namens
“Alibi” hatten mehrere der Beteiligten sich nach Zeugenaussagen
abgesprochen, nicht die Wahrheit zu sagen. Erst in der vergangenen Woche
hatte der 22-jährige Marko F., in dem die Anklage ursprünglich den
Haupttäter gesehen hatte, seinen Freund Patrick Sch. vor Gericht belastet.
Beide hatten an dem Abend Alkohol und Kokain konsumiert.
Die Vorsitzende Richterin Gisela Thaeren-Daig nannte die Verurteilten “im
Wesentlichen intelligente, sozial angepasste, von ihren Familien geliebte
Menschen”. Sie passten nicht in das Bild dumpfer rechter Schläger und hätten
nach dem Verbrechen gehofft, dass “die Glatzen” verantwortlich gemacht
würden. Die Täter hatten sich selbst als “Techno-Clique” beschrieben und
nicht als Teil der rechtsextremen Szene, die in Wittstock von der NPD
dominiert wird.
Richterin Thaeren-Daig sagte, Fremdenhass liege nicht in dem Sinne vor, dass
niedrige Beweggründe berücksichtigt werden müssten. Allerdings schwinge bei
der Tat “diffuse Fremdenfeindlichkeit” mit. So hätten es die Täter “als
Unverschämtheit empfunden”, dass “ausgerechnet die Fremden” sie nach
Zigaretten gefragt hätten.
F. hatte sein Opfer mindestens zehn Mal hart getreten und gerufen: “Bleib
endlich liegen, Scheiß-Russe”. Im Prozess hatte er ausgesagt, dies sei
“nicht ausländerfeindlich gewesen, ich kannte ja seinen Namen nicht”. Der
Angeklagte Ralf A. soll, als er auf dem von ihm verprügelten Batesov saß,
auf ihn gezeigt und etwas über “unser Land” gesagt haben. Der Angeklagte
Mike S., auf dessen beschlagnahmtem Handy die Polizei im Jahr 2001 ein
Hakenkreuz-Symbol fand, hatte seine Gesinnung als “normal” beschrieben.
“Dass ich niemals rechts war, will ich nicht sagen”, gab er zu.
Zehn Jahre Haft für Feldstein-Attacke auf Aussiedler
Gericht in Neuruppin verhängt hohe Strafen gegen weitere vier Tatbeteiligte
Die Nacht zum 4. Mai 2002 wird Werner Backhaus nicht vergessen. Der Mann aus
Alt Daber bei Wittstock wurde durch Schreie aus dem Schlaf gerissen, schaute
aus dem Fenster und wurde so zum Zeugen der brutalen Tötung eines
24-jährigen Russlanddeutschen — mit einem fast 18 Kilogramm schweren
Feldstein.
Gestern Vormittag verhängte das Landgericht Neuruppin hohe Freiheitsstrafen
gegen die Hauptbeteiligten der grässlichen Tat. “Herr Backhaus sah den
Steinewerfer, seine Beschreibung passte letztlich nur auf einen — den
23-jährigen Haupttäter”, sagte Richterin Gisela Thaeren-Daig in der
Urteilsbegründung. Dieser muss jetzt wegen Totschlags und gefährlicher
Körperverletzung für zehn Jahre hinter Gitter.
Seine beiden Hauptkomplizen im Alter von 22 und 21 Jahren sollen sieben und
sechs Jahre Haft wegen Totschlags beziehungsweise gefährlicher
Körperverletzung verbüßen; ein 20-Jähriger kam wegen seines damaligen
Vollrausches mit zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe davon, ein Fünfter wegen
geringfügiger Tatbeteiligung mit einem Jahr Haft auf Bewährung.
Der gesamte Prozess, der seit Januar vor dem Landgericht Neuruppin lief,
glich einem riesigen Puzzle. “Eine Gruppe Einheimischer ging aus nichtigem
Anlass auf Aussiedler los — aber keiner will etwas gesehen haben”, beschrieb
es die Richterin. Der Angriff der Übermacht “aus Imponiergehabe und
Hemmungslosigkeit nach Alkohol und Drogen” begann mit Schlägen und Tritten
und gipfelte darin, dass ein 17,7 Kilogramm schwerer Feldstein auf beide
Opfer geworfen wurde. Obwohl viele Disco-Besucher vor dem Lokal stehen,
greift keiner ein.
Schon kurz nach dem Vorfall sei den Schlägern offenbar klar geworden, was
sie getan haben, vermutet Thaeren-Daig. So kommen vor Gericht heimliche
Absprachen ans Licht. Und obwohl es ein Großteil der 50 Zeugen nicht so
genau mit der Wahrheit zu nehmen scheint, wendet sich das Blatt.
Denn kurz vor dem Ende des Prozesses bezichtigt der bisherige
Hauptverdächtige — ein 21-jähriger Maurerlehrling — seinen 23-jährigen
Freund als den Steinewerfer. “Das hast Du mir doch erzählt”, sagt er ihm im
Gerichtssaal auf den Kopf zu.
Hohe Strafen im Prozess um Aussiedler-Tod
Bis zu zehn Jahre für junge Männer, die Kajrat Batesov nach der Disko
totschlugen / Verteidiger will Urteil anfechten
(Tagesspiegel) Neuruppin. Mit teils harten, teils milden Strafen hat das Landgericht
Neuruppin den gewaltsamen Tod des Aussiedlers Kajrat Batesov und die
Misshandlung seines Freundes Maxim Kartagusov geahndet. Der Haupttäter
Patrick Sch. erhielt zehn Jahre Haft wegen Totschlags, versuchten Totschlags
und zwei weiterer Delikte. Sch. (23) hatte während der Prügelorgie in der
Nacht zum 4. Mai 2002 vor einem Wittstocker Tanzlokal einen fast 18
Kilogramm schweren Feldstein auf die Aussiedler geworfen. Der 24-jährige
Batesov starb knapp drei Wochen später im Krankenhaus Pritzwalk an inneren
Verletzungen.
Den Angeklagten Ralf A. verurteilte die Jugendkammer unter Vorsitz von
Richterin Gisela Thaeren-Daig zu sieben Jahren Haft. Der 22-jährige A. hatte
auf Batesov gesessen und ihm mit beiden Fäusten ins Gesicht geschlagen.
Marko F. (21), den die Staatsanwaltschaft ursprünglich für den Steinwerfer
hielt und der vor der Tat mit Patrick Sch. Kokain konsumiert hatte, muss für
seine Schläge und Tritte sechs Jahre hinter Gitter. Der zur Tatzeit
betrunkene Mike Sch., der auf Maxim Kartagusov eingetreten hatte, wurde
wegen vorsätzlichen Vollrauschs zu zweieinhalb Jahren verurteilt. Die Kammer
hob jedoch den Haftbefehl auf, Sch. konnte den Saal als freier Mann
verlassen. Der fünfte Angeklagte, Michael H., bekam mit einem Jahr auf
Bewährung. Er hatte versucht, Maxim Kartagusov einen Faustschlag zu
versetzen.
Aufgewühlt und offenbar nicht einverstanden vernahmen die Mutter und der
Bruder von Kajrat Batesov sowie Maxim Kartagusov das Urteil. Die drei
wollten sich aber n
icht äußern. Ihre Anwältinnen hatten auf Mord plädiert
und den Angeklagten ein rassistisches Motiv vorgeworfen. Die Jugendkammer
konnte jedoch bei der Tat nur eine diffuse, unterschwellig mitschwingende
Fremdenfeindlichkeit erkennen. Die Angeklagten hätten wegen einer
vermeintlichen Unverschämtheit der beiden Aussiedler gemeint, sie müssten
“das eigene Revier verteidigen”.
Batesov und Kartagusov sollen nach dem Ende einer Techno-Disko in dem
Wittstocker Lokal die Täterclique um Zigaretten gebeten haben. Thaeren-Daig
hielt den Angeklagten “Alkoholisierung, Selbstüberschätzung und
Imponiergehabe” vor. Scharfe Kritik äußerte die Richterin auch an den vielen
jungen Zeugen, die mit den fünf Tätern befreundet sind und sie mit falschen
Angaben entlasten wollten. Das Verhalten dieser “lügenden Mittäter” sei
“gewissenlos, verantwortungslos und feige”. Die Kammer habe aber dennoch den
Tatablauf aufklären können. Gegen 14 Zeugen ermittelt die
Staatsanwaltschaft — wegen Falschaussage.
In seinem Plädoyer hatte Staatsanwalt Kai Clement härtere Strafen gefordert,
aber auf eine Revision wird er vermutlich trotzdem verzichten. Der
Verteidiger von Patrick Sch., der Freispruch gefordert hatte, will das
Urteil anfechten. Die gegen Sch. verhängten zehn Jahre Haft werden sich noch
verlängern, da der Schläger wegen eines anderen Delikts eine Strafe von 14
Monaten offen hat. Die Haft war zur Bewährung ausgesetzt, sie wird nun
widerrufen.
Abweichend von der üblichen Praxis ließ die Jugendkammer im Fall zweier
Angeklagter, die zur Tatzeit noch keine 21 Jahre alt waren, nicht das
Jugendstrafrecht gelten. Marko F. und Mike Sch. hätten weder jugendtypisches
Fehlverhalten gezeigt, noch seien Entwicklungsrückstände zu erkennen.
Kalter Fremdenhass
Das war ein erschreckender Prozess, nicht nur wegen der Brutalität der
Täter. In dem Verfahren zum Tod des Aussiedlers Kajrat Batesov haben viele
junge Zeugen vor dem Landgericht Neuruppin bewusst falsch ausgesagt — und
damit das Opfer, seine Angehörigen und den auch in der Tatnacht verprügelten
Maxim Kartagusov verhöhnt. Es rührte die Freunde der Angeklagten nicht, dass
Batesovs Mutter weinend schilderte, wie sie und ihre Familie leiden.
Kaltschnäuzig logen die Zeugen, um die Angeklagten vor der Strafe zu
schützen. Das Erschrecken nimmt noch zu, schaut man sich die Zeugen genauer
an: Es sind keine Neonazis, sondern unpolitisch wirkende Techno-Fans. Doch
reichte ihre Verachtung für die “Russen” aus, um vor Gericht verstockt
aufzutreten wie die Anhänger einer Politsekte. So haben die jungen Zeugen
demonstriert, woran Brandenburg auch 13 Jahre nach der Wende noch immer
leidet: am ganz normalen, chronischen Fremdenhass.
“Diffuse Fremdenfeindlichkeit” verurteilt
Hohe Haftstrafen für fünf junge Männer, die einen Russlanddeutschen mit
einem großen Feldstein töteten
WITTSTOCK taz Wittstocks Bürgermeister Lutz Scheidemann (FDP) zeigte sich
am Tag der Urteilsverkündung im Prozess um den gewaltsamen Tod des
24-jährigen Russlanddeutschen Kajrat B. erleichtert. Wittstock sei “nicht
rechter als andere Städte in Brandenburg”, verkündete der Bürgermeister
flugs im Radio. Es sollte beruhigend klingen.
Schon vor Prozessende hatte Scheidemann hohe Haftstrafen für die fünf
Angeklagten gefordert, die gestern im Landgericht Neuruppin das Urteil
regungslos und mit gesenkten Köpfen entgegennahmen. An der Realität in
seiner Stadt ändert das wenig.
Zehn Jahre Haft wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung, sieben
und sechs Jahren Haft wegen Totschlags beziehungsweise gefährlicher
Körperverletzung, zweieinhalb Jahre Haft wegen Misshandlungen: so endete ein
Prozess gegen fünf junge Technofans, den Richterin Gisela Thaeren-Daig als
“Puzzle” bezeichnete.
Ein Großteil der über 50 Zeugen versuchte, die Angeklagten zu schützen. “Die
Männer passen nicht ins Bild brutaler rechter Schläger, aber eine diffuse
Fremdenfeindlichkeit schwang die ganze Zeit unterschwellig mit”, beschrieb
sie das Ergebnis einer schwierigen Motivsuche. Eine explizit rechtsextreme
Motivation verneinte das Gericht.
Dominique John vom Potsdamer Verein “Opferperspektive”, der die
Hinterbliebenen von Kajrat B. unterstützt, spricht von “fließenden
Übergängen” zwischen der organisierten Glatzenszene in Wittstock und der
Technoszene, der sich die fünf Angeklagten und ihre Freunde zugehörig
fühlen. “Die Dresscodes und die Musik unterscheiden sich”, so John.
Rassistische und fremdenfeindliche Ideologiefragmente seien inzwischen
jedoch Bestandteil einer jugendlichen Alltagskultur, die weit über die
organisierte rechte Szene hinausreiche. John verweist auf Zeugen im Prozess,
die von mehreren Prügeleien während der Technoveranstaltung berichteten, an
deren Ende Kajrat B. tödlich verletzt wurde. “Alle anderen Streite wurden
letztendlich geschlichtet. Doch als auf die am Boden liegenden
Russlanddeutschen eingeschlagen und eingetreten wurde, schritt niemand ein”,
so John. Beobachtungen, die von der Polizeistatistik gestützt werden. Auf
einen 40-prozentigen Anstieg rechter Straftaten in der Region im Jahr 2001
reagierte das Potsdamer Innenministerium mit der Entsendung einer
Sonderkommission “Täterorientierte Maßnahmen gegen extremistische Gewalt” -
der siebten im Land.
Die Angehörigen von Kajrat B. sind offenbar nicht davon überzeugt, dass ihre
Sicherheit in Wittstock gewährleistet ist. Raissa B., Mutter des getöteten
Kajrat B., und ihr jüngerer Sohn, haben Wittstock verlassen und leben nun in
Baden-Württemberg. Andere Opfer rassistischer Gewalt gingen vor ihnen. Eine
russlanddeutsche Familie zog nach einem schweren Angriff auf zwei Söhne ins
nahe Neuruppin. Auch der 19-jährige afrodeutsche Manuel G., der im Mai 2001
in der Wohnung eines Freundes von einem Dutzend Neonazis überfallen wurde
und sich nur durch einen Sprung vom Balkon retten konnte, hat Wittstock
verlassen. Kurz nach dem Angriff auf Manuel hatte sich ein Wittstocker
Bündnis für Toleranz gegründet. Dessen Ziel, den Exodus all derer, die nicht
ins rechte Weltbild passen, aus Wittstock zu stoppen, wird noch einiges an
Engagement erfordern. Der Verein “Opferperspektive” bittet derweil um
Spenden für einen Grabstein für den 24-jähringen Vater eines Kleinkinds.