Wer bisher davon ausgegangen war, dass die «Vernichtung lebensunwerten
Lebens» eine Erfindung der Nazis im «Dritten Reich» war, der wurde am
Mittwochabend während der Vortragsveranstaltung «Kinder und Jugendliche in
brandenburgischen Landesanstalten in der NS-Zeit» mit Dr. Thomas Beddies
eines Anderen belehrt. Schon sehr viel früher, nach dem ersten Weltkrieg,
sei darüber nachgedacht worden, scheinbar wissenschaftlich begründet, sagte
der Referent. Er hielt seinen Vortrag im Rahmen der Ausstellung
«Stolpersteine» im Lübbener Stadt- und Regionalmuseum.
Schüler kamen zu spät
Es war ein ärgerlich, dass ausgerechnet eine Gruppe Schüler um einige
Minuten zu spät kam und früher ging, was vor allem zu Beginn zur
Unterbrechung des Vortrags und zu einiger Unruhe führte.
Was die doch recht zahlreich erschienen Zuschauer anschließend hörten, hatte
zwar nur am Rande auch mit der Lübbener Landesklinik und ihrer Rolle in der
NS-Zeit zu tun, weil Lübben etwas abseits lag, brachte aber doch
erschreckende Erkenntnisse über ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte,
von dem bisher wenig zu hören war: «Kinder und Jugendliche in der Medizin
der NS-Zeit» .
Beddies geht davon aus, dass insgesamt 250 000 bis 300 000 psychisch Kranke,
geistig Behinderte und andere ermordet wurden, darunter auch Tausende
Kinder. Sie seien nicht getötet worden, sagte Beddies, sonder ermordet. Auch
könne nicht von Euthanasie gesprochen werden, weil «Eu» gut bedeute und ein
großes Maß an Selbstbestimmung voraussetze. Hier aber seien Menschen
heimtückisch umgebracht worden. Sie hätten nicht gewusst, was sie erwartet,
als sie «zum Duschen» in die Gaskammern geschickt oder medikamentös zu Tode
behandelt wurden.
Der Referent sprach von «Medizinverbrechen» , für die es auch in der NS-Zeit
keine Rechtfertigung in Form von Gesetzen gegeben habe. Lediglich auf ein
Schreiben von Hitler beriefen sich damals die Mediziner. Dort war vom
«Gnadentod» für «unheilbar Kranke» gesprochen und dann sehr rigide ausgelegt
worden.
Traurige Höhepunkte regelrechter Aktionen sei die Erfassung von Kindern mit
erb- und anlagebedingten Krankheiten gewesen. Rund 100 000 seien erfasst und
etwa 80 000 als heilbar ausgesondert worden. Von den restlichen 20 000 seien
die Gutachten durchgesehen worden mit der Überlegung, ob Kinder weiterleben
sollten. Wer getötet werden sollte, wurde in «Kinderfachabteilungen» von
Krankenhäusern gebracht, wurde nicht oder falsch behandelt, einige
«abgespritzt» , wie Beddies sagte. 5000 Kinder seien so ermordet worden,
sagte er.
Lübbener in Gaskammer
Später, während des Krieges, habe es weitere Aktionen gegeben. Alle mit dem
Ziel, Platz zu machen in den Kliniken und Lazaretten für verwundete
Soldaten, «unnötige Esser kostensparend zu beseitigen» , wie Beddies sagte.
Dafür wurde Gas eingesetzt. Diese Aktionen seien dann Vorbild für die so
genannte «Endlösung der Judenfrage» gewesen. Es seien, sagte der Referent,
auch sehr viele Kinder aus der Lübbener Anstalt «in den Gaskammer
verschwunden»