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Journalistenzeuge: Es sah aus wie auf einer Müllkippe

(Pots­damer Neueste Nachricht­en, Gabriele Hohenstein)
„Die Polizis­ten kamen raus. Unmit­tel­bar danach bin ich mit der Kamera
rein“, schilderte Tim Jäger (30) gestern im Zeu­gen­stand. Der damals für das
Pots­damer Stadt­fernse­hen tätige Jour­nal­ist doku­men­tierte am 27. August 2001 den
Zus­tand des alter­na­tiv­en Wohn­pro­jek­ts Rudolf-Bre­itscheid-Straße 6, nach­dem es zwei
Tage zuvor von der Polizei geräumt wurde. Anlass der Stür­mung waren vermeintliche
Stein­würfe aus dem Gebäude her­aus auf gewalt­bere­ite Hertha-Fans im Anschluß an ein
Fußballpokalspiel zwis­chen Babels­berg 03 und Hertha BSC. Lutz Boede von der Kampagne
gegen Wehrpflicht, Zwangs­di­en­ste und Mil­itär erhob danach in ein­er in den PNN
veröf­fentlicht­en Erk­lärung schwere Vor­würfe gegen die an der Aktion beteiligten
Polizeibeamten. So sollen Mit­glieder der Lan­de­sein­satzein­heit (LESE) sowie des
Ein­satztrup­ps der Krim­i­nalpolizei in dem Gebäude Schränke umge­wor­fen, Plattenspieler
und Box­en zer­schla­gen, Schallplat­ten in der Mitte durchge­brochen, sich an Getränken
sowie Bargeld der Bewohn­er bedi­ent sowie auf Pol­ster­mö­bel und hin­ter den Tre­sen des
Par­tyraums uriniert haben. „So ähn­lich pfle­gen Erober­er in beset­zten Gebieten
zu wüten“, stellte Boede fest. Bei der Fes­t­nahme hät­ten die Gefan­genen, die
von den Polizis­ten als Zeck­en und Schlam­p­en beschimpft wor­den seien, eine halbe
Stunde lang mit auf dem Rück­en ver­schnürten Hän­den bäuch­lings auf dem Bürgersteig
liegen müssen. Der dama­lige Polizeipräsi­dent Detlef von Schw­erin erstattete
Strafanzeige gegen Lutz Boede. Seit dem 6. Jan­u­ar muss sich der Kampagneaktivist
wegen übler Nachrede vor dem Amts­gere­icht ver­ant­worten (PNN berichteten).
Ihm habe sich nach der Durch­suchung durch die Polizei nicht der „übliche
Zus­tand eines Haus­es geboten, auch nicht eines Haus­es aus der Besetzerszene“,
betonte Fernse­hjour­nal­ist Tim Jäger am gestri­gen drit­ten Ver­hand­lungstag. Der
gesamte Haus­rat sei zu Bergen aufgetürmt wor­den. „Es sah aus wie auf einer
Mül­lkippe. Deut­lich erin­nere ich mich an eine angek­nack­ste Musikan­lage und kaputte
Plat­ten.“ Uringeruch habe er nicht wahrgenom­men. „Ich habe auch nicht
gese­hen, dass die Polizis­ten Wasser­flaschen der Bewohn­er aus­getrunk­en haben“,
berichtete der Zeuge. Während die bis­lang im Prozess ver­nomme­nen Polizeibeamten
erk­lärt hat­ten, höflich und kor­rekt vorge­gan­gen zu sein – auch wenn in
Augen­schein genommene Videos dem Hohn sprechen -, gab LESE-Einsatzabschnittsleiter
Detlef A. nun zu: „Auszuschließen ist gar nichts, wenn der Adrenalienspiegel
entsprechend hoch ist.“ Allerd­ings habe er nichts der­ar­tiges vernommen.
Beamte, die ein men­schlich­es Bedürf­nis ver­spürt hät­ten, seien „per
Toi­let­ten­wa­gen“ zur Wache nach Babels­berg gefahren wor­den. Getränke hät­ten die
Polizis­ten an der Jet-Tankstelle Großbeeren­straße gekauft. Die entsprechende
Quit­tung läge in der Akte. (Dort befind­et sich zwar ein Belegex­em­plar über den
Erwerb von Sel­ter­swass­er – abgestem­pelt ist es allerd­ings an der
„Tanke“ in der Pots­damer Straße.) Die Ver­hand­lung wird am 27. Januar
fortgesetzt. 


Am 27.01. geht es 9.30 Uhr am Amts­gericht Pots­dam mit der Vernehmung unab­hängiger Zeu­gen, an der Durch­suchung beteiligter Polizis­ten und dem Video der Hausbewohner
weit­er, auf dem der Auf­marsch der Herthanazis doku­men­tiert ist.

Die bish­eri­gen Prozesstage im Infori­ot Archiv

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