KÖNIGS WUSTERHAUSEN/POTSDAM In Brandenburgs einziger Jugendarrestanstalt in
Königs Wusterhausen (Dahme-Spreewald) herrschen offenbar seit langem
unhaltbare Zustände. Anstaltsmitarbeiter, so berichtete ein Insider der MAZ,
würden von den jugendlichen Insassen Wäschegeld kassieren und in schwarzen
Kassen verschwinden lassen. Auf Staatskosten würden sich etliche Bedienstete
zudem täglich Essensrationen einverleiben, die für die Arrestanten bestimmt
sind. Statt erforderlichen 20 würden etwa 30 Rationen bestellt. “Mittags
werden sogar Schüsseln für die Familien abgefüllt”, beschreibt der Insider
die Situation. “Die Jugendlichen beschweren sich, dass die Beamten die
großen Portionen nehmen und für sie weniger übrig bleibt.” Die Folgen für
die Erziehung der jungen Straftäter seien verheerend: Das
Antiaggressionstraining, auch dies bezahlt mit Steuergeld, werde durch die
tägliche Erfahrung dieser Ungerechtigkeit ad absurdum geführt.
Das ist nur ein Teil der Missstände, über die ein Beamter Brandenburgs
Justizministerin Barbara Richstein (CDU) seit Anfang Juli — wenn auch
anonym — mehrfach detailliert informiert hat. Ernsthaftere
Aufklärungsbemühungen des Ministeriums sind jedoch erst seit zwei Wochen
erkennbar. Anfang Oktober sei die Anstaltsleiterin aufgefordert worden, zu
den Vorwürfen in einem Bericht Stellung zu nehmen, so Richsteins Büroleiter
Andreas Dielitz. Die Sache werde jetzt “mit Vordringlichkeit behandelt” und
“rückhaltlos aufgeklärt”. Sobald das Berichtsergebnis vorliege, werde
geprüft, ob disziplinarrechtliche Maßnahmen ausreichten, um die mutmaßlichen
Verstöße zu ahnden, oder ob die Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden
müsse, so Dielitz.
Die Liste der vermeintlichen Missstände in der Arrestanstalt ist lang. Es
ist nicht nur die Rede von schwarzen Kassen und Essensbetrug zu Lasten des
Staatskasse. Offenbar nehmen es manche Beamte auch mit der Dienstzeit nicht
allzu ernst. Mehrere Mitarbeiter, darunter die Führungsriege der Anstalt,
spiele während der Dienstzeit täglich zwei Stunden Skat. Dies werde von der
Anstaltsleiterin geduldet, die zwar informiert sei, aber nicht einschreite.
Die Anstaltsleiterin — die hauptberuflich als stellvertretende
Amtsgerichtsdirektorin tätig ist und vermutlich deshalb nur einmal in der
Woche in Königs Wusterhausen nach dem rechten schauen kann — war gestern
offenbar nicht im Dienst und deshalb nicht erreichbar.
Unter den mutmaßlichen Missständen leidet wohl auch die Erziehungsarbeit mit
den Jugendlichen. Versäumnisse gerade in diesem Bereich könnten sich
schlimmstenfalls in einer erhöhten Strafrückfälligkeit der jungen
Delinquenten niederschlagen — und dies, obwohl die Arrestanstalt für die
Jugendlichen die letzte Station zur Bewährung und Besserung vor einer
Gefängnishaft sein soll.
So wird nach Angaben des Insiders eine qualifizierte Arbeit der Erzieherin
durch den Verwaltungsdienstleiter behindert, der in Abwesenheit der
Anstaltsleiterin die Geschäfte führt. “Die Erzieherin verrichtet Arbeiten,
die gar nichts mit ihrem Aufgabenbereich zu tun haben (z. B. montags bei der
Aufnahme der Arrestanten die Empfangsdame zu spielen”, heißt es in dem
Schreiben an Ministerin Richstein von Anfang Juli 2003. Die Erzieherin sei
zum “Laufburschen” des Verwaltungsdienstleiters degradiert worden, zuständig
für Botengänge und fürs Kaffeekochen, beschreibt der Insider das
Anstaltsinnenleben gegenüber der MAZ.
Neben Mobbing und einem Küchenmitarbeiter mit angeblichen Hautkrankheiten an
den Händen beklagt der Beamte, dass Vorgesetzte ihre Untergebenen vor den
Arrestanten anschreien und so die Autorität der Anstaltsmitarbeiter
untergraben.
Nach anfänglicher Zurückhaltung bekundet das Justizministerium nun
deutlichen Aufklärungswillen. Inzwischen heißt es, dass der derzeit noch
anonyme Mitarbeiter “zu belobigen” sei, wenn sich die von ihm benannten
Missstände bewahrheiteten. Davon ist möglicherweise auch abhängig, ob die
übrigen Haftanstalten des Landes auf vergleichbare Missstände überprüft
würden, so Richsteins Büroleiter Dielitz.