Am 25.07.07 war in Potsdams Zeitungen zu lesen, das nach Erkenntnissen des
Bügermeisters Jann Jakobs keine organisierte rechte Szene mehr in
Potsdam festzustellen sei. Er stützt sich dabei auf den
Rechenschaftsbericht des Potsdamer Beirats zur Umsetzung des Lokalen
Aktionsplanes für Toleranz und Demokratie. Dieser beobachtet seit 2005
die rechte Szene in Potsdam näher und setzt sich aus den verschiedensten
gesellschaftlichen Kräften zusammen. Es arbeiten dort Mitglieder des
Ausländerbeirates, der Polizei, der Kirchen, der Gewerkschaften, der
Stadtverwaltung, der Vereine und Fraktionen der
Stadtverordnetenversammlung Hand in Hand. Sie fordern unter anderem eine
generelle Zusammenarbeit von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten zur
Bekämpfung von Rechtsextremismus.
Uns hingegen liegen Erkenntnisse vor, denen zu Folge sich in Potsdam auch
durchaus nach den Verurteilungen führender Neonazis eine rechte Szene
gebildet hat, welche ihrem Auftreten gemäß als organisiert gelten darf.
Der Verfassungsschutz hingegen berichtet, es gäbe keine rechtsextremen
Parteistrukturen und keine rechten Kameradschaften. Vielmehr sei von einer
unorganisierten Szene zu sprechen. Tatsächlich wird aber von jenen
“unorganisierten Kräften” eine Annäherung an Kreise der NPD gesucht,
indem beispielsweise deren Wahlkampfveranstaltungen unterstützt werden
oder als Ordner auf deren Demonstrationen aufgetreten wird.
Gemeinsam
werden bundesweit zahlreiche Demonstrationen besucht und unter den Labeln
“Alternative Jugend Potsdam” und “Freie Kräfte Potsdam” werden
dort Transparente gezeigt. Auch zu so genannten Spontandemonstrationen
gelingt es innerhalb der rechten Szene Potsdams binnen kürzester Zeit
größere Menschengruppen zu mobilisieren.
So zogen beispielsweise am
15.02.2007 ca. 25–30 schwarz gekleidete Personen teils mit Fackeln und
Transparent durch die Brandenburger Einkaufsstraße. (MAZ berichtete:
“Rechte bei illegaler Demonstration — 120 Polizisten beenden auch
Gegenaktion”). Einen ähnlichen Vorfall gab es noch am 2. Juni. An diesem
Tag zogen etwa 50 Rechtsextremisten spontan und nahezu unbehelligt durch
die Potsdamer Innenstadt, um für “freie Meinungsäußerung” zu
demonstrieren. Auch hier wurde die Demonstration erst durch die Polizei
beendet.
Durch welche Aktionen fällt die “unorganisierte” Rechte Szene in
Potsdam außerdem auf?
Massenhafte Propaganda. Die so genannte “Bewegung Neues Deutschland”
verteilte erst am 29.7. wieder ihre Handzettel in der Waldstadt. Sie kann
als Nachfolgevereinigung der Organisationen “Schutzbund Deutschland”
und “Bewegung Neue Ordnung” angesehen werden. Diese wurde am
04.07.2006 aufgrund von “Wesensverwandtschaft mit dem
Nationalsozialismus” und seiner “gegen die verfassungsmäßige Ordnung
und den Gedanken der Völkerverständigung” gerichteten Zweck und
Tätigkeit verboten.
Im gesamten Stadtbild von Potsdam sind zahllose zum Teil selbstgedruckte
Aufkleber rechtsextremistischen Inhalts zu finden. In unregelmäßigen
Abständen kommt es zu Plakatieraktionen von Seiten der “Freien Kräfte
Potsdam”. Schwerpunktmäßig sind auch Schmierereien (Graffiti u.ä.)
mit nationalsozialistischem und gewaltverherrlichendem Inhalt keine
Seltenheit. Besonders Tage wie beispielsweise der aktuell näher rückende
Todestag von Rudolf Hess, Stellvertreter Hitlers und seines Zeichens
“Friedensmärtyrer” der Rechten, sind immer wieder willkommene Anlässe
für vermehrtes Auftreten von Nazi-Propaganda. Meist ist es nur
antifaschistisch engagierten Menschen zu verdanken, dass diese zeitnah aus
dem Stadtbild verschwindet.
Dies alles ist jedoch relativ harmlos im Vergleich zu weit bedrohlicheren
Aktionen. Anfang August schaffte es die so “unorganisierte” Rechte
einen antifaschistisch gesinnten Jugendlichen aus nördlichen Teilen
Potsdams zu Hause zu besuchen — teils vermummt und mit diversen
Schlagwerkzeugen bewaffnet. Das schnelle Reagieren seinerseits verhinderte
Schlimmeres. Vorangegangen waren Einschüchterungsversuche durch Anpöbeln
und Bedrohen an Bushaltestellen sowie mittels Aufklebern an der Haustür,
mit Aufschriften wie “Hier wohnt ein Antifaschist”, um auch andere
Kameraden auf den “politischen Feind” aufmerksam zu machen.
Zwei Abende später schafften es die rechten Jugendlichen auf eine
Gruppenstärke von weit über 20 Leuten, die “unorganisiert” zum Haus
des Betroffenen zogen. Dieser hatte jedoch Besuch von Freund_innen, was
die Rechten die Polizei rufen ließ. Diese hatte nichts besseres zu tun,
als für die Angreifer Partei zu ergreifen und eine Gefährdenansprache an
die eigentlich Bedrohten zu richten. Später wurde bekannt, dass gegen den
Betroffenen Anzeigen wegen “Schwerer Körperverletzung”,
“Ruhestörung” und “Verwendung unerlaubter Waffen” aufgenommen
wurden, während die Faschisten ihrerseits nicht mit Folgen rechnen
mussten. Die Absurdität eines solchen Verhaltens seitens der Polizei ist
für uns nicht nachvollziehbar.
Vielerlei wird hier deutlich: Die rechte Szene schafft es auch trotz
gegenteiliger Behauptungen große Kreise für ihre Ansinnen zu
mobilisieren. Vom Betroffenen selbst konnten innerhalb der Gruppe Rechte
identifiziert werden, die bereits auf NPD-Demonstrationen mit
Transparenten der “Freien Kräfte Potsdam” flanierten und eine recht
eindeutige politische Vergangenheit innerhalb der Rechten Potsdams
innehaben. All dies spricht für einen Organisiertheitsgrad, der auch von
jenem Beirat eigentlich nicht totgeschwiegen werden sollte.
Wir bilanzieren, dass es der Rechten Szene Potsdams gelungen ist, sich
nach dem relativ starken Schock — ausgelöst durch die Verurteilung
führender Integrationsfiguren im Sommer 2005 — neu aufzustellen.
Es bleibt nur zu hoffen, dass sich die Potsdamer Bevölkerung nicht durch
den irrtümlichen Eindruck des Beirates beirren lässt und weiterhin aktiv
gegen Faschismus vorgeht. Leichtfertige Rückschlüsse auf das Fehlen
einer organisierten rechten Szene nur weil über einen Jahreszeitraum
keine unmittelbaren Erkenntnisse über eine Organisierung gewonnen wurden
sind nicht zulässig.