Die Erinnerung an deutsche Kriege, die Warnung vor neuen deutschen Kriegen, die Ehrung derjenigen, die, aus aller Herren Länder kommend, gekämpft haben, den deutschen Faschismus und Militarismus niederzuringen, kurz: die internationale Antikriegsaktion „Das Begräbnis oder DIE HIMMLISCHEN VIER“ soll, wie die Behörden es wollen, nach dem Verbot von 2005 auch am 61. Jahrestag des Sieges über den Faschismus nur in solcher Form stattfinden, daß der brave Berliner und Potsdamer Spießer nicht irritiert wird und das Volk so wenig wie möglich davon erfährt.
Das Krokodil der HIMMLISCHEN VIER dürfte, ginge es nach der Reichstagsverwaltung, am Reichstagufer nicht aus dem Wasser kriechen. Der Soldat aus Brechts Gedicht „Legende vom toten Soldaten“ darf, geht es nach der Berliner Polizei und dem Bundestagspräsidenten, im und am Reichstag nicht auftauchen. Überhaupt niemand darf auftauchen, der mit der Antikriegsaktion zu tun hat und schon gar kein toter Soldat. All das sei, so Herr Klos vom Referat Sonderprojekte der Reichstagsverwaltung zum Aktionsbüro „Das Begräbnis oder DIE HIMMLISCHEN VIER“ mit der Würde des Hohen Hauses (gemeint ist ein Bundestag, der seit Monaten keine ernsthafte Debatte mehr führt) nicht vereinbar.
Diese Würde erweist sich nun bei anderer Gelegenheit als durchaus strapazierfähig. Mit dieser Würde ist vereinbar eine riesige Aspirin-Tablette am Reichstagufer, wo DIE HIMMLISCHEN VIER nicht erwünscht sind. Mag das noch angehen, weist es doch neben der Firma Bayer auf die Menge an Schmerzmitteln hin, die nötig sind, damit dies Land und sein Staatsapparat noch einigermaßen erträglich erscheinen. Aber mit der Würde des Hohen Hauses (gemeint ist immer noch der Bundestag) ist es offenbar ebenso vereinbar, vor dem Reichstagsgebäude, wo, wie gesagt, eine Antikriegsaktion nichts zu suchen haben soll, ein Freizeitgelände zur kollektiven Begutachtung der Fußballweltmeisterschaft incl. obligatorischem Bierzelt einzurichten und drei Meter neben dem Mahnmal für die vom Faschismus ermordeten Reichstagsabgeordneten die Firma adidas werben zu lassen. Das alles darf dort sein.
Die HIMMLISCHEN VIER dürfen dort nicht sein.
Kein Ende der Provinzpossen! Die Präsidentin des Kammergerichts, ehemals Gebäude eines Alliierten Kontrollrats, der sich ab 1945 nach Kräften bemüht hatte, diesem Land wenigstens soviel Demokratie aufzuzwingen, daß die Obrigkeit sich nicht mehr ungestraft herausnehmen dürfe, was sie sich heute längst wieder herausnimmt – die Präsidentin des Kammergerichts also gewährt eine Drehgenehmigung zur Dokumentation einer Kundgebung der HIMMLISCHEN VIER an ihrer alten Wirkungsstätte. Sechs Tage darauf widerruft sie – sie habe einfach vergessen, daß das Gebäude ja inzwischen einer Berliner Immobilienverwaltung gehöre. Was nicht das Geringste zur Sache tut, aber den Zweck erfüllen soll, den Kampf gegen den Krieg von einem weiteren Meilenstein seiner eigenen Geschichte in diesem Land fernzuhalten. In deutsch-nacheilendem Gehorsam zieht darauf das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg von Berlin seine für den angrenzenden Kleistpark bereits gewährte Drehgenehmigung ebenfalls zurück und begründet dies damit, die Kammergerichtspräsidentin sei das, was zu sein sie gerade selbst vehement bestritten hat, nämlich: Hausherrin des Gebäudes des Kammergerichts.
Wen wundert’s ob dieses Verhaltens der Hauptstadt, daß die brandenburgischen Behörden und die Stadt Potsdam da nicht zurückstehen wollen. Was über Provinzstädtchen wie London und Paris möglich war, nämlich daß ein historischer Bomber aus dem 2. Weltkrieg zur Erinnerung des Sieges über Hitler im Tiefflug über die Stadt zog, ist in Potsdam nicht möglich. Potsdam sei, wie dem Aktionsbüro „Das Begräbnis oder DIE HIMMLISCHEN VIER“ vom brandenburgischen Landesamt für Bauen und Verkehr mitgeteilt wurde, nicht nur eine Großstadt, sondern eine „sehr sensible Großstadt“. Mit dieser Sensibilität kann es nicht allzuweit her sein. Die Erinnerung an das, was zu tun war, weil das deutsche Volk es nicht tat, die Erinnerung an rassistischen und antisemitischen Mord an Millionen, die Erinnerung an die Bombennacht vom 14. April 1945, der Tiefflug der „Fliegenden Festung“ über der Stadt am 13. Mai – das hieße die Sensibilität der braven Potsdamer, in deren Stadt gerade ein deutscher Bürger ausländischer Herkunft halb tot geschlagen wurde, nun wahrlich überstrapazieren. Was in ruhiger Vorstadtlage wie der Innenstadt von London am Siegestag machbar ist, nämlich 1 Million Papierblumen aus einem Bomber abzuwerfen, geht im weltstädtisch-pulsierenden Getriebe von Potsdam natürlich ebenfalls nicht: 1000 Flugblätter abzuwerfen mit einem Text der Geschwister Scholl, wie sie die Royal Air Force im zweiten Weltkrieg millionenfach abwarf im Bemühen, das deutsche Volk zum Widerstand gegen Hitler aufzustören – so etwas ist verboten, läuft in Potsdam unter „Müllvermeidung“, die „Weiße Rose“ unter Dreck. Nur keine Erinnerung an das, was man zu tun nicht wagte gegen etwas, das, wir müssen es so deutlich sagen, in dieser Mischung aus obrigkeitsstaatlichem Größenwahn und knechtseligem Gehorsam schon wieder vorbereitet wird!
Das nächste: Sirenenalarm über UKW-Sender darf nicht gegeben werden. Halt! Er darf unter Umständen gegeben werden, aber so, daß man ihn nicht hört. An die Tatsache, daß dieses Land in Schutt und Asche gelegt werden mußte, weil seine herrschende Clique vorher ihrerseits Europa in Schutt und Asche gelegt hatte, darf erinnert werden, vorausgesetzt, der brave Bürger bekommt es nicht mit. 65 Dezibel sind das Äußerste, was dem Potsdamer angesichts drohender deutscher Kriege an einem Samstagabend zugemutet werden kann. Das ist: das Geräusch zweier Menschen in Konversation. So manche Stadtratssitzung in Potsdam dürfte lauter sein als so eine „Warnung“ vor dem Krieg.
Und kein Transparent am Nauener Tor! Das Tor dürfe, so der „Kommunale Immobilienservice der Landeshauptstadt Potsdam“ durch den Mund von Frau Ungemach (nomen est wirklich omen), aus historischen Gründen in keiner Weise verändert werden. Nun wußten wir nicht, daß seit Hunderten von Jahren im Nauener Tor eine Pizzeria bewirtschaftet wird. Jetzt wissen wir es. Die Geschichtswissenschaft ist reicher seit Frau Ungemach.
Eine Dummheit, eine Frechheit, eine Unverschämtheit nach der anderen. Wäre es nicht so hundsgefährlich, wäre es Schilda. Kaum noch verhüllt, kaum noch mit Ausreden verbrämt die behördliche Willkür, die ad oculos demonstriert, wie die Chance von Potsdam bis heute ausgeschlagen wurde und immer noch mehr mit Füßen getreten wird. Ein Beweis nach dem anderen, daß, und wenn es Asche in unserem Munde wird, die Antikriegsaktion „Das Begräbnis oder DIE HIMMLISCHEN VIER“ stattzufinden hat.