Heute will der Energiekonzern Vattenfall das Künstlerdorf übernehmen, es soll der Kohle weichen
(Berliner Zeitung, Katrin Bischoff) COTTBUS. Rene Schuster wohnt in der Dorstraße von Lacoma, einem Ortsteil von Cottbus. Vor zehn Jahren bezog er das Bauernhäuschen. Ende September flatterte dem 29-Jährigen ein Schreiben von Vattenfall ins Haus. Aus betrieblichen Gründen könne der Energiekonzern das Grundstück nicht schon am 1. Oktober übernehmen. Dies erfolge nun am 7. Oktober. Schuster solle anwesend sein, nach der Übernahme werde mit dem Abriss begonnen. Das Gleiche gelte auch für die Kulturscheune im Ort.
Das Künstlerdorf Lacoma bei Cottbus soll dem Tagebau Cottbus-Nord weichen. Am Dienstag sollen erstmals bewohnte Häuser geräumt werden. “Wir wehren uns”, sagt Schuster, der zugleich Vorsitzender des Lacoma-Vereins ist. Zwei der betroffenen vier Hausbewohner würden ihre Grundstücke nicht aufgeben, da die Kündigung des Nutzungsvertrages nicht rechtens sei. Die beiden anderen hätten sich juristisch nicht beraten lassen.
Bei der Kulturscheune, die in der Gegend für Theateraufführungen und Lesungen bekannt sei, sieht das laut Schuster anders aus. “Für die Kulturscheune lief der befristete Nutzungsvertrag, den der Lacoma-Verein hatte, leider schon am 30. September aus”, sagt er. Daher habe man keine rechtliche Handhabe, das Gebäude nicht an Vattenfall zu übergeben. “Aber einige von uns werden mit Sicherheit dort protestieren — gewaltfrei, versteht sich”, sagt Schuster. Seinen Angaben zufolge geht es dem Verein nicht nur um den Erhalt des Ortes. Der Verein und auch die Grüne Liga wollen die Teichlandschaft mit einem der größten Bestände der geschützten Rotbauchunken in Europa retten.
Die zum Abriss vorgesehenen Häuser und die Kulturscheune stehen genau auf der Linie, auf der der Konzern ein Entwässerungssystem bauen will, mit dem das Grundwasser für den späteren Kohleabbau abgesenkt werden soll. Für einen derartigen Eingriff in das Landschaftsschutzgebiet, so sagt der Vereinsvorsitzende, liege dem Unternehmen jedoch keine Genehmigung vor. Schuster: “Ein wasserrechtliches Planfeststellungsverfahren kann frühestens im kommenden April abgeschlossen werden.” Zudem laufe vor der €päischen Kommission in Brüssel gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren. Nach Meinung von Experten hätten die Lacomaer Teiche als Schutzgebiet nach den Flora-Fauna-Habitat-Richtlinien ausgewiesen werden müssen.
Nicht zum ersten Mal droht dem Dorf die Abrissbirne. 1983 wurde den 150 Einwohnern des Ortes mitgeteilt, dass ihre Häuser der Kohle weichen sollen. Vier Jahre mussten die Bewohner ihr Dorf verlassen. Nach der Wende verzögerte sich der Kohleabbau. Der leer gezogene Ort bekam eine Gnadenfrist von 15 Jahren. 1992 besetzten die ersten Jugendlichen und alternativen Künstler die noch stehenden Häuser. Später schlossen sie mit Vattenfall Nutzungsverträge ab. Heute leben in Lacoma rund 40 Menschen, darunter auch sieben Kinder. “Nicht alle Erwachsenen, die hier leben, sind Künstler”, sagt Schuster, selbst freischaffender Rundfunkjournalist. In Lacoma lebten neben Malern und Bildhauern auch Studenten und Existenzgründer.
Wie Vattenfall, dem das Dorf gehört, am Dienstag mit dem Protest in Lacoma umgehen wird, war am Montag nicht zu erfahren. Unklar blieb auch, ob das Unternehmen seine harte Haltung beibehalten will. Ein Sprecher hatte vor zwei Wochen in der Öffentlichkeit angekündigt, Vattenfall werde “Maßnahmen ergreifen”, wenn die Gebäude nicht übergeben werden.
“Wir lassen uns nicht verkohlen”
Lakoma bei Cottbus wehrt sich gegen drohenden Abriss / Heute soll der Vattenfall-Bagger kommen
(MAZ, Beowulf Kayser) COTTBUS “Wir lassen uns nicht verkohlen”, steht auf einem großen Transparent an der B 97 nach Peitz. Vielleicht eine knappe Stunde vor dem Bagger soll heute an dem Abzweig nach Lakoma eine der größten Protestaktionen gegen den drohenden Abriss des kleinen Dorfes am Nordrand von Cottbus stattfinden. Der Energiekonzern Vattenfall will das Künstlerdorf wegen des Braunkohletagebaus Cottbus-Nord trotz der massiven Proteste von Anwohnern und Naturschützern bis 2005 abreißen lassen. Bereits im September wurden drei unbewohnte Häuser dem Erdboden gleich gemacht. Jetzt soll es vier bewohnten Häusern und der Kulturscheune des Lakoma-Vereins an den Kragen gehen. Nach Ablauf der bis zum 30. September befristeten Nutzungsverträge sollen die Bewohner heute ihre Anwesen an Vattenfall übergeben.
“Ich bleibe”, sagt Torsten aus Haus Nummer 14. “Jetzt wird das Dach repariert, damit das Haus stehen bleiben kann”, erklärt der Nutzer von Nummer 13. “Die sind schlimmer als die Kommunisten”, wirft Willy ein. Die kleine Runde an der Lakomaer “Futtergrotte” erhitzt sich wie zu DDR-Zeiten. Damals war schon einmal der Abriss des ganzen Dorfes wegen der Braunkohle geplant. 150 Bewohner leisteten 1983 zunächst erbitterten Widerstand und wurden dann doch vier Jahre später auf die gegenüber liegende Seite der B 97 umgesiedelt. 1992 machten junge Leute und Künstler mit einer spektakulären Besetzung des Dorfes erneut auf sich aufmerksam. Mit Erfolg: In dem seit 1993 zu Cottbus gehörenden Dorf gab es für die Hartnäckigen Miet- und Nutzungsverträge, die jetzt alle aufgekündigt worden sind.
Vor allem Künstler und Umweltschützer wollen Lakoma erhalten. Sie wehren sich nicht nur gegen den Abriss der Häuser und des Treffpunktes für Holzbildhauer aus Deutschland und Polen, sondern vor allem auch gegen die Zerstörung des Naturparadieses. Rund um das Dorf erstreckt sich eine bereits vor mehr als 500 Jahren künstlich angelegte Teichlandschaft, die Lakomaer Teiche. Hier haben mehr als 100 Rote-Liste-Arten ihre Heimat, darunter Fischotter, Laubfrösche, der streng geschützte Eremiten-Käfer und das größte Vorkommen der bedrohten Rotbauchunke in Brandenburg. Franziskaner-Mönche haben in Lakoma im Jahr 1550 den alten Hammergraben angelegt und mit der Zucht der heute weltberühmten Peitzer Karpfen begonnen. Ein ganzes Netz von Teichen sollte die ehemalige Festungsstadt Peitz damals vor Eindringlingen bewahren und die Bevölkerung in schlechten Zeiten mit Fisch versorgen.
“Wir werden uns nicht sang- und klanglos verabschieden”, sagt der Vorsitzende des rund 25 Mitglieder zählenden Lakoma-Vereins, René Schuster. Vor der vom Holzkünstler Ralf Röhr geschaffenen Skulptur “Mütterchen Lausitz” (“Maserka luzyca”) an der Kulturscheune, die inzwischen zum kulturellen Zentrum des Dorfes wurde, versammelt er die Widerständler gegen den Abriss. “Wir fordern, dass alle Abrisse mindestens so lange ausgesetzt werden, bis über den Erhalt oder die Zerstörung der Teiche im Planfeststellungsverfahren entschieden ist”, erklärte René Schuster.
In dieses Verfahren war erst kürzlich neuer Zündstoff gekommen, als der €paweit geschützte Eremiten-Käfer in Lakoma nachgewiesen wurde. Bereits im Sommer hatte die Europäische Kommission ein Vertrags-Verletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, weil es die Lakomaer Teiche nicht als Schutzgebiet nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie angemeldet hat. Die Brandenburger Grünen-Abgeordnete Elisabeth Schroedter hat jetzt dazu eine neue Anfrage im Europa-Parlament eingereicht. “Für den geplanten Eingriff in das Landschaftsschutzgebiet und den Bau eines Randriegels zur Grundwasserabsenkung liegen bisher keine Genehmigungen vor”, teilte die Grüne Liga gestern mit.
Also geht der gewaltfreie Widerstand weiter. Heute soll es zu einer der größten Protestaktionen unmittelbar an der Kreuzung
nach Lakoma und danach im Dorf kommen. Dazu haben sich auch Aktivisten der Umweltschutzorganisation “Robin Wood” aus Hamburg angekündigt.