Im Westen hat die NPD bei den Landtagswahlen nicht Fuß fassen können. Im Osten könnte sie dagegen laut aktuellen Umfrage aus dem Stand heraus in mehreren Bundesländern mit 4 bis 5 Prozent der Stimmen rechnen. Auch in Brandenburg. Dass es dort ein Problem mit Rechtsextremismus gibt, hat auch die Landesregierung in Potsdam erkannt. Das ist erfreulich. Doch viele Brandenburger Gegeninitiativen wirken zahnlos: Leblos, zu staatstragend, auf sich selbst fixiert, künstlich und von Oben aufgesetzt. Demokratieentwicklung, die so bitter nötig wäre, sieht anders aus. Einige Denkanstöße aus dem antifaschistischen Bildungszentrum Apabiz in Berlin. Ein Gastbeitrag.
Was man tun solle, wenn die NPD eine Schülerzeitung herausgibt, wurde kürzlich ein Mitarbeiter des apabiz am Rande einer antifaschistischen Veranstaltung irgendwo in Brandenburg gefragt. Dagegenhalten! Selbst eine Schülerzeitung machen, die eine klar antifaschistische Position bezieht! Der Frager, ein Aktiver der Grünen Jugend, winkte gleich ab: »Nein, das geht nicht. So etwas tun wir nicht. Wir sind der Meinung, dass Politik nicht an die Schule gehört.«
Natürlich gehört Politik an die Schule! Ideen kennen lernen und darüber streiten; Auseinandersetzungen führen; reflektieren; kritisch denken. So etwas gehört zum kleinen ABC einer Demokratie, die diesen Namen verdient. In buchstäblich allen gesellschaftlichen Institutionen und ganz besonders in Schulen muss das stattfinden. »Demokratie« ist sonst ein hohles Schlagwort, das alles und nichts meint oder eben nur staubige Administrationsprozesse umschreibt.
Zu oft trifft man in Brandenburg auf das Missverständnis, dass Demokratie die Abwesenheit von Politik sei. Das Vergehen der NPD, so scheint es fast, besteht nicht in ihren nazistischen Inhalten, sondern darin, dass sie es wagt, Politik in die sonst unschuldige Welt der Schulen zu tragen. Es sollte doch eigentlich nicht schwer sein zu sagen: Alles politische Engagement ist diskutabel und hochwillkommen – nur die Rechten sind wegen ihrer Menschenfeindlichkeit dafür disqualifiziert.
Die JungdemokratInnen/Junge Linke, ein demokratischer Jugendverband, sandte vor einiger Zeit Werbung für seine politischen Jugendbildungsseminare an die Schülervertretungen des Landes. Reihenweise kam das Material zurück, immer mit der Begründung: Nein, so etwas könne man nicht auslegen, das sei nicht neutral, das sei ja politisch. Wohlgemerkt: Die Antworten kamen von SchülervertreterInnen, also aus jener ohnehin hauchdünnen Schicht von Jugendlichen im Land, die sich überhaupt gesellschaftlich engagieren.
Kaum ziviles Engagement
Mit diesen Beispielen ist angesprochen, woran das Gerede um den Kampf gegen Rechtsextremismus krankt. Die immerfort beschworene Zivilgesellschaft – es gibt sie kaum. Ganz zu schweigen von einer kritischen Öffentlichkeit. Vor Jahren noch wurde Rechtsextremismus tendenziell ignoriert, kleingeredet, beschwiegen. Das hat sich (erfreulicherweise!) geändert. Inzwischen bekennt sich das offizielle Brandenburg dazu, ein Problem zu haben. Und die beruflich Verantwortlichen tun endlich das eigentlich Selbstverständliche. In den Führungsetagen der Polizei hat sich beispielsweise herumgesprochen, dass Anzeigen von Opfern rechter Gewalt ernst genommen werden sollten. Mit der Umsetzung in den unteren Ebenen hapert es zwar, wissen genügend Betroffene zu berichten, die schon mal am Tresen des Polizeireviers ihrer Kleinstadt abgewiesen wurden. Doch das liegt wohl weniger am fehlenden Willen von Oben, muss anerkannt werden.
Im politischen Feld ist daneben ein Gewebe von Initiativen entstanden, die Rechtsextremismus als Problem erkennen und zivilgesellschaftliches Engagement konstituieren sollen. Es reicht von lokalen runden Tischen gegen Rechts, dem Toleranten Brandenburg und dem Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bis zu Parteien und Verbänden, die sich in angemessener Frequenz zum Thema äußern. Leider beschränken sich viele dieser Aktivitäten auf die Benennung des Problems und einem in der Essenz recht leeren Bekenntnis zu einer nicht näher benannten Demokratie.
Engagement ist prinzipiell richtig, in dieser Form aber zu staatstragend und zu nahe an der offiziellen Politik, um effektiv gegen Rechts zu wirken. Die gesellschaftlichen Verhältnisse werden affirmiert, Platz für Gesellschaftskritik ist kaum vorhanden. Alles hat schon seine schöndemokratische Ordnung, nur die Nazis stören. Die Brandenburger Jusos etwa haben eine Schülerzeitung gegen Rechts aufgelegt, die auch Argumentationshilfen beinhaltet. Wenn Rechtsextreme sagen: »Die Europäische Union gefährdet deutsche Interessen«, solle man entgegnen: »Richtig ist, dass das zusammenwachsende Europa unseren Wohlstand begründet. (..) Die Europäische Union dient somit deutschen Interessen.« Das ist nicht nur stumpfer Standortnationalismus, den die Jusos hier verbreiten. Wichtiger ist: Mit dieser Argumentation wird einer wie auch immer gearteten Kritik an der EU der Mund verboten. Und das im Vorzeichen eines Kampfes für Demokratie und gegen Rechtsextremismus.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Vieles von dem, was in Brandenburg gegen Rechts getan wird, ist durchaus richtig und notwendig. Der Kern des Problems liegt eher bei denen, die meist nicht mit an den runden Tischen sitzen: Aktive BürgerInnen, KritikerInnen, AntifaschistInnen. Sie fehlen dort, weil es sie ganz einfach in viel zu geringer Anzahl gibt. Da helfen alle Beschwörungen nichts.
Analysen wären nötig
Ein erster Schritt, um hier Abhilfe zu schaffen, wäre es, die Initiativenlandschaft gegen Rechtsextremismus in Brandenburg kritisch zu analysieren. Dabei wäre die Verbreitung von rechtsextremem Denken in der Normalbevölkerung zu berücksichtigen: 37 Prozent der EinwohnerInnen des geografisch äußeren Brandenburgs haben eine rechtsextreme Einstellung, in den Berlin-nahen Regionen sind es immer noch 25 Prozent. Neben diesem losen Potenzial existiert eine Gemengelage aus organisierten, teils gewaltbereiten Rechtsextremen – DVU, NPD, Kameradschaften. Die nichtkritischen Initiativen gegen Rechts leisten hiergegen sicherlich punktuell Gutes. Doch weder verschwinden die Organisierten, noch scheint es zu gelingen, die rechtsextrem denkenden Bevölkerungsschichten zu erreichen. Vielmehr steigen einschlägige Werte. Die Zahlen der rechtsextremen Gewalttaten zum Beispiel, die Spitze des Eisberges also, hat sich in den vergangenen Jahren bei rund 130 eingependelt.
Leider fehlt auch in dem vor einigen Monaten erschienenen Handbuch »Rechtsextremismus in Brandenburg« – für das auch das apabiz ein Kapitel beigesteuert hat – eine kritische Bestandsaufnahme. Zwar ist die Beschreibung des Phänomen Rechtsextremismus gelungen. Spannend ist auch, dass sich alle denkbaren Akteure gegen Rechtsextremismus selbst präsentieren dürfen. Es mangelt jedoch an einem unabhängigen Blick von oben auf die Initiativenlandschaft. Viele tun etwas, irgendetwas, man lobt sich selbst und die anderen. Man koordiniert und netzwerkt, sucht nach Synergieeffekte. Doch wer wo versagt, das wird im Buch nicht energisch genug benannt. Etwa, dass es schlicht an demokratischer Kultur mangelt, deren Fehlen dafür sorgt, dass viele rechtsextrem Denkende nicht angesprochen werden können. Solch eine Kultur entsteht aber nur auf der Grundlage schonungsloser Kritik an allen Ecken einer Gesellschaft, von der die benannten 37 und 25 Prozent fester Bestandteil sind.
Salopp ausgedrückt: Wenn die Initiativen alle so effizient wären, wie sie sagen, warum haben wir dann überhaupt noch ein Problem? Durch ihre Staatsnähe, durch ihre relative Leblosi
gkeit, durch ihren zwanghaften Optimismus (»Brandenburg ist tolerant«) können die bestehenden Initiativen Kritik nicht ausreichend befördern. Eine nennenswerte Auseinandersetzung mit dem oft genug skandalösen Umgang Brandenburger Behörden mit Asylsuchenden zum Beispiel? Mangelware. Nachdenken über die Bedeutung des vielgebrauchten Schlagworts »Toleranz« – welches zwar schön preußisch ist, aber eben »dulden« heißt, obwohl »akzeptieren« nötig wäre? Fehlanzeige. Eine funktionierende Zivilgesellschaft muss eine gesunde Distanz zum Staat pflegen und gegebenenfalls den Mut haben, staatliches Vorgehen in Frage zu stellen.
Spektakel Halbe
Zum guten Ton auf Seiten des staatstragenden Antifaschismus in Brandenburg gehörten in den vergangenen Jahren wortreiche Mobilisierungen gegen die jährliche Nazi-Heldenehrung in Halbe: »Tag der Demokraten«, »Gesicht zeigen«, »Flagge bekennen« lauteten die Parolen und alle riefen dazu auf. Aber nur wenige kamen. Im März des vergangenen Jahres wurden zum Beispiel im Vorfeld 1.000 GegendemonstrantInnen erwartet. Es kamen vielleicht 150. Nur einmal, im November 2006, kam in Halbe tatsächlich eine vierstellige Zahl von Menschen zum Protest gegen das Nazi-Spektakel zusammen. Die Anreise in den Bussen wurde für viele TeilnehmerInnen von Sponsoren bezahlt und die Presse jubelte hinterher über viel zu hoch angesetzte Teilnehmerzahlen, teilweise im fünfstelligen Bereich. Warum diese Inszenierung? Wem hilft das? Warum ist in den Zeitungen so viel Platz für die salbungsvollen Willensbekundungen und Aufrufe und so selten für die Feststellung, dass ihnen meistens deutlich zu wenige nachkommen?
Der öffentliche Fokus auf den symbolischen Ort Halbe darf auch nicht vergessen machen, dass sich die Zivilgesellschaft sehr viel schwerer damit tut, der rechtsextremen Alltags- und Erlebniswelt etwas entgegenzusetzen. Der Bunker 88 beispielsweise, ein von Neonazis betriebener Klub in Lübben, existiert seit Jahren und die Versuche, dagegen anzugehen, sind bislang äußerst bescheiden ausgefallen. Skandalisiert wurde das Treiben im Bunker 88, wenn überhaupt, nur auf lokaler Ebene.
Im November 2005 blockierten Nazigegner, darunter prominente Politiker, den Aufmarsch der Nazis in Halbe. Endlich einmal gab es zivilen Ungehorsam! Zurecht erhielt die Aktion große Publizität in der Presse. Wenn die Fernsehkameras abgebaut sind, ist der Kampf gegen Rechtsextremismus jedoch weit weniger glamourös. Als im März 2007 AntifaschistInnen die Nazis blockieren wollten, wurden sie in altbekannter Manier von der Polizei weggeräumt, festgehalten, schikaniert. Dazu setzte es deftige Bußgelder. Es kam auch schon vor, dass Antifas auf dem Weg nach Halbe mit ihren Bussen – die sie übrigens selbst bezahlt hatten – von der Polizei gestoppt und stundenlang gefilzt wurden.
Blockierer ist in Brandenburg eben nicht gleich Blockierer. Mit dem richtigen Leumund ist man einsatzwilliger Demokrat. Oder man ist ein dahergelaufener Polittäter, der das demokratisch verbürgte Versammlungsrecht mit Füßen tritt. Bei einer Neonazidemo im September in Neuruppin gingen 800 Menschen aus Protest auf die Straße. Sogar eine Blockade gab es. Ein positives Beispiel. Wäre da nicht Heinz-Joachim Lohmann gewesen, seines Zeichens Chef des landesweiten Aktionsbündnis. Er forderte die Blockierer per Polizei-Megafon auf, ihre Aktion zu beenden – man habe ja bereits genügend Protest gezeigt.
Eine halbe Stunde später und ein paar Straßen weiter setzte die Polizei ganz unvermittelt und ohne Anlass Tränengas gegen NazigegnerInnen ein. Gegenüber einer dabei verletzten Bundestagsabgeordneten äußerte der zuständige Polizeipräsident inzwischen sein Bedauern. Gegenüber dem halben Dutzend weiterer Verletzter wurde kein Bedauern geäußert. Das Aktionsbündnis hat sich nie zur Sache geäußert. Die Verfahren gegen die Polizisten sind längst eingestellt, wegen Geringfügigkeit. So ermuntert man kaum Menschen dazu, weiter gegen Rechts auf die Straße zu gehen.
Die Nazidemo in Halbe hat inzwischen an Bedeutung eingebüßt. Zum Volkstrauertag 2007 sagte der organisierende Freundeskreis Halbe seinen Gedenkaufmarsch das erste Mal seit Jahren ab. Der Demoverzicht hängt wohl vor allem damit zusammen, dass auf administrativer Ebene durch Gesetze und Gerichtsurteile den Rechten der Spaß am Demonstrieren vergällt wurde. Das ist für sich genommen gut, dem nichtstaatlichen Engagement gegen Rechtsextremismus wird darüber jedoch ein schlechtes Zeugnis ausgestellt: Das Vorgehen auf der offiziellen Ebene war schlicht und ergreifend entscheidender als die Gegendemonstrationen.