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Mit Apfelkorn Mut angetrunken

(Berlin­er Zeitung, Sabine Deck­w­erth) Der Ter­min scheint nicht zufäl­lig gewählt. Gestern, drei Tage vor dem 1. Mai und den befürchteten Krawallen, stand ein 19-Jähriger wegen schw­eren Land­friedens­bruchs und Wider­stands gegen Polizeibeamte vor einem Jugend­schöf­fen­gericht des Amts­gerichts Tier­garten. Er hat am 1. Mai 2003 mit Steinen und Flaschen gewor­fen. Chris­t­ian K. kön­nte man als Krawall­touris­ten beze­ich­nen. Er wohnt in Eber­swalde, hat keinen Job und rech­nete sich damals noch der Punk-Szene zu. Ver­wahrlostes Äußeres, sträh­nige bunte Haare, ein T‑Shirt mit dem Auf­druck “Deutsch­land ver­recke” — so fuhr er mit Fre­un­den nach Berlin “um dabei zu sein”, wie er sagte. 

196 Fes­t­nah­men

Getrunk­en hat­ten sie schon im Zug, Bier und Apfelko­rn, dann in Kreuzberg auf ein­er Wiese rumgelüm­melt und abends ran­daliert. 196 junge Leute hat­te die Polizei bei den Krawallen 2003 festgenom­men, 56 lan­de­ten in Unter­suchung­shaft. Chris­t­ian K. wurde nicht erwis­cht und kon­nte unbe­hel­ligt am näch­sten Tag seinen Rausch auss­chlafen. Aber Polizis­ten hat­ten den Steinew­er­fer mit ein­er Videokam­era gefilmt, sein Foto lan­dete eben­so wie das von 29 anderen Ran­dalier­ern auf einem Fah­n­dungsplakat unter der Über­schrift “Die Polizei bit­tet um Mith­il­fe — 500 Euro Beloh­nung”. Diese Beloh­nung hat sich ein befre­un­de­ter Punk ver­di­ent. Seit März saß Chris­t­ian K. deshalb in Unter­suchung­shaft. Ins­ge­samt kon­nten von den 30 Unbekan­nten 14 iden­ti­fiziert wer­den. Von Mitschülern, Nach­barn oder Polizis­ten in anderen Bun­deslän­dern, die die Plakate zugeschickt beka­men. In einem Fall zeigte ein Onkel den Nef­fen an und freute sich über die Belohnung. 

Inzwis­chen ist offen­bar auch Chris­t­ian K. klar gewor­den, dass einiges auf dem Spiel ste­ht. Vor Gericht war er wortkarg und kaum wiederzuerken­nen, seine Haare sind kurz und gepflegt. Vielle­icht haben sich andere Urteile herumge­sprochen. Das Gros der Prozesse ist erledigt. Wie viele es genau gab, kann die Staat­san­waltschaft nicht sagen. “Wir führen darüber keine Sta­tis­tik”, erk­lärte Sprech­er Michael Grun­wald. Nach­sicht mit Krawall-Tätern zeigte jeden­falls kaum ein Richter — und wenn, dann wurde sein Urteil aufgehoben. 

Ein 22-jähriger Fleis­cher­lehrling etwa, der einen Pflaster­stein auf einen Polizis­ten warf, wurde zunächst zu ein­er Bewährungsstrafe von vier Monat­en verurteilt. Dann ver­han­delte das Landgericht in zweit­er Instanz und ließ den Mann noch im Gerichtssaal ver­haften. Zwei Jahre ohne Bewährung lautete das Urteil. Ein 26-Jähriger musste für drei Jahre ins Gefäng­nis. Chris­t­ian K. wiederum erhielt eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und vier Monat­en. Das ist nicht wenig dafür, dass er zwar gewor­fen, aber nie­man­den getrof­fen hat. Außer­dem muss er sich am 30. April und 1. Mai 2004 und 2005 zweimal pro Tag auf dem Eber­swalder Polizeire­vi­er melden — so dass keine Zeit mehr für Aus­fahrten nach Berlin bleibt. 

Das Sig­nal ist deut­lich: “Wer mit Steinen oder Flaschen wirft, muss sich darüber im Klaren sein, dass das keine Lap­palien sind, son­dern schwere Straftat­en”, sagte Jus­tizsprech­er Michael Grunwald.

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